Weiter ohne wirksame Kontrolle
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Nachdenken über Organspende
Transplantationsmedizin und ihre Akteure sind umstrittener denn je. Um aufzuklären und Diskussionen anzuregen, haben BioSkop, Hospizvereinigung OMEGA und Arbeitskreis Frauengesundheit gemeinsam ein neues Faltblatt erstellt.
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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP
Weiter ohne wirksame Kontrolle
- Neues Transplantationsgesetz lässt alte Missstände bestehen
aus: BIOSKOP Nr. 58, Juni 2012, Seite 3
Der Bundestag hat das Transplantationsgesetz (TPG) reformiert, mit dem Ziel, mehr Organe zu beschaffen. Deshalb müssen die Krankenkassen künftig ihre Mitglieder regelmäßig anschreiben, um sie zu bewegen, freiwillig einen »Organspende«-Ausweis auszufüllen. Transparenter soll das Transplantationswesen aber nicht werden.
Am 25. Mai, direkt nach der Abstimmung im Bundestag, atmete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) öffentlich auf: Ihr Medizinischer Vorstand, Prof. Günter Kirste, der 2013 in Pension geht, begrüßte die verabschiedeten Neuregelungen als »große Chance«. Wichtiger noch als die neu eingeführte »Entscheidungslösung« findet Kirste, dass künftig alle Kliniken mit Intensivstationen einen Transplantationsbeaufragten bestellen müssen.
Die TPG-Reform hätte anders ausgehen können für die Stiftung, die hierzulande die Organspenden organisieren darf. Denn seit Oktober 2011, nach anonymen Vorwürfen angeblicher MitarbeiterInnen, stand die DSO in der öffentlichen Kritik – BIOSKOP hat fundierte Recherchen laufend dazu beigetragen.
- Eine Farce
Einen Monat vor der Berliner Abstimmung trat die DSO eine Art Flucht nach vorn an. Erst gab sie den Rücktritt ihres Kaufmännischen Vorstands bekannt. Dann kündigte der Stiftungsrat einen »Masterplan« an. Vorgesehen sei zum Beispiel eine »transparentere Darstellung der wirtschaftlichen Ergebnisse«. Bisher versteckt die gemeinnützige Stiftung ihre Bilanzen vor der Öffentlichkeit – weshalb man nicht weiß, wie viele Millionen die DSO genau einnimmt und wofür sie das Geld im einzelnen ausgibt. Relevant ist auch, welche Beträge für Lobbyismus pro Organspende auf welcher Rechtsgrundlage bezahlt werden.
Ein spezielles Verständnis von Transparenz zeigt der Umgang mit einer »forensischen Sonderuntersuchung«, die der DSO-Stiftungsrat als Reaktion auf anhaltende Vorwürfe veranlasst hatte. Das Gutachten von Wirtschaftsprüfern, das den DSO-Vorstand eigentlich vollständig entlasten und 76 Anlagen enthalten soll, wurde bis heute nicht komplett veröffentlicht. Nur ausgewählte PolitikerInnen mit Elefantengedächtnis hätten in Berlin mal reinschauen können, denn Kopien durften sie nicht anfertigen.
Diese Farce zeigt, wie eine private Stiftung mit gewählten Abgeordneten umspringen kann. Einige aus den Fraktionen von Linken und Grünen kamen schließlich zur Einsicht, dass man das Problem grundsätzlich angehen und die Koordinierungsstelle DSO neu strukturieren müsse, etwa als Behörde oder Anstalt öffentlichen Rechts. Doch für solche Reformen, die demokratische Kontrolle zumindest formal ermöglichen würden, gibt es im Bundestag keine Mehrheit.
- Viel zu diskret
Sehr diskret dürfen auch deutsche Transplantationszentren agieren. Wer wissen will, ob sie stets korrekt handeln, soll den Tätigkeitsberichten der Bundesärztekammer (BÄK) vertrauen. Das Exemplar für 2011 bilanziert auf gut einer Seite die Arbeit der so genannten Prüfungskommission; angesiedelt bei der BÄK, soll das Gremium gemäß TPG Auffälligkeiten bei der Organvermittlung untersuchen.
Das tun die Prüfer »in regelmäßigen Abständen stichprobenartig«, seit dem Jahr 2000 seien ihnen insgesamt 119 klärungsbedürftige Vorgänge bekannt geworden; 115 davon haben sie »abschließend beurteilt«, in der »überwiegenden Zahl der Fälle« stellten sie »Probleme der Qualitätssicherung« fest. Außerdem liest man: »In einem der noch anstehenden Fälle ermittelt die Kommission allerdings wegen erheblicher Richtlinienverstöße.« Was genau passiert ist, welche PatientInnen wo, wie und warum benachteiligt oder bevorzugt wurden, ob es Konseqenzen gab – all dies erfährt man nicht von BÄK und Prüfungskommission, in der neben Medizinern und Juristen auch Vertreter der gesetzlichen Krankenversicherung mitwirken.
- Es geht auch anders
Eine klare gesetzliche Vorgabe, »im Einzelfall konkret das Verhalten der Transplantationszentren selbst zu überprüfen«, habe die Kommission leider nicht, bemängelt der Strafrechtler Hans Lilie. Der Professor aus Halle ist nebenbei auch Vorsitzender der Ständigen BÄK-Kommission Organtransplantation, die Kriterien für Organwartelisten definiert.
BÄK-Berater Lilie weiß, dass die Rechtslage auch ganz anders aussehen könnte. Das zeigt ein Blick in die Schweiz, wo das Bundesamt für Gesundheit beaufsichtigen muss, ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Behörde dürfe »periodische Inspektionen durchführen« und sogar unangemeldet Grundstücke, Betriebe, Räume und Fahrzeuge betreten. Bei Gesetzesverstößen drohen laut Lilie empfindliche Sanktionen, von Beanstandungen über Organbeschlagnahmen bis zur Schließung ganzer Transplantationszentren.
Weder Bundestag noch BÄK-Vorstand oder Ärztetag haben Maßnahmen nach Schweizer Vorbild bisher öffentlich in Erwägung gezogen.
© Klaus-Peter Görlitzer, 2012
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