Vorgeburtliche Diagnostik im Alltag
Vorgeburtliche Diagnostik im Alltag
MARGARETHA KURMANN, Ex-Mitarbeiterin der Arbeitstelle Pränataldiagnostik/Reproduktionsmedizin in Bremen
Auf den Leib gerückt
- Vorgeburtliche Diagnostik im Erleben schwangerer Frauen
aus: BIOSKOP Nr. 8, Dezember 1999, Seiten 4+5
Vorgeburtliche Diagnostik und zunehmend auch Reproduktionsmedizin gelten heute als selbstverständlicher Bestandteil der gynäkologischen Betreuung von Frauen, die schwanger sind oder ein Kind haben möchten. Das Verständnis von Schwangerschaft haben diese Technologien grundlegend verändert; sie werfen Fragen auf nach Gesundheit, Krankheit und Behinderung, nach Lebensqualität und Sinn. Einige Eindrücke aus der Beratungspraxis.
Frau B. erwartet ihr zweites Kind. Sie ist in der 17. Schwangerschaftswoche. Sie ist 33 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann und Kind in einer Kleinstadt. Beim letzten Arztbesuch hat man ihr mitgeteilt, dass der Triple-Test (Bluttest ab der 16. Schwangerschaftswoche, der das individuelle Risiko vor allem für Down-Syndrom statistisch errechnen soll) auffällig sei und ihr deshalb zur Fruchtwasseruntersuchung geraten. Frau B. hatte nicht gewusst, was das für ein Test ist. Sie ist nun völlig verunsichert und weiß nicht, was sie machen soll.
Frau A. ist in zum zweiten Mal schwanger. Sie ist in der 12. Schwangerschaftswoche und hatte bislang keine Beschwerden. Sie hatte vor einigen Jahren einen Schwangerschaftsabbruch. Diese Schwangerschaft ist gewollt, und sie freut sich auf ihr Kind. Frau A. ist berufstätig. In der 12. Woche hat ihre Ärztin sie darauf aufmerksam gemacht, dass beim Ultraschall das sog. Dorsonuchale Ödem einen auffälligen Befund aufweist und ihr eine Fruchtwasseruntersuchung zur Abklärung des Verdachts empfohlen. Frau A. ist nun sehr verängstigt. Eigentlich wollte sie keine Fruchtwasseruntersuchung.
Frau C. hat zwei Kinder. Eines davon ist sehr früh geboren und behindert. Nun ist sie wieder schwanger. Diese Schwangerschaft war nicht geplant, nach der ersten Zeit der Unsicherheit darüber hat sich Frau C. für die Schwangerschaft und gegen einen Abbruch entschieden. Sie ist nun in der 12. Woche und fühlt sich psychisch belastet. In einer Zeitung hat sie über die Möglichkeiten von vorgeburtlichen Tests gelesen, und ihre Ärztin hat ihr empfohlen, sich darüber beraten zu lassen.
Frau D. ist in der 10. Woche schwanger. Sie hat sich mit ihrem Freund bewusst für diese Schwangerschaft entschieden. Jetzt, mit 41 Jahren, ist für sie die Zeit reif für ein Kind. In der Schwangerenvorsorge bei der Gynäkologin wurde sie auf ein erhöhtes Risiko für Chromosomenveränderungen beim Kind aufmerksam gemacht. Dies hat sie erschreckt und völlig überrascht. Sie ist wütend über die Störung ihrer Schwangerschaft, aber auch beunruhigt.
Frau G. hat nach einer Fruchtwasseruntersuchung, die sie auf ärztliche Empfehlung hin hat machen lassen, in der 20. Schwangerschaftswoche den Befund »Morbus Down” erhalten. Sie hat um eine Beratung gebeten, weil sie nicht weiß, was sie machen soll. Alle haben ihr zu einem Schwangerschaftsabbruch geraten, und auch sie selbst denkt, dass es vielleicht die beste Lösung ist.
Frau F. ist 33 Jahre alt und in der 10. Woche schwanger. Sie hat lange versucht, schwanger zu werden und sich mit Hormonen behandeln lassen. Die danach eingetretene Schwangerschaft hat sie als sehr belastend erlebt. Sie hatte eine Fehlgeburt. Nun ist sie verunsichert, ob alles mit dem Kind gut wird, und da sie von den Möglichkeiten der vorgeburtlichen Untersuchungen gehört hat, erhofft sie sich darüber Hilfe.
- Immer wieder gleich
Die Liste solcher Erfahrungen ließe sich weiter und weiter fortsetzen – was immer wieder gleich wäre, sind die Strukturen in der Anwendung von Pränataldiagnostik, sind die Sorgen und Ängste der Frauen und die Fragen danach. Was aber immer wieder auch ganz anders wäre, ist die individuelle Art der Frauen, wie sie Schwangerschaft leben und ihr jeweiliger Hintergrund im Lebensalltag: Präsent sind sowohl die Routinen und Selbstverständlichkeiten der Anwendung selektiver Diagnostik, als auch die konkrete individuelle Lebenssituation, die in der Konfrontation mit dem Angebot der Technik oft als individuelle Not erscheint und als deren Lösung sich selektive Diagnostik anbietet.
Es gibt Sätze, die in den Beratungsgesprächen immer wieder fallen. Einige davon will ich in Kürze vorstellen:
»Wenn ich das gewusst hätte…«
Damit beziehen sich Frauen auf die Risiken und Nebenwirkungen der Techniken, auf ihre persönliche Art, diese zu nehmen, auf die Begrenztheit und Offenheit der Ergebnisse und darauf, was es heißt, »in die Mühlen zu geraten«.
»Das mit dem Abbruch finde ich schrecklich…«
Die meisten Frauen wissen natürlich, dass es in den meisten Fällen nicht um Therapie, sondern um die Verhinderung der Geburt eines Kindes mit einer Behinderung geht, aber dennoch verweigern sie – zu Recht? -, konkret über den Abbruch ihrer in der Regel erwünschten Schwangerschaft zu denken und zu fühlen. Oft sprechen sie von »meinem Kind«.
»Welche Untersuchungen muss man denn machen…«. »Wenn mir das alle empfehlen, wird es doch gut sein…«
Die Angebote der Pränataldiagnostik erscheinen auf dem Hintergrund der eigenen Ängste und Sorgen als Verlockungen und Lösungen. Sie treffen auf den Wunsch, dazu zu gehören, sich gehalten zu wissen und nicht ausgegrenzt am Rande zu stehen.
»Ein behindertes Kind kann ich mir für mein Leben nicht vorstellen…«
Frauen wehren sich dagegen, behindertenfeindlich zu sein – aber, wenn sie die Wahl haben, wollen sie ein Kind ohne Behinderung. Das Angebot der Medizintechnik verstehen sie als eine Wahlmöglichkeit. Dabei wird die Möglichkeit des Ausschlusses (z.B. Down Syndrom) innerlich so umgemünzt, als ob Frauen eine Behinderung bei einem Kind aktiv wählen würden. An dieser Stelle erscheint es dann klar, dass Pränataldiagnostik nur vernünftig ist.
»Das bin ich meinem Kind schuldig…«. »Ich darf nicht egoistisch sein…«
Pränataldiagnostik wird als Fürsorge für das Ungeborene interpretiert – wie etwa der Verzicht auf Nikotin und Alkohol. Verknüpft wird der Anspruch auf »alles tun für das Wohl des Kindes« mit einem Verantwortungsdruck, der von PartnerInnen, FreundInnen, ÄrztInnen, KollegInnen wahrgenommen wird, damit mir später niemand etwas vorwerfen kann.
Und zu guter Letzt:
»Ich möchte in Ruhe schwanger sein können…«
Ich beneide Frauen, die sich nicht mit so etwas auseinandersetzen müssen.
© Margaretha Kurmann, 1999
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