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ANNEGRET BRAUN, Leiterin der PUA-Beratungsstelle zu vorgeburtlichen Untersuchungen beim Diakonischen Werk Württemberg

Tödliche Neutralität

  • Vorgeburtliche Diagnostik und ärztliche Beratung

aus: BIOSKOP Nr. 41, März 2008, Seiten 7+8

Erfahrungen mit vorgeburtlichen Untersuchungen zeigen: Frauen und Paare sind verunsichert – und ihre Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft wird maßgeblich beeinflusst durch die Erst-Information von ÄrztInnen. Ein einheitliches Maß für Qualität kann es hier nicht geben, aber mehr Reflexion.

Die per Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchung oder Chorionzottenbiopsie begründete Diagnose, ein Kind mit einer Behinderung zu erwarten, trifft werdende Eltern hart. Sie befinden sich im seelischen »Aus«, wenn sie entscheiden sollen, ob sie die Schwangerschaft mit einem gewollten Kind fortsetzen oder abbrechen sollen. Viele erwarten Hoffnung und Halt von GynäkologInnen – meist vergeblich.

Mit der Diagnose wird erläutert, dass 95 Prozent aller Betroffenen in vergleichbarer Situation die Schwangerschaft abbrechen.

Meiner Erfahrung nach beginnt hier schon, flankiert von der vermeintlichen Neutralität medizinischer Begriffe, der tödliche Verlauf. So berichten mir fast alle Frauen: Mit der Diagnosemitteilung wird erläutert, dass 95 Prozent aller Betroffenen in vergleichbarer Situation die Schwangerschaft abbrechen. Viele »wählen« den Abbruch nicht allein in Folge einsamer »Selbstbestimmung«. Wenn FrauenärztInnen unverzüglich das mögliche äußere Erscheinungsbild, den Krankheitswert, die Defizite und Normabweichungen betonen, bleibt kaum Spielraum für andere Vorstellungen.

Zu was werden Frauen und Paare ermutigt, wenn ihnen Sätze wie die folgenden gesagt werden: »In meiner 30-jährigen Berufspraxis habe ich nie ein Paar erlebt, dass sich bei so einem Befund für ein Austragen entschieden hat.« Oder: »Das Kind wird so oder so sterben, ersparen sie ihm und sich diesen langen Weg.« Oder: »Die Gefahren, dass Sie eine Gestose entwickeln und ein Kaiserschnitt erforderlich wird oder eine Frühablösung der Plazenta, sind bei so einer Risikoschwangerschaft höher.« Es kommt auch vor, dass MedizinerInnen den Abbruch ganz direkt empfehlen.

Die Möglichkeiten eines gelingenden Lebens, geschildert im ärztlichen Beratungsgespräch, beschränken sich oft auf die Information, dass »solche Kinder ganz nett sind, manche Familie sich dadurch bereichert fühlt und heutzutage gute Förderungen möglich sind«. Meist folgt den positiven Schilderungen umgehend ein »Aber«, “dass man zum Beispiel im Voraus nicht weiß, ob das Kind die Familie durch eine nicht so erwartete, ausgeprägtere Behinderung doch mehr belastet und schon vorhandene Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden, oder ob die Ehe scheitert«. Oder: »In meiner Praxis sehe ich die alleinstehenden Frauen mit behinderten Kindern, wie sie an den Grenzen ihrer Kräfte sind…«

Über die medizinischen Seiten des Abbruchs sind die betroffenen Schwangeren nach medizinischer Aufklärung einigermaßen im Bilde, die psychischen Folgen werden meist nur in ein, zwei Sätzen angesprochen.

Eine mir bekannte Frau, die ein Kind mit Trisomie 18 erwartete, entschied sich gegen den Abbruch. In der 34. Schwangerschaftswoche wurde ihr eine vorzeitige Geburtseinleitung, sprich ein Abbruch der Schwangerschaft, dennoch dringend empfohlen, da der Kopf des Kindes möglicherweise noch wachsen und im Becken stecken bleiben könnte. In 25 Jahren klinischer Berufserfahrung habe ich noch kein einziges Kind mit Trisomie 18 erlebt, das einen zu großen Kopfumfang hatte. Im Gegenteil: Eines der Symptome ist ein kleiner Kopf. Das Kind starb kurz nach der Geburt, die Prozedur bis dahin hatte volle sechs Tage gedauert.

Ärztliche Aufgabe ist es zu heilen, zu lindern und – wenn nötig – in den Tod zu begleiten. Das muss auch für Kinder mit Behinderung ohne Einschränkung gelten. Nicht der Abbruch, sondern alle Aspekte des Lebens mit Behinderung müssen im Zentrum der Beratung stehen. Sie bieten die Basis für eine Entscheidung, in welche Richtung auch immer. Erst dann kann auch eine tragfähige Entscheidung, die eventuell auf eine Beendigung der Schwangerschaft hinausläuft, durchgestanden und verarbeitet werden. Denn nur wenn alles ausgelotet ist, kann sich der Abbruch als letzter Ausweg erweisen. Um die psychischen Folgen solcher Entscheidungen wissen nur wenige ÄrztInnen. Die Diagnose Trisomie 21 (Down-Syndrom) etwa wird, statistisch gesehen, bei einer von 700 Schwangerschaften gestellt. Dies bedeutet: In vielen Frauenarztpraxen bei durchschnittlich 70-100 Schwangeren im Jahr kommt dies jahrelang gar nicht vor. Andere Fehlbildungen sind noch seltener. Über die medizinischen Seiten des Abbruchs sind die betroffenen Schwangeren nach medizinischer Aufklärung einigermaßen im Bilde, die psychischen Folgen werden meist nur in ein, zwei Sätzen angesprochen.

Noch deutlicher wird zuweilen auf Fachkongressen geredet.

Selbst wenn Eltern einen Abbruch ablehnen oder zumindest noch sehr schwankend sind, gibt es SpezialistInnen, die dies nicht respektieren wollen. So konnte es zu dieser perversen Begründung kommen: »Sie wollen dieses kranke Kind und das alles doch nicht mit in die Weihnachtszeit mitnehmen, das sollten wir vorher lösen.«

Noch deutlicher wird zuweilen auf Fachkongressen geredet. Zum Beispiel der Londoner Professor Kypros Nicolaides, Begründer der Nackentransparenzmessung und des Ersttrimester-Screenings, das bezweckt, Kinder mit Entwicklungsstörungen frühzeitig herauszufiltern. Im Januar 2004 verkündete Nicolaides in Ludwigsburg auf dem 3. Baden-Württembergischen Kongress für Pränatalmedizin vor über 600 ÄrztInnen, sein Ziel sei es, ganz England frei von Down-Syndrom und Spina bifida (gespaltene Wirbelsäule) zu machen. Er erntete brausenden Beifall.

© Annegret Braun, 2008
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