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ANNEGRET BRAUN, Leiterin der PUA-Beratungsstelle zu vorgeburtlichen Untersuchungen beim Diakonischen Werk Württemberg

Im Prinzip freiwillig, aber…

  • Finanzieller und psychischer Druck fördern Ultraschall-Untersuchungen bei Schwangeren

aus: BIOSKOP Nr. 10, Juni 2000, Seite 11

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, wurde 1996 der Abrechnungsmodus für die Schwangerenvorsorge geändert. Die Folgen bekommen ÄrztInnen und Frauen zu spüren, die auf Ultraschalluntersuchungen verzichten wollen: Die einen werden finanziell, die anderen psychisch unter Druck gesetzt. Dagegen wehrt sich ein Frauenarzt nun mit juristischen Mitteln – noch ohne Erfolg.

Bekamen GynäkologInnen früher jede erbrachte Leistung einzeln vergütet, so wird seit 1996 pauschal pro Quartal abgerechnet. Das bedeutet: Der Aufwand für die Vorsorgeuntersuchungen nur noch dann erstattet wird, wenn die Frauenärztin nachweisen kann, dass sie sämtliche Leistungen erbracht hat, die in den Mutterschaftsrichtlinien vorgeschrieben sind. Die einschlägige Gebührennummer 100 EBM nennt unter anderem auch »Ultraschallüberwachung mit Bilddokumentation(en)«. Will die Schwangere keinen Ultraschall an sich vornehmen lassen, kann ihre Ärztin nicht nach EBM 100 abrechnen und muss erhebliche finanzielle Verluste hinnehmen.

  • Außer Acht gelassen

Die meisten Schwangeren wünschen alle »Vorsorgeuntersuchungen«, Ultraschallbilder inklusive. Sie erhoffen sich so die Verstärkung des Grundgefühls, »dass alles gut gehen wird«. Außer Acht wird dabei oft gelassen, dass gerade Ultraschallbefunde auch verunsichern und Angst machen können, wenn sie auf eine Unregelmäßigkeit hinweisen oder den Verdacht auf eine Fehlbildung des Ungeborenen begründen. Dann greift der ganze Automatismus der Pränatalen Diagnostik (PND).Tests folgen, um den Verdacht zu erhärten oder zu entkräften. Falls der Befund auf Krankheit oder Behinderung des Ungeborenen lautet und – wie meist – keine therapeutischen Hilfen möglich sind, droht das Trauma des Vorherwissens und der Entfremdung des Kindes – eine Phase, die nicht selten den Abbruch der Schwangerschaft zur Folge hat.

Werdende Mütter und Eltern, die ihr Kind ohne Wenn und Aber bekommen wollen und nicht die ganze Angebots-Palette der Schwangerenvorsorge und PND in Anspruch nehmen wollen, haben es schwer, sich durchzusetzen. Dies gilt besonders, wenn Vorsorge und PND ineinander greifen und schwer auseinander zu halten sind – etwa beim zweiten Ultraschall zwischen der 20. und 22. Schwangerschaftswoche.

  • Belastete Beziehung

Wenn nicht nur dem haftungsrechtlichen Absicherungsbedürfnis des Arztes nachgekommen werden muss, sondern auch wirtschaftlicher Druck durch die Abrechnungsweise entsteht, führt dies unweigerlich zur Belastung der Beziehung zwischen Arzt und Schwangeren. Welche Frau kann schon der Tatsache standhalten, dass ihr Arzt, nur weil sie keinen Ultraschall will, für bereits erbrachte und noch zu erbringende Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen nicht die entsprechende finanzielle Aufwandsentschädigung von der Kasse bezahlt bekommt, weil er nicht nach 100 EBM abrechnen kann? Schuldgefühle und Angst vor einem gestörten Vertrauen zum Arzt lassen den Frauen praktisch keine freie Wahl und Selbstbestimmung.

Am 15. Dezember 1999 hat das Sozialgericht Karlsruhe die Klage eines Arztes gegen die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordbaden auf Kostenerstattung gemäß Gebührennummer 100 EBM abgewiesen. Der Mediziner hatte bei zehn Schwangeren keinen Ultraschall vorgenommen, die übrigen Vorsorgeleistungen aber hatte er erbracht. Die Frauen hatten das »Ultraschall-Screening zur Feststellung embryopathischer Schädigungen« aus Gewissensgründen abgelehnt.

  • Es gibt eine Alternative

In der spitzfindigen Urteilsbegründung des Karlsruher Sozialgerichts erfährt man, dass gemäß Mutterschaftsrichtlinien Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden sollen, also im Prinzip freiwillig sind, gleichzeitig aber »als integraler Bestandteil der Geb.-Nr. 100 EBM statuiert« und somit Pflicht seien. Gegen das Karlsruher Urteil hat der klagende Arzt nun Berufung beim Landessozialgericht eingelegt, wann in Stuttgart verhandelt wird, steht noch nicht fest. Für Frauen, die sich dem PND-Automatismus entziehen wollen, gibt es eine Alternative, die ihnen in der Regel mehr Selbstbestimmung lässt: die Schwangerenvorsorge durch Hebammen. Zu dieser Berufsgruppe sehen sich ÄrztInnen oft in Konkurrenz. Darüber sollten sie sich aber nicht beschweren, solange sie zulassen, dass ihre Funktionäre solche Abrechnungsformen mit den Krankenkassen aushandeln.

© Annegret Braun, 2000
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NACHTRAG

Am 24. Januar 2001 hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg die Berufung des klagenden Arztes gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Dezember 1999 zurückgewiesen. Zur Begründung schrieb das Landessozialgericht u.a.: »Da das Ultraschall-Screening, das in den beanstandeten Behandlungsfällen im Quartal 2/98 beziehungsweise im Quartal 3/98 aufgrund der Mutterschafts-Richtlinien hätte durchgeführt werden müssen, vom Kläger nicht erbracht worden ist, hat er die Betreuung der Schwangeren nicht entsprechend den Mutterschafts-Richtlinien (vollständig) vorgenommen und damit den Leistungsinhalt der Gebührennummer 100 EBM nicht (vollständig) erfüllt, so dass er insoweit keinen Anspruch auf Vergütung der Geb.-Nr. 100 EBM hat.« (Aktenzeichen: L 5 KA 409/00)