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ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Private Risiko-Ökonomie

  • GynäkologInnen offerieren »Frühscreening« auf Trisomie 21 als »Individuelle Gesundheitsleistung«

aus: BIOSKOP Nr. 22, Juni 2003, Seiten 10+11

Für »neue Wege in der Frühschwangerschaft« wirbt die Stiftung Fetal Medicine Foundation. Die massenhafte Suche nach Normabweichungen wie Trisomie 21 soll zum privaten Dienstleistungsangebot im öffentlichen Gesundheitswesen werden.

Drei Ultraschall-Reihenuntersuchungen stehen seit Jahren im Leistungskatalog der Krankenkassen; um Entwicklungsstörungen und genetische Normabweichungen des Ungeborenen ausfindig zu machen. Die Einstufung des Alters der schwangeren Frau als »Risikofaktor« und der Wunsch der BehandlerInnen nach haftungsrechtlich abgesicherten Einwilligungsformularen haben die pränatale Risikoabschätzung mit anschließender Fruchtwasseruntersuchung alltäglich werden lassen. Obendrein werben gynäkologische Praxen für zusätzliche Untersuchungen und Einnahmequellen: privat bezahlter »Wunsch-Ultraschall« und diverse biochemische Tests.

Nun gibt es eine weitere »individuelle Gesundheitsleistung« (IGeL), die nicht von den Krankenkassen, sondern von den Interessentinnen persönlich bezahlt wird: das »Frühscreening« in der 9. bis 12. Schwangerschaftswoche. Computerprogramme verrechnen nach festgelegten Standards das »Basisrisiko Alter« der Frau mit den Ergebnissen eines biochemischen Bluttests und der ultraschallgestützten Suche nach einer verdickten Nackenfalte beim Ungeborenen.

In Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin ordnet die gemeinnützige FMF die Verhältnisse nach ihren Interessen.

Die Werbetrommel für das neue Wahrscheinlichkeitskalkül rührt die Stiftung Fetal Medicine Foundation (FMF). Eine Zulassung für das neue Angebot bekommen nur jene Einrichtungen, die bei der FMF Kurse belegt haben und regelmäßig ihre Diagnosen prüfen lassen. Seit Anfang 2002 hat die FMF rund 200 Praxen und einige Kliniken zertifiziert. Bis Ende dieses Jahres sollen sich 1.500 GynäkologInnen das Zertifikat, eine spezielle Software und damit die Berechtigung zum Anbieten der zusätzlichen Leistung besorgt haben. In Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin ordnet die gemeinnützige FMF die Verhältnisse nach ihren Interessen. Selbst die Frage, wer Zugang zu ihrer zentralen Datenbank haben soll, entscheidet die FMF selbst.

FrauenärztInnen, PränataldiagnostikerInnen, HumangenetikerInnen, Labore, Softwarehersteller und Diagnostikfirmen gehen unter der Schirmherrschaft der englischen Muttergesellschaft FMF London ihren Profitinteressen nach – mit aller verfügbaren Macht. Die FMF will möglichst alle Schwangeren in Deutschland zur Teilnahme an der Reihenuntersuchung bewegen. Sie kalkuliert mit 800.000 Frauen und durchschnittlichen Kosten von 35 bis 50 Euro für die Labors sowie mindestens 56 bis 85 Euro für die gynäkologischen Leistungen.

Der Markt ist lukrativ: 90 Prozent der Schwangeren gelten als »Risikopersonen«.

Glaubt man einer Auswertung der Mutterpässe, die im Rahmen der öffentlichen Schwangerschaftsvorsorge verteilt werden, so gelten schon heute 90 Prozent der Schwangeren als »Risikopersonen«. Mit diesem Etikett belegt und verunsichert, können Frauen leicht überzeugt werden, die neue Diagnostik zu nutzen und zu bezahlen. Profiteure solcher vorgeblichen Gesundheits- und Sicherheitsgarantien sind vor allem spezialisierte Firmen.

Zum Beispiel das Laborunternehmen Wagner, Stibbe + Partner. Dort betreibt der Biochemiker Helmut Wagner sein Geschäft, nebenbei sitzt er auch im Vorstand der FMF. Wagners Partner, Werner Stibbe, leitet den Bereich Labormedizin im Zentrum für In-Vitro-Fertilisation und Reproduktionsmedizin in Bad Münder, das seit zwei Jahren eine »überörtliche Partnerschaft« mit der Laborfirma pflegt. Eine Verbindung, die wirtschaftlich ideal ist – der Zugang zu potenziellen Test-KonsumentInnen könnte einfacher nicht sein. Einträgliche Geschäfte erhoffen sich auch Unternehmen, die Datensysteme für die Gynäkologie anbieten. So hat die Firma Viewpoint längst ein Datenverarbeitungsprogramm für das neue Ultraschallscreening entwickelt – in enger Zusammenarbeit mit Prof. Kypros Nicolaides, dem Leiter der FMF in London.

Die Aufblähung des Angebos zur vorgeburtlichen Qualitätsprüfung dient dem Wohl von Laborgemeinschaften, Softwareanbietern und Facharztpraxen.

Typisch für die Reihenuntersuchungen, die von den Krankenkassen finanziert werden, seien hohe Fehlerquoten und überflüssige Fruchtwasserdiagnosen, sagen die FMF-Experten; ihr neues, von den Frauen selbst zu bezahlendes Frühscreening sei genauer und spare Kosten. Für solche Versprechen bürgen soll die wissenschaftliche Kompetenz des Hamburger Pränatalmediziners Prof. Bernhard-Joachim Hackelöer, der Vorstandsmitglied der FMF Deutschland ist. In den 80er Jahren gehörte Hackelöer zu den Initiatoren des Ultraschallscreenings, das ihm heute nicht mehr ausreicht.

Das Angebot zur vorgeburtlichen Qualitätsprüfung wird sicher nicht kleiner werden, die Aufblähung dient dem Wohl von Laborgemeinschaften, Softwareanbietern und Facharztpraxen. Als private Initiative können sich die Diagnoselobbyisten, unabhängig von Kassen und politischen Entscheidungen, für eine Zukunft ausrüsten, in der Gesundheitsversorgung privatisiert zu werden droht. Frauen werden zu Konsumentinnen in dieser Risiko-Ökonomie, die ihnen immer dann begegnet, wenn sie medizinische Begleitung während der Schwangerschaft suchen.

© Erika Feyerabend, 2003
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