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Appell an Politik und Ärzteschaft

Die Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland ist eine Selbsthilfeorganisation von Frauen und Mädchen, die mit der seltenen, nach den Ärzten Henry Turner und Otto Ullrich benannten Chromosomenveränderung leben. Erklärtes Ziel der Organisation: Sie möchte Schwangeren, die von der Diagnose »Ullrich-Turner-Syndrom« erfahren haben, beistehen und ihnen per Erfahrungsaustausch und Aufklärung Mut machen, das Kind zur Welt zu bringen.

Am 30. Mai 2013 meldete sich die Turner-Syndrom-Vereinigung mal wieder öffentlich zu Wort – mit einer kritischen Stellungnahme zur Einführung des pränatalen »Panorama-Tests«. »Da eine Fehlverteilung der Chromosomen nicht behandelt werden kann«, heißt es in der Stellungnahme, »stellt sich die Frage nach dem Sinn eines solchen Tests.« Die neue Diagnosemöglichkeit drohe ein »weiterer Schritt hin zur perfekten Selektion« von Menschen mit Behinderung zu werden. »Wollen wir wirklich eine Gesellschaft, in der alles, was von der ‘Norm’ abweicht, nicht mehr akzeptiert wird?«, fragt die Turner-Syndrom-Vereinigung – und gibt ihre praktische Antwort: »Wir wollen die Ärzteschaft und die Politik dazu aufrufen, diesen Test aus ethischen Gründen nicht anzuwenden bzw. dessen Vertrieb zu untersagen!«


Ein Ethikrat, drei Voten

Der Deutsche Ethikrat hat Ende April 2013 eine über 200 Seiten lange Stellungnahme zur »Zukunft der genetischen Diagnostik« veröffentlicht. Das Papier, erstellt im Auftrag der Bundesregierung, gibt auch diverse Empfehlungen zur Pränataldiagnostik. Dabei sind sich die ExpertInnen keineswegs einig, was auch der offiziellen Pressemitteilung zu entnehmen ist. Leseprobe:

»Die Mehrheit der Mitglieder des Ethikrates verlangt darüber hinaus, die Durchführung einer genetischen Pränataldiagnostik an das Vorliegen eines erhöhten Risikos für eine genetisch bedingte Störung zu binden. Es soll sichergestellt werden, dass keine nicht krankheitsrelevanten genetischen Informationen über das Ungeborene und auch keine bloßen Anlageträgerschaften ohne gesundheitliche Relevanz für das Kind mitgeteilt werden. […]

Hiervon abweichend fordern acht Ratsmitglieder in einem Sondervotum, dass der Schwangeren der Zugang zu genetischen Informationen über das Ungeborene nicht erschwert wird, wenn sie diese als unentbehrlich für ihre verantwortliche Entscheidung ansieht. […]

In einem weiteren Sondervotum fordern vier Ratsmitglieder, dass nichtinvasive pränatale Gentests weder durch öffentliche Fördermittel unterstützt noch in den Leistungskatalog der gesetzlichen und privaten Krankenkassen aufgenommen werden sollen, weil dies im Widerspruch zu der im Rahmen der UN-Behindertenkonvention eingegangenen Verpflichtung stehe, die Rechte von Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen umfassend zu schützen.«



ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Verunsichernde Angebote

  • Nach Etablierung des PraenaTests werben mehrere Firmen für ähnliche Gen-Checks – zunächst bei FrauenärztInnen

aus: BIOSKOP Nr. 62, Juni 2013, Seiten 6+7

Der 2012 eingeführte »PraenaTest« der Firma LifeCodexx hat heftige öffentliche Debatten ausgelöst. Eher unauffällig, nämlich in Fachkreisen, preisen weitere Testanbieter noch mehr Verfahren an, die genetische Normabweichungen beim Ungeborenen frühzeitig erkennen sollen.

Wenn neue Medizinprodukte auf den Markt kommen, versprechen die Hersteller regelmäßig ziemlich viel. So auch beim molekulargenetischen PraenaTest, der Frauen ab der zwölften Schwangerschaftswoche angeboten wird: Per Analyse der DNA im Blut der Schwangeren könne das LifeCodexx-Verfahren mit bis zu 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob sie ein Kind mit Trisomie 21 erwarte (Siehe BIOSKOP Nr. 59). Frühere Gewissheit, weniger Fruchtwasseranalysen mit gefürchteten Fehlgeburtsrisiken und weniger belastende, späte Schwangerschaftsabbrüche seien die Folge des Genchecks.

Bei genauerer Betrachtung relativieren sich die angekündigten Vorteile. Der Bluttest ist keine sichere Diagnose. Wie das Erst-Trimester-Screening in der frühen Schwangerschaft, mit dem Alter, Ultraschallbilder und Blutwerte zu einer Risikoziffer verrechnet werden, ergibt auch der PraenaTest nur »Wahrscheinlichkeiten«, die zusätzlich durch eine Fruchtwasseruntersuchung abgeklärt werden sollten. Erst danach kann eine verlässliche Diagnose vorliegen.

  • Mit Vorsicht zu lesen

Die Angaben des Anbieters zur Präzision des Tests sind mit Vorsicht zu lesen. Denn die Beweisführung basiert vor allem auf unternehmensfinanzierten klinischen Studien mit Frauen, die als »hochriskant« eingestuft waren. Wie die behauptete »Treffsicherheit« in der Praxis der FrauenärztInnen tatsächlich aussehen wird, kann bisher nicht seriös gesagt werden.

Die späten, sehr belastenden Abbrüche – in der Regel wird der Fötus im Frauenleib getötet und eine Geburt jenseits der 20. Schwangerschaftswoche eingeleitet – sind meistens Befunden geschuldet, die beim etablierten »Fehlbildungsultraschall« um den fünften Monat entstehen. Der Bluttest wird in absehbarer Zeit aber weder das Erst-Trimester-Screening ersetzen, noch die gefahrvollen invasiven Fruchtwasseranalysen oder Chorionzottenbiopsien vermeiden können.

Das etablierte Screening wird zwar wegen vieler unzutreffender Ergebnisse – besonders fälschlich vermuteter Trisomien – kritisiert. Dennoch erscheint es vielen ÄrztInnen und Frauen attraktiv, weil auf den Ultraschallbildern noch einiges mehr erkennbar ist – nicht nur genetische Auffälligkeiten. Die invasiven Diagnoseverfahren gelten weiterhin als »Goldstandard« vorgeburtlicher Diagnostik. Der umstrittene PraenaTest wird zusätzlich angeboten, als private Dienstleistung (Preis: 800 bis 1.250 Euro) für zahlungskräftige Frauen, die in den nächsten Jahren als Studienteilnehmerinnen die Beweiskraft des molekulargenetischen Verfahrens untermauern sollen.

Derzeit halten rund 150 Arztpraxen und Pränatalzentren den PraenaTest bereit, etwa 2.000 Frauen sollen ihn in Anspruch genommen haben. Seit diesem Jahr umfasst die Analyse zusätzlich auch die Trisomien 13 und 18. Laut Pressemitteilung des Herstellers wird der Test nun in über 30 Ländern in Europa und Asien verkauft.

  • Erweiterte Angebotspaletten

LifeCodexx hat viel Aufsehen erregt, doch sein Angebot ist nicht einzigartig. Diverse Konkurrenten versuchen, den pränatalen Test-Markt zu erobern. Zum Beispiel die Firmen Amedes und Natera: Deren so genannter Panorama-Test wird derzeit in Fortbildungsveranstaltungen für FrauenärztInnen vorgestellt. Erkennen soll er Trisomien der Varianten 21, 18, 13 sowie das Turner-Syndrom. Mädchen mit dieser genetischen Veränderung sind in ihrem späteren Leben oft unfruchtbar und kleiner als ihre Altersgenossinnen, in ihrem täglichen Leben aber wenig beeinträchtigt.

Der Panorama-Test wird seit Mitte April in Deutschland zum Preis von 635 Euro vermarktet; die Analysen werden in den Natera-Labors in Kalifornien durchgeführt. So musste sich der deutsche Anbieter Amedes keine teuren Geräte anschaffen, und auch das Verfahren selbst ist billiger. Anders als bei der Next-Generation-Sequencing-Methode in den Konstanzer LifeCodexx-Labors muss nicht das gesamte fetale Genom rekonstruiert werden, um mögliche Veränderungen zu finden. Analysiert werden 19.500 so genannte Polymorphismen, die den Geschlechtschromosomen sowie 13,18, 21 humangenetisch zuortbar sind.

Prinzipiell können auch Varianten auf dem Y-Chromosom getestet werden – beispielsweise das Klinefelter-Syndrom, das oft erst auffällt, wenn junge Männer Kinder zeugen wollen, aber unfruchtbar sind. Der Amedes-Humangenetiker Bernd Eiben erwartet, dass nicht nur die Anzahl der fetalen Chromosomen oder große Bruchstücke in naher Zukunft erkannt werden, sondern auch kleinste Veränderungen und Duplikationen, die mit genetischen Abweichungen oder Erkrankungen verknüpft seien. Auf dem Programm stünden das Katzenschrei-Syndrom auf Chromosom 5, aber auch Mukoviszidose oder Chorea Huntington. Schon im Sommer 2012 hätten Wissenschaftler die erste vollständige Genomanalyse durch Rekonstruktion der fetalen DNA-Anteile aus dem mütterlichen Blut in der 18./19. Schwangerschaftswoche gemeldet, erläuterte Professor Eiben auf einer Fortbildung für GynäkologInnen. Vorliegende Studien zeigten deutlich die vielfältigen Möglichkeiten einer fetalen DNA-Analyse aus dem mütterlichen Blut, »die die Pränatalmedizin und das heute dort angewandte Methodenspektrum stark verändern wird«.

  • Endverbraucherin im Fokus

Ein weiterer Test, genannt Harmony und entwickelt von der kalifornischen Firma Ariosa, soll über einen Online-Shop für 998 Euro auf der Homepage www.trisomietest.de demnächst zu erwerben sein. Direktvermarktungen dieser Art gibt es bereits für Erwachsene, die ihr Krebs- oder Infarkt-Risiko mittels Gentests meinen erfahren zu können – mit zweifelhaftem Prognosewert allerdings. Mit der Analyse freier fetaler DNA und entsprechenden Anbietern ist der Weg in die rein private Pränataldiagnostik prinzipiell geebnet.

Das chinesische BGI (Bejing Institute of Genomics) und Gennet aus Prag (eine private IVF-Klinik mit »Eizellspende«-Programm) kooperieren und beginnen gerade, den Bluttest PrenaScan europaweit zu vermarkten; der Düsseldorfer Humangenetikprofessor Peter Kozlowski sprach bei einer Ärztefortbildung zum Konkurrenzprodukt Panorama-Test von chinesischen »Kampfpreisen« um die 300 Euro.

In der Schweiz ist Genesupport mit PrenDia seit 2013 aktiv, um Risiken für mehrere Trisomien, das Turner-Syndrom und 47 xxx (die betroffenen Frauen sind größer als der Bevölkerungsdurchschnitt) per Bluttest zu ermitteln. Die Nicht-Regierungsorganisation Basler Appell antwortet mit einer Gegenkampagne und stellt fest: »Inzwischen wurde die Zielgruppe ausgeweitet. So führen einige Schweizer Spitäler laut Tages-Anzeiger den Bluttest bei Frauen jeden Alters durch, unabhängig von einer Risikoindikation. Diese Praxis hat sich eingebürgert, obwohl die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe etwa in Bezug auf den PraenaTest ausdrücklich empfiehlt, den Test nur bei Patientinnen mit erhöhtem Risiko für eine Trisomie 21 durchzuführen, da er nur für solche Frauen validiert ist.«

  • Wenig Bedenken, kaum Hürden

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sieht in der »neuen, nichtinvasiven Methode zur genetischen Diagnostik in der Schwangerschaft keinen ethischen Dammbruch« – vorausgesetzt, der Test wird nicht vor der zwölften Schwangerschaftswoche durchgeführt und Frauen werden durch qualifiziertes Personal aufgeklärt und beraten, so wie es das Gendiagnostikgesetz verlangt.

Alle wissenschaftlichen Bemühungen waren und sind darauf ausgerichtet, immer mehr Frauen immer früher mit genetischen Aussagen über das Ungeborene zu konfrontieren, um den möglichen Schwangerschaftskonflikt durch einen möglichst frühen Abbruch zu entschärfen. Eine Medizin, die sich zunehmend auf KundInnenwünsche, Lifestyle-Angebote und Risikokalkulationen hin orientiert, wird langfristig auch die Geschlechtsauswahl und ästhetische Normabweichungen als Test-Motiv anerkennen. Das betrifft nicht nur Länder wie Indien oder China. Auch in den USA wird die Geschlechtsauswahl beworben. In Großbritannien wird diese Möglichkeit in Fachkreisen diskutiert und so formuliert: Passt das Geschlecht in die gewünschte Geschlechterbalance der Familie?

Die deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) erklärte im November 2012: »Da bei nicht invasiven vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden die Abwägung von Eingriffsrisiken gegen die Wahrscheinlichkeit für eine Krankheit/gesundheitliche Störung des Kindes entfällt, hat dies zur Folge, dass die Untersuchung keiner Schwangeren vorenthalten werden kann, bzw. allen Schwangeren verfügbar gemacht werden sollte.«

  • »Gewährleistung von Firmen- und Produktneutralität« erfüllt?

Dagegen konstatiert der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dass »individuelle Gesundheitsleistungen« wie die neuen pränatalen Testverfahren von ÄrztInnen nicht angeboten werden müssen. Die Offerten sind wissenschaftlich umstritten und gehören nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Viele GynäkologInnen fürchten jedoch haftungsrechtliche Folgen, wenn sie Schwangere nicht über jede Testmöglichkeit aufklären und ein behindertes Kind zur Welt kommt. Die Aussagen der GfH bestärken solche Ängste.

Private Dienstleister wie TÜV oder DEKRA bescheinigen mit der CE-Kennzeichnung die
Sicherheit und Leistungsfähigkeit eines neuen Medizinprodukts. Dass mitunter fragwürdig geprüft wird, darauf weisen die jüngsten Skandale um Brustimplantate oder Hüftprothesen hin.

Ärztekammern wie in Nordrhein-Westfalen zertifizieren Fortbildungen, etwa der Firma Amedes. Wenn in diesem Rahmen humangenetische Grundlagen erklärt und Bestellscheine für Test-Kits ausgegeben werden oder auch gleich käuflich zu erwerben sind, fragen Unbeteiligte zu Recht: Wird so der von den Ärzterepräsentanten gesetzte Anspruch der »Gewährleistung von Firmen- und Produktneutralität« wirklich erfüllt?

© Erika Feyerabend, 2013
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