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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Gerechtigkeit?

  • Grundsätzlich nachdenken über die Zuteilung menschlicher Organe

aus: BIOSKOP Nr. 70, Juni 2015, Seite 5

Die Transplantationsmedizin stützt sich auf Annahmen, die in den Werbebotschaften pro »Organspende« meist nicht so ausgesprochen werden wie hier formuliert: Körperteile »hirntoter« Menschen gelten aus Perspektive von Chirurgen und Multiplikatoren in Verbänden, Medien und Politik als Ressource, und verpflanzbare Nieren, Herzen, Leberstücke sollen so etwas sein wie ein Medizinprodukt oder Medikament, das schwer Kranken neue Lebenschancen eröffnet. Dabei ist die Definition, der zufolge »Hirntote« bereits tot sind, wissenschaftlich umstrittener denn je – die begründeten Zweifel sollten schon Grund genug dafür sein, diesen Zweig der Medizin komplett in Frage zu stellen.

Lässt man sich jedoch auf eine Logik ein, die das Verpflanzen von Organen »Hirntoter« legitim und wünschenswert findet, gibt es mindestens einen weiteren zentralen Grund, »Nein« zur Organspende zu sagen: Bei der – ja durchaus aufwändig organisierten –­ Zuteilung von Körperstücken an wartende PatientInnen gibt es keine Gerechtigkeit!

  • Nicht beliebig beschaffbar

Um dies zu erkennen, muss man nicht erst auf Manipulationen schauen wie in Göttingen und vielleicht bald auch anderswo vor Gericht verhandelt. Es reicht, Propagandisten beim Wort zu nehmen, die kommunizieren, täglich würden in Deutschland drei Menschen auf der Warteliste sterben, weil sie nicht rechtzeitig ein fremdes Organ erhalten hatten. Der behauptete Kausalzusammenhang ist zwar Unsinn, denn niemand stirbt am »Mangel« von Organen; ursächlich für den Tod sind schlimme Krankheiten. Aber zur Kenntnis nehmen sollte man schon, dass mit Aufnahme auf die Warteliste schwer kranke PatientInnen in unsichtbare Konkurrenz gesetzt werden – um eine Therapieoption, die von vorneherein nicht für alle Gelisteten zur Verfügung stehen kann; Organe sind nicht beliebig beschaffbar.

  • Ungleichbehandlung programmiert

Für Fairness bei der Zuteilung sollen Regeln sorgen, definiert von der Bundesärztekammer (BÄK) aufgrund der im Transplantationsgesetz vorgegebenen, sich aber widersprechenden Kriterien »Erfolgsaussicht« und »Dringlichkeit«, wonach die Rangliste geeigneter Patienten aufzustellen sei. Egal, wie die BÄK es versucht: An dieser Aufgabe kann sie nur scheitern. Wer eine Reihenfolge konstruiert für eine Therapieoption, die nach Logik der Transplantationsbefürworter für alle Gelisteten überlebensnotwendig sein soll, rechtfertigt Ungleichbehandlung, die es so krass in anderen Bereichen der Medizin im »Sozialstaat« Deutschland nicht gibt.

Zu verantworten hat dieses Dilemma der Gesetzgeber, doch der versteckt sich einfach hinter einem kompliziert gesponnenen Netz, das er selbst produziert hat. Das Göttinger Urteil spricht erneut an, was diverse Rechtsgelehrte seit Jahren anmahnen: Die Politik muss die Organvermittlung in staatlicher Regie organisieren – und endlich klar regeln, wie Zuteilungen vor ordentlichen Gerichten überprüft werden können, wenn PatientInnen sich ungerecht behandelt fühlen.

  • Klagen und Bewusstsein

Das ist ein heißes Eisen: Jede derartige Klage, öffentlich verhandelt, könnte darauf aufmerksam machen, wie ungerecht es tatsächlich zugeht. Und auch ins Bewusstsein rufen, was da eigentlich als »gespendete« Ressource wie selbstverständlich beansprucht wird.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2015
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