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»Dafür sind wir eigentlich nicht mehr zuständig«

Dürfen Pflegekräfte sich weigern, an Organentnahmen mitzuwirken? BIOSKOP hat beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nachgefragt. Geantwortet hat, per E-Mail, Andreas Deffner vom »Referat Medienunterrichtung und Reden, Strategische Kommunikation« des BMG, Durchwahl: (01888) 441-2225. Deffners Auskünfte, eingetroffen am 25. Januar 2006, dokumentieren wir im Wortlaut:

»Ein individuelles Weigerungsrecht ergibt sich zumindest nicht aus dem Transplantationsgesetz. Es ist wahrscheinlich auch immer auf die konkreten Arbeitsvertragsregelungen zu achten. Es könnten vermutlich allenfalls Gewissensgründe geltend gemacht werden. Aber da stellt sich die Frage, ob so etwas nicht zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses mitgeteilt werden müsste. Aber dafür sind wir eigentlich nicht mehr zuständig.«



  • Transplantationsmedizin
  • Gerechtigkeit?
  • Schenkt Organspende »Leben«?
  • Nicht wirklich beruhigend
  • Weiter ohne wirksame Kontrolle
  • Verschwiegene Manipulationen
  • Notfall Organspende?
  • Ignorierte Tatsachen
  • Hirntodkriterium verfassungswidrig?
  • Sein wie Superman
  • Leben Hirntote noch?
  • »Organspende« nach Euthanasie
  • Transplantationsrecht: Kompliziert gesponnenes Netz
  • (K)ein Markt für Leichenteile
  • Ansprüche und Wirklichkeit
  • Offenbarungseid der Spendekommissionen
  • Sehr diskrete Selbstkontrolle
  • Merkwürdige Mängel
  • Denkwürdige Transplantationszahlen
  • Streit um »Hirntod«-Diagnostik
  • »Leben schenken«
  • Staatlich organisierter Organkauf
  • »Organspender bleiben hier final«
  • Transplantation und Gewissen

  • »Organspende«-Tests bei Lebenden?
  • Organentnahme ohne Einwilligung
  • »Ich schenke dir meine Niere« - BILD war dabei
  • »Cross-Over«-Transplantationen
  • Wachstumsorientierte Aufklärung
  • Schwerwiegende Komplikationen
  • Durchlässige Körper
  • Exklusive Mail von der DSO
  • Masterplan der DSO?
  • Organpolitik anders befragt - ein Tagungsbericht


  • ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

    Muss ich das wirklich tun?

    • Wenn Arbeitsaufträge das Gewissen strapazieren, ist das Klinikpersonal dringend auf Unterstützung angewiesen

    aus: BIOSKOP Nr. 33, März 2006, Seite 3

    »Organspenden« erfolgen hierzulande freiwillig – zumindest verlangt dies das Transplantationsgesetz. Auch wenn die Lobby es gern anders sähe: Wer seine Haltung nicht dokumentiert hat, über den kann im Falle des »Hirntods« nicht einfach als Körperteil-Geber verfügt werden. Und Angehörige haben das Recht, bewusst »Nein« zur Organentnahme zu sagen. Gilt das auch für Pflegekräfte?

    Im Klinikalltag assistieren OP-Schwestern und -Pfleger bei Operationen, um die Situation von PatientInnen möglichst zu verbessern. Nach einem Eingriff werden die Kranken versorgt und – im besten Fall – wieder gesund. Körperteile aber werden Menschen entnommen, die juristisch und medizinisch als »tot« gelten, wenngleich sie erst im Laufe der Explantation sinnlich wahrnehmbar zur Leiche werden.

    Der Eingriff nützt nicht den PatientInnen auf dem Operationstisch, sondern soll unbekannten Dritten dienen. Fraglich ist: Gehören Operationen, die juristisch und nach medizinischer Definition als Sektionen bezeichnet werden können, überhaupt zu den beruflichen Pflichten des OP-Personals? Und: Gibt es in solchen, hoch problematischen Grenzbereichen der Medizin ein individuelles Weigerungsrecht derjenigen, die eigentlich heilen, lindern, versorgen, pflegen sollen ? Zu diesen Fragen steht im Transplantationsgesetz nichts. Das Bundesgesundheitsministerium fühlt sich nicht zuständig. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), hierzulande zuständig für Organisation und Koordination von Körperteilentnahmen, hat auch keine Antworten.

    Ob und wie viele Pflegekräfte sich – erfolgreich oder vergeblich – weigerten, scheint noch niemand untersucht zu haben.

    Explantationen sind, verglichen mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, eher selten. 2005 wurden laut DSO-Statistik 1.220 Menschen hierzulande 3.778 Organe entnommen. Ob und wie viele Pflegekräfte sich – erfolgreich oder vergeblich – weigerten, scheint noch niemand untersucht zu haben. Arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen sind bislang auch nicht bekannt geworden. Meist werden sich wohl KollegInnen finden, die bei Explantationen mitarbeiten wollen, können oder meinen, dies tun zu müssen. Und: Wer will schon eine Kündigung riskieren wegen Arbeitsverweigerung?

    Gewissen und Arbeitsauftrag können sich im Medizinbetrieb auch anderswo widersprechen. Zum Beispiel: Dürfen Hebammen ablehnen, bei Spätabtreibungen mitzuwirken? Müssen Pflegekräfte die ärztliche Anweisung ausführen, die Ernährung abzubrechen bei Menschen, die bewusstlos, verwirrt oder im Wachkoma leben? Rechtlich gesehen, müssen sie dies wahrscheinlich nicht. Jedenfalls hat der Bundesgerichtshof im Juni 2005 festgestellt, die »strafrechtlichen Grenzen« von Sterbehilfe seien »bislang nicht hinreichend geklärt«. Und niemand könne gezwungen werden, etwas zu tun, womit er Gefahr laufe, gegen das Strafgesetzbuch zu verstoßen. Anlass war der Fall eines Wachkomapatienten. Der Vater wollte erreichen, dass ÄrztInnen und Pflegekräfte die Ernährung seines Sohnes stoppen _(Siehe BIOSKOP Nr. 31.

    Handeln, bevor der Konflikt da ist.

    Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen ist gewiss nicht risikolos, aber in Einzelfällen gerichtlich zugestanden worden. So haben Arbeitsgerichte festgestellt, Angestellte könnten nicht gezwungen werden, sich an militärisch nutzbaren Forschungen zu beteiligen; auch dürfe sich ein Beschäftigter weigern, am Verbreiten neonazistischer Propaganda mitzuwirken. Doch welche Bedeutung haben persönliche Bedenken an Arbeitsplätzen, die mit ambivalenten Heilungsversprechen, Therapiechancen und Leidvermeidungen das Gewissen strapazieren?

    Problembewusste Berufsverbände und Gewerkschaften sollten handeln, bevor es zum handfesten Konflikt kommt. Sie könnten nachdenkliche und weniger robuste Beschäftigte unterstützen, indem sie offensiv für ein Weigerungsrecht eintreten. Und sie könnten auch zu Diskussionen und juristischen Klärungen beitragen – beispielsweise mit Hilfe von Fachgutachten. So könnten Schwestern und Pfleger wenigstens einigermaßen verlässlich wissen, inwieweit sie sich auf ihr Gewissen berufen können. Bei Ungewissheit dominieren Existenzängste, Krankenhaushierarchien und der Wille zum reibungslosen Verfahren – auch in hoch problematischen medizinischen Grenzgebieten.

    © Erika Feyerabend, 2006
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