Druck aufbauen
Am 29. Juni 2011 veranstaltete der Gesundheitsausschuss des Bundestages mal wieder eine Sachverständigen-Anhörung – Thema: »Ethische und rechtliche Aspekte von Organspenden«. Bei dieser Gelegenheit fragte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier den Berliner Transplanteur Peter Neuhaus, ob eine »Änderung des Rechtsrahmens« notwendig sei und was er denn für nötig halte, um BürgerInnen »Ängste zu nehmen und die Bereitschaft zur Spende zu fördern«. Professor Neuhaus erklärte u.a.:
»Es werden theoretische, rechtsphilosophische Diskussionen geführt, die nicht zielführend sind. Wir benötigen ein Ziel und müssen sehen, auf welchen Wegen wir dieses Ziel erreichen können. Deutschland gehöre zu jenen Staaten Europas, die die niedrigsten Organspendezahlen aufweisen. An diesem Sachverhalt müssen sowohl die Politiker als auch die Ärzte arbeiten. Aber es ist auch ein gesamtgesellschaftliches Thema. Deswegen ist es absolut richtig, die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende zu fördern. Es sollte ein ethischer Druck aufgebaut und ausgeübt werden, damit die Menschen sich mit der Thematik befassen und möglichst eine Entscheidung treffen.«
Ignorierte Tatsachen
ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin
Ignorierte Tatsachen
- Die geplante Reform des Transplantationsgesetzes wird nicht halten können, was ihre Promotoren verheißen
aus: BIOSKOP Nr. 55, September 2011, Seiten 14+15
Das Transplantationsgesetz von 1997 soll noch in diesem Jahr reformiert werden. Im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte steht vor allem die Klage über den »Organmangel«, dem mit veränderten Regeln zur Einwilligung in die »Organspende« begegnet werden soll. Ob so tatsächlich mehr Körperteile »hirntot« diagnostizierter Menschen beschaffbar sind, darf bezweifelt werden.
Die meisten ParlamentarierInnen scheinen der Linie folgen zu wollen, die Interessenvertretungen der Transplantationsmedizin seit Jahren vorgeben: Nicht ob, sondern wie mehr menschliche Nieren, Lebern und Herzen über eine Gesetzesänderung verfügbar gemacht werden können, wird diskutiert.
Im Bundestag wohl am aussichtsreichsten ist die von Politikern wie Volker Kauder (CDU) und Frank-Walter Steinmeier (SPD) geforderte »Entscheidungslösung«. Wer einen Personalausweis oder Führerschein beantragt, soll bei dieser Gelegenheit routinemäßig gefragt werden, ob er im Fall seines »Hirntodes” als Organspender zur Verfügung stehen will oder nicht. Diese »Entscheidung« soll perspektivisch auf der elektronischen Gesundheitskarte registriert werden.
Dagegen plädieren einige Landesregierungen, etwa in Hessen und Bayern, für die »Widerspruchslösung«: Jede/r soll künftig automatisch als OrganspenderIn angesehen werden, es sei denn, sie oder er hat dies zu Lebzeiten ausdrücklich abgelehnt. Auch diese Variante wird im Bundestag voraussichtlich zur Abstimmung gebracht, jedenfalls hat der SPD-Abgeordnete Fritz Rudolf Körper einen entsprechenden Gesetzesantrag angekündigt.
- Vorbild Spanien?
Zur Begründung solcher Reformpläne wird gern auf das »spanische Modell« verwiesen. Mit einer Widerspruchsregel und 34 OrganspenderInnen pro eine Million EinwohnerInnen – das sind doppelt so viele wie im europäischen Durchschnitt – gilt Spanien in Transplantationskreisen als Musterland. Viele Faktoren spielen hier eine Rolle, einige davon sind mehr als fragwürdig und werden öffentlich kaum erwähnt. So gibt es in Spanien mehr Intensivbetten als in anderen Staaten. Das erhöht die Möglichkeit, potentielle OrgangeberInnen zu identifizieren. In iberischen Kliniken arbeiten flächendeckend Transplantationskoordinatoren. An einigen Standorten bekommen diese SpezialistInnen von ihrem Arbeitgeber einen Bonus für jede realisierte Organspende, berichtet der Philosoph David Rodríguez-Arias. Und es gibt auch Regionen, wo Angehörigen von OrganspenderInnen finanzielle Vergünstigungen erhalten: Bezahlt werden die Beerdigungskosten oder die Überführung der Verstorbenen aus dem Ausland.
Trotz geltender Widerspruchsregel werden Angehörige von Hirntoten zum persönlichen Gespräch und zur Entscheidung über die Organentnahme gebeten, denn es gibt kein Register, das Widersprüche dokumentiert, und die Zahl der Organspendeausweise ist nicht sehr hoch. Nur 15 Prozent der angesprochenen Familien sagen anschließend »Nein« zur angestrebten Organspende.
In Spanien existiert keine Altersbegrenzung für SpenderInnen, fast jede/r Zweite (45 %) ist älter als 65 Jahre. Das hat Folgen: Immer mehr »marginale« Organe von alten Menschen, von SpenderInnen mit Infektionsgeschichte oder Tumorerkrankungen werden von MedizinerInnen akzeptiert und anderen alten Menschen eingepflanzt. Das erhöht die Organquote, verringert aber den Transplantationserfolg. Körperstücke für jüngere Kranke fehlen weiterhin. Die Lebendspende stieg deshalb rasant – in den Jahren 2008 und 2009 um 50 Prozent! Sogar Organe von Herztoten, explantiert zwei bis zehn Minuten nach ihrem Herzstillstand, werden verwendet, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen.
- Bemerkenswerte Aussagen
Der medizinische Chef der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) kennt die ignorierten Tatsachen des »spanischen Modells«. Professor Günter Kirste erklärte am 29. Juni während einer ExpertInnen-Anhörung im Bundestag, dass auch in Spanien in jedem einzelnen Fall mit Angehörigen von Hirntoten gesprochen werde. So weit ihm bekannt sei, werde nur in Singapur ohne Gespräche mit Angehörigen wirklich automatisch explantiert. »Insofern muss man die Frage, ob die Erfolgsbilanz in Spanien von dieser rechtlichen Regelung abhängt, eindeutig mit nein beantworten«, sagte Kirste. Zudem gäbe es auch in Deutschland Regionen wie etwa Hamburg, die 2010 mit der Spendezahl pro Million Einwohner fast »auf spanischem Niveau« waren, fügte Kirste hinzu.
Mehr Hoffnung auf mehr Organe wird mit den Transplantationsbeauftragten verbunden, die – wie in Spanien – bald flächendeckend in deutschen Kliniken potentielle OrganspenderInnen suchen und deren Angehörige routiniert befragen sollen. Das geschulte DSO-Personal erreicht mit seiner Gesprächsführung schon heute durchschnittliche Zustimmungsraten von 75 Prozent und mehr. Reden behandelnde ÄrztInnen mit Familien und FreundInnen von Hirntoten, liege die Ja-Sager-Rate bei rund 55 Prozent.
- Keine klare Analyse
Nadja Komm, Transplantationsbeauftragte am Universitätsklinikum Heidelberg, berichtete in einer weiteren Sachverständigenanhörung am 8. Juni über ihre Erfahrungen: »Es gibt keinen Hirntod von jetzt auf gleich.« Das Erkennen potenzieller OrgangeberInnen ziehe sich manchmal über Tage. »Bereits in dieser Phase«, erläuterte Komm, »kann der Transplantationsbeauftragte schon sehr effizient genutzt werden, um sowohl Angehörige vorzubereiten, als auch um zu klären, ob eine Spendereignung vorhanden ist.« Mit Angehörigen, die noch hoffen und bangen, über Organentnahmen zu sprechen, dazu bedarf es sicherlich einer besonderen Schulung.
DSO-Vorstand Kirste war auch bei dieser Anhörung gefragt. »Deutschland ist das Land in Europa mit dem höchsten Spendealter«, erklärte er den ParlamentarierInnen. Die Organe auch alter Menschen würden in den Transplantationszentren »ganz offensichtlich mit großem Erfolg verwendet«, sagte Kirste – und räumte dann ein: »Aber wir haben keine klare Analyse über die Ergebnisdaten.« Internationale Studien hätten gezeigt, dass es »gute, mittelgute und weniger gute Organe« gäbe, was zu einer »weiteren Spreizung der Ergebnisdaten nach fünf Jahren« führe.
- »Im Prinzip gar nicht zugänglich«
Dabei mangelt es an Transparenz – offenbar auch in Fachkreisen: Laut Prof. Axel Rahmel, Direktor der Organvermittlungszentrale Eurotransplant, ist die Datensammlung zu den Transplantationsergebnissen beim zuständigen Aqua-Institut »im Prinzip gar nicht zugänglich«. Und Prof. Bernhard Banas, Generalsekretär der Deutschen Transplantationsgesellschaft, führte aus, »dass nach dem jetzigen System die Transplantationszentren oft gar nicht in der Lage sind, valide Daten abzugeben«.
Was kann man aus solchen Aussagen folgern? Sicherlich dies: Die Prozeduren der Zustimmungsgewinnung, die im Zentrum der parlamentarischen und öffentlichen Debatte stehen, haben in der Praxis nur einen beschränkten Einfluss auf die Anzahl verfügbarer Organe – das gilt auch in Spanien, dem europäischen Musterland der Transplantationsmedizin. Dort wie hierzulande steigen die Transplantationsraten, besonders weil die Spendekriterien ausgeweitet werden. Ob es den Kranken wirklich dient, »marginale« Organe eingepflanzt zu bekommen, kann wissenschaftlich fundiert nicht beantwortet werden.
© Erika Feyerabend, 2011
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