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Politik billigt penetrante Arznei-Werbung

Die BürgerInnen müssen sich auf fast schrankenlose Werbung für solche Arzneimittel einstellen, die nicht verschreibungspflichtig sind. Der Bundestag hat Ende Juni 2012 das Heilmittelwerbegesetz (HWG) »liberalisiert«, der Bundesrat stimmte im September ebenfalls zu.

Der reformierte Paragraph 11 des HWG (Siehe BIOSKOP Nr. 58) ermöglicht sogar, dass Pharmaunternehmen künftig mit persönlichen Geschichten von PatientInnen werben dürfen, die rezeptfreie Medikamente einnehmen.

Vor Lockerungen des bisher geltenden Reklameverbotes, entworfen im FDP-geführten Bundesministerium für Gesundheit, hatten zahlreiche Fachleute und Verbände eindringlich gewarnt, darunter die BUKO Pharma-Kampagne, die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe und die Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer.




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Nebeneinkünfte online?

  • Europäischer Pharmaverband will »Transparenzkodex« einführen und Zahlungen an ÄrztInnen veröffentlichen

aus: BIOSKOP Nr. 59, September 2012, Seiten 12+13

Die führenden Pharmaunternehmen in Europa verheißen mehr Transparenz: Ab 2015 wollen sie regelmäßig offenlegen, welche MedizinerInnen und ForscherInnen finanzielle Zuwendungen von ihnen bekommen haben. Die freiwillige Selbstverpflichtung soll im »Dialog mit der Ärzteschaft« entwickelt werden.

Ein strategisches Fundament des gängigen Pharmamarketings sind gute Beziehungen von Arzneiherstellern zu MedizinerInnen. Die Palette üblicher Kooperationen und Einflussnahmen ist vielfältig. Unternehmen sponsern ärztliche Fortbildungsveranstaltungen, zahlen gut dotierte Vortragshonorare an forschende MedizinerInnen, spenden regelmäßig Geld an Fachgesellschaften und Kliniken. Direkte Kontakte zu Arztpraxen pflegen tausende so genannter PharmareferentInnen.

Für beide Seiten besonders attraktiv sind »Anwendungsbeobachtungen« (AWB) bereits zugelassener Medikamente, die niedergelassene ÄrztInnen gegen Entgelt für Firmen leisten. Ergebnisse werden meist nicht veröffentlicht, Kritiker wie Transparency International geißeln AWB als »Scheinstudien, die nur Marketingzwecken dienen«; tatsächlich gehe es darum, bestimmte Präparate in der Praxis und am Markt zu platzieren.

»Die Pharma-Industrie hat nichts zu verbergen. Und Offenheit ist das beste Rezept gegen Misstrauen«, kommunizierte Stefan Oschmann.

Zwar haben sich die größten Unternehmen der Branche, organisiert im Verein »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie« (FSA), im Jahr 2004 erstmals Wettbewerbsregeln gegeben, um Kooperationen mit ÄrztInnen und ApothekerInnen »auf eine transparente und ethisch einwandfreie Basis« zu stellen. Doch die Selbstverpflichtung endet, wo es richtig aufschlussreich würde: Weder die Namen von Kooperationspartnern, noch Geldflüsse und Vereinbarungen müssen offen gelegt werden.

Das könnte sich in einigen Jahren ändern. »Möglichst bis 2015« will der europäische Pharmaverband EFPIA einen neuen, freiwilligen »Transparenzkodex« einführen, kündigte deren Vizepräsident Stefan Oschmann im August an. »Die Pharma-Industrie hat nichts zu verbergen. Und Offenheit ist das beste Rezept gegen Misstrauen«, kommunizierte Oschmann, der auch Mitglied der Geschäftsleitung des Konzerns Merck ist, via Pressemitteilung.

Wie weit die künftige Transparenz gehen darf, sagte Oschmann nicht genauer, versicherte aber, dass der Kodex »jetzt schnellstens ausgearbeitet« werde. Die projektierte Selbstverpflichtung soll sich, zumindest im Prinzip, am US-amerikanischen »Physician Payment Sunshine Act« orientieren. Die Veröffentlichungsregeln, 2010 im Rahmen der US-Gesundheitsreform gesetzlich beschlossen, sind ziemlich umfangreich: Der »Sunshine Act« verpflichtet Pharma- und Medizintechnikfirmen, sämtliche Zahlungen und geldwerte Zuwendungen, die sie ÄrztInnen und Lehrkrankenhäusern gewährt haben, ab einem Wert von zehn (!) US-Dollar zu protokollieren und einmal im Jahr an die US-Behörde Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) zu melden. Die Listen mit Beträgen, honorierten Leistungen und den Namen der Begünstigten müssen anschließend im Internet veröffentlicht werden, anklickbar von jedermann. Industriegeförderte Forschungsprojekte sollen ebenfalls öffentlich benannt werden.

Die Ankündigung, freiwillig für mehr Transparenz zu sorgen, soll sicherlich auch PolitikerInnen beruhigen, damit sie nicht etwa auf die Idee kommen, gesetzliche Regelungen zu entwickeln.

Die Aufzeichnungspflicht, verbindlich auch für ausländische Unternehmen, die ihre Gesundheitsprodukte in den USA vermarkten, beginnt voraussichtlich ab 2013 – die Behörde CMS ist in Verzug geraten und noch immer dabei, das 2010 von US-Präsident Barack Obama unterzeichnete Gesetz in detaillierte Ausführungsregeln umzusetzen. Der bisher vorliegende Entwurf nennt als Beispiele für meldepflichtige Vorteile ab 10 US-Dollar unter anderem: Beratungshonorare, Vergütungen für Gastbeiträge, Bewirtungen, Geschenke, Spenden, Konferenzsponsoring, Zuwendungen für Forschung und Lehre, Lizenzen. Auch Geschäftsbeteiligungen und Dividenden, die ÄrztInnen gewährt wurden, sind zu veröffentlichen. Firmen, die der Publikationspflicht nicht nachkommen, müssen mit Geldbußen rechnen, maximal eine Million US-Dollar pro Jahr.

Die Ankündigung des europäischen Pharmaverbandes, freiwillig für mehr Transparenz zu sorgen, soll sicherlich auch PolitikerInnen beruhigen, damit sie nicht etwa auf die Idee kommen, gesetzliche Regelungen nach amerikanischem Vorbild zu entwickeln. Andererseits schreibt der FSA, dem insgesamt 67 Unternehmen, darunter auch Merck, angehören, man würde eine gesetzliche Regelung durchaus »begrüßen«, da sie Transparenz für alle Firmen der Branche vorschreibe – also unabhängig davon, in welchem Verband sie organisiert sind.

»Eine Lösung gegen den Willen der Ärzteschaft ist nicht gewollt.«

Widerstände erwartet Oschmann offenbar weniger aus der Industrie, als von VertreterInnen der ÄrztInnenschaft, aus deren Reihen mögliche Interessenkonflikte künftig publik und für jeden Interessierten nachvollziehbar würden. Da Gespräche über Einkommen oder Gehalt hierzulande tabubehaftet seien, »mag mancher Arzt oder Wissenschaftler von so viel Offenheit zunächst irritiert sein«. Laut Oschmann muss sich aber niemand fürchten: »Eine Lösung gegen den Willen der Ärzteschaft ist nicht gewollt.« Deshalb werde der europäische Pharmaverband in der Transparenzfrage »sehr eng mit der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zusammenarbeiten«.

Initiativen, die auf Publikation geldwerter Zuwendungen seitens der Pharmaindustrie zielen, müssten zumindest bei der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer (AkdÄ) grundsätzlich gut ankommen. Denn Transparenz liegt der AkdÄ um ihren Vorsitzenden Wolf-Dieter Ludwig seit Jahren glaubwürdig am Herzen. 2008 kommentierte die Kommission kritisch einen Kodex des FSA, dessen Vorgaben den Anspruch erheben, Kooperationen mit PatientInnenorganisationen durchschaubarer zu gestalten (Siehe BIOSKOP Nr. 44). In ihrer Stellungnahme plädierte die AkdÄ nicht nur dafür, Zuwendungen an Selbsthilfeverbände ins Internet zu stellen, was inzwischen – je nach Unternehmen mehr oder weniger detailliert – auch geschehen ist (BIOSKOP Nr. 54). Die AkdÄ forderte außerdem, sämtliche Kooperationsverträge zwischen Pharmaunternehmen und PatientInnenorganisationen in einem Online-Register öffentlich zu dokumentieren.

Dieser Anregung wollen die FSA-Firmen bis heute nicht folgen. Vielleicht sind sie ja bereit, ihre Position zu überdenken, wenn die AkdÄ ihre so sinnvolle Transparenz-Forderung auch auf solche Kooperationsverträge ausweitet, die zwischen ÄrztInnen und Pharmafirmen vereinbart wurden.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2012
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