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»Unzählige Menschen«, sagt der Wissenschaftsjournalist Marcus Anhäuser, »haben sich wegen einer schlechten Medizinberichterstattung schon falsche Hoffnungen oder unnötige Sorgen gemacht.« Anhäuser leitet ein hierzulande »bisher einmaliges Monitoring-Projekt« im Internet, das sich einen hohen Anspruch gesetzt hat: www.mediendoktor.de bewertet ausgewählte Beiträge wichtiger deutscher Zeitungen, Magazine, Radio- und TV-Sender.

Maßstab für die Begutachtung sei ein international erprobter Katalog von Qualitätskriterien, den der Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der Technischen Universität Dortmund in Zusammenarbeit mit einigen journalistischen Gutachtern weiterentwickelt habe, teilte die Pressestelle der Universität mit. Die GutachterInnen – laut Uni alles »angesehene Medizin- und Wissenschaftsjournalisten« – checken zum Beispiel, ob BerichterstatterInnen Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen eines Medikaments oder Verfahrens angemessen darstellen, ob sie Alternativen benennen, auf welche Quellen und Fachleute sie Bezug nehmen.

Geprüfte Beiträge und ihre Bewertungen stehen auf www.mediendoktor.de. Die Portalbetreiber betonen, »mindestens ebenso wichtig« wie das Analysieren schlechter Texte sei ihnen die Nennung von Positivbeispielen, die anderen Medien und Journalisten als Vorbild dienen können. Für die »Anschubfinanzierung« von www.mediendoktor.de sorgen gemeinsam die Robert-Bosch-Stiftung, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sowie der Chemiekonzern BASF.

Klaus-Peter Görlitzer (März 2011)


MARTINA KELLER, Journalistin

Fragwürdige Grenzgänge

  • Manche Medizinjournalisten schreiben auch im Auftrag der Gesundheitsbranche – Leser erfahren davon nichts

aus: BIOSKOP Nr. 53, März 2011, Seiten 8-9

Das Netzwerk Recherche löste 2006 mit seiner Forderung: »Journalisten machen keine PR« eine Grundsatzdebatte aus. Andere journalistische Berufsverbände kritisieren diese Forderung. Doch sie ist aktueller denn je – auch für die Berichterstattung über medizinische Themen.

Rudi Schmidt hat Erfahrung mit Journalisten, die PR machen. Der Leiter Unternehmenskommunikation der Asklepios-Kliniken erhält etwa »ein halbes Dutzend mal im Jahr« ein Angebot eines Journalisten, einen Artikel zu lancieren. »Wenn das passiert, merkt das keiner, und fortan ist das Krankenhaus mit positiven Berichten in der Tageszeitung«, sagt Schmidt.

Ein Beispiel: 2010 wandte sich ein Redaktionsbüro an den Chefarzt einer Asklepios-Klinik und fragte, welches Thema er denn gerne in der Tageszeitung sähe, für die sein Büro arbeite. Und ob er auch einen passenden Patienten wisse? Selbstverständlich dürfe der Mediziner den Artikel auch gegenlesen! Für ein Honorar von 800 Euro, so das Angebot, werde man einen Artikel von 120 Zeilen in der Zeitung veröffentlichen.

Journalisten, die für lancierte Artikel von einer Firma ein Honorar kassieren, werden sonst eher selten enttarnt.

Der Chefarzt wandte sich an Schmidt als Leiter der Unternehmenskommunikation. Die Asklepios-Kliniken lehnen verdeckte PR ab, sagt Schmidt. Er informierte deswegen die Redaktionsleitung der betreffenden Tageszeitung über die unethische Offerte. Es handelte sich keineswegs um ein Provinzblatt, sondern um eine überregionale Zeitung mit einer Auflage von rund 200.000 Exemplaren. Die Redaktionsleitung zeigte sich entsetzt über »das schwarze Schaf« in den eigenen Reihen und vereinbarte mit Schmidt ein Vorgehen, das den käuflichen Kollegen überführen sollte: Schmidt ging zum Schein auf das Angebot ein. Tatsächlich erschien ein Artikel von 120 Zeilen über das abgesprochene Thema im Blatt. Die Zusammenarbeit des Redaktionsbüros mit der Tageszeitung war daraufhin beendet.

Journalisten, die für lancierte Artikel von einer Firma ein Honorar kassieren, werden sonst eher selten enttarnt. Der Hamburger Journalistikprofessor Volker Lilienthal kam 2009 aber einem besonders eifrigen Grenzgänger zwischen PR und Journalismus auf die Spur: einem Mann von Mitte vierzig, der sich als Autor von 25 Büchern und mehr als 3.000 Presseartikeln vorstellt. Der Autor soll von 2006 an eine »spezielle Kooperation« mit 16 Zeitungen und Zeitschriften unterhalten haben, »denen ich meine Artikel honorarfrei anbiete«. Der Mann habe keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich dabei von Pharmaunternehmen, großen Klinikkonzernen und PR-Agenturen bezahlen ließ.

Solche intransparenten Praktiken sind mit journalistischer Ethik nicht vereinbar und werden von allen Berufsverbänden abgelehnt – nicht nur vom Verein Netzwerk Recherche, der laut Selbstdarstellung die Interessen derjenigen Journalisten vertritt, »die oft gegen Widerstände in Verlagen und Sendern intensive Recherche durchsetzen wollen«. Wenn Berichterstatter ihre Nebentätigkeit in der Öffentlichkeitsarbeit offen legen, plädieren die Journalisten-Gewerkschaften und der Verband Freischreiber hingegen für einen pragmatischen Umgang. Die Marktlage habe sich in den letzten Jahren verschärft, sagt etwa Ulrike Maercks-Franzen, die Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Journalisten-Union (dju), im Interview mit Netzwerk Recherche: »Es gibt unendlich viele Kolleginnen, die gerne guten Journalismus machen würden, die aber einfach auf eine Mischkalkulation ihrer Einnahmen angewiesen sind. Die auch noch essen und wohnen müssen, eine Familie ernähren wollen.«

Journalisten sollten über Themenbereiche, in denen sie PR machen, nicht schreiben.

Tatsächlich ist die finanzielle Situation vieler freier Journalisten prekär. Durchschnittlich verdienen sie nach einer Erhebung des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) 2.147 Euro im Monat vor Abzug der Steuern. Laut einer Online-Befragung des Berufsverbands Freischreiber kann jeder Dritte von seiner journalistischen Arbeit nicht leben. Deshalb nehmen viele freie Journalisten neben ihrer eigentlichen Arbeit PR-Aufträge an, die meist viel besser bezahlt werden. Die dju und der Freischreiber-Verband schlagen in solchen Fällen vor, die Arbeitsfelder getrennt zu halten: Journalisten sollten über Themenbereiche, in denen sie PR machen, nicht schreiben.

Dieser Grundregel folgt beispielsweise Annette Bolz, freie Autorin und Journalismus-Dozentin aus Hamburg. Als Bolz um die Jahrtausendwende für ein gut zahlendes, internationales Pharmaunternehmen arbeitete, lehnte sie mehrfach Angebote von Redaktionen ab, über Arzneimittel zu schreiben. Leicht ist so eine Entscheidung für freie Journalisten nicht, denn sie möchten ihre Auftraggeber ja nicht verprellen. Auch anderen Anfechtungen hat Bolz widerstanden. Als der Chef der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens wechselte, habe er sie zum Kennenlernen in ein teures Restaurant eingeladen. Der Mann sei schnell zur Sache gekommen: »Ich wünsche mir, dass Sie Texte über unsere Medikamente in der ZEIT platzieren.« Bolz lehnte ab. »So etwas mache ich grundsätzlich nicht. Ich bin Journalistin und möchte meinen guten Ruf behalten und objektiv berichten.« Die Zusammenarbeit mit der Firma sei damit beendet gewesen. Sie sei sogar aus deren Presseverteiler gestrichen worden. Solche Konsequenz einer freien Autorin dürfte aber eher die Ausnahme sein.

Auch festangestellte Redakteure haben mit Versuchungen zu kämpfen. Gerade bei Medizinthemen bemüht sich eine Vielzahl von PR-Agenturen, die Berichterstattung im Interesse ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. »Agenturen arbeiten Redaktionen ohne Ende zu«, sagt Irene Stratenwerth, Redakteurin bei der Frauenzeitschrift Brigitte, »da brauchst du gar nichts mehr zu machen, die sitzen direkt bei dir auf dem Schoß.« Themenidee, Experten, Betroffene – alles wird frei Haus geliefert.

Da macht etwa eine MIT-Schmidt Kommunikation GmbH auf den Nutzen von Magenbändern gegen massives Übergewicht aufmerksam. Auftraggeber ist Clinic im Centrum, ein Zusammenschluss von 44 Praxen und Kliniken, die solche Eingriffe durchführen. Fotos und ein Interview mit einem »Experten« von einer der Kliniken liegen dem Anschreiben bei. Die Veröffentlichung ist kostenlos, lediglich »um ein Belegexemplar wird gebeten.«

Normalerweise sollte eine Redaktion eine Pressemitteilung als Einladung zur Recherche begreifen.

Laut Stratenwerth lehnt die _Brigitte_-Redaktion solche Angebote stets ab. Begründung: »Wir wollen nicht irgendwelche Vorführfälle, die selbstverständlich positiv über das Verfahren reden, weil sie von dem Anbieter ausgesucht wurden.« Die Brigitte lege Wert auf unabhängige Expertenaussagen und unabhängige Erfahrungsberichte. Aber Stratenwerth weiß auch, dass nicht jede Redaktion so entscheidet: »Man braucht Zeit und Geld, um nicht das Naheliegende zu machen.«

Normalerweise sollte eine Redaktion eine Pressemitteilung als Einladung zur Recherche begreifen. Bei der Eßlinger Zeitung scheint diese Regel nicht zu gelten. In der Weihnachtsausgabe 2010 wird das kontrovers diskutierte Thema der Cholesterinrisiken durch Milchfettsäuren unter der schlichten Schlagzeile »Butter ist gesund« abgehandelt. Abgedruckt ist ein Interview der »Food-pressedienst Redakteurin Rebekka Schrimpf« mit dem »Ernährungsexperten und Bestsellerautor Professor Nicolai Worm«.

Was die Leser der Eßlinger Zeitung nicht erfahren: Der Food-pressedienst ist eine PR-Agentur, die Meldungen »rund um die Themen Ernährung, Kochen, Genuss und Lebensmittel« verbreitet, bei »insgesamt mehr als 3.000 Food-Journalisten in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz«. Interessierte Kunden können ihre Texte und Fotos selbst per Online-Formular beim Food-pressedienst einstellen, der sie dann »schnellstmöglich verschickt«. Der PR-Service hat seinen Preis. Eine Einzelmeldung kostet 150 Euro, ein Foto 30 Euro. Im Fall des Butter-Interviews zahlte Gesprächspartner Worm nach Angaben von Food-pressedienst-Mitarbeiterin Schrimpf kein Geld für die Aussendung. Es handelte sich offenbar um Eigen-PR, die den Food-pressedient bekannter machen sollte.

Der Leipziger Medienwissenschaftler Michael Haller hat 2005 in einer Studie sechs Regionalzeitungen auf ihren Anteil an PR-Texten im redaktionellen Teil untersucht; die Studienergebnisse bestätigen den Trend zu mehr PR. In den untersuchten Lokalteilen waren neun Prozent der Artikel eindeutig als PR-Texte zu erkennen, in den Wirtschaftsteilen knapp vier Prozent, in den Reiseteilen bis zu 25 Prozent. Im Medizinjournalismus dürfte der Anteil von PR-Texten ebenfalls beträchtlich sein.

»Wenn ich ein Hochglanzmagazin mache und nur eine halbe Kraft einstelle, die mir wöchentlich die Gesundheitsseiten füllen muss, dann brauche ich mich nicht zu wundern, dass PR ins Blatt kommt.«

Günter Haaf, der in leitender Postion für ZEIT, Geo Wissen und Natur gearbeitet hat, beobachtet eine »immer größere Schieflage« in den Medien – und begreift dies auch als Kritik an den Verlagen. »Wenn ich ein Hochglanzmagazin mache und nur eine halbe Kraft einstelle, die mir wöchentlich die Gesundheitsseiten füllen muss, dann brauche ich mich nicht zu wundern, dass PR ins Blatt kommt.«

Seit 2003 ist Haaf Redaktionsdirektor des Wort & Bild Verlags und in dieser Funktion unter anderem für die Apotheken Umschau verantwortlich. Das zweimal im Monat erscheinende Magazin wird von Apotheken abonniert und an deren Kunden gratis weitergegeben. Es ist mit einer Auflage von monatlich gut zehn Millionen Heften und mehr als 20 Millionen Lesern Deutschlands meist gelesene Zeitschrift.

Im Unterschied zu manchem anderen Blatt hat die oft belächelte Apotheken Umschau strenge Redaktionsrichtlinien: »Wir bezahlen alle Recherchereisen selbst, nennen keine Markennamen, und alle Werbegeschenke werden kassiert und auf den Weihnachtsbasar getragen«, sagt Haaf. Einen kritischen Text über Apothekenpreise wird man dort trotzdem nicht lesen – das Blatt wird aus Anzeigenerlösen und zu einem guten Teil auch durch die abonnierenden Apotheken finanziert.

© Martina Keller, 2011
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