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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Neutralität und Unabhängigkeit sicher gestellt?

  • Neue Leitsätze der Selbsthilfe zur Kooperation mit Unternehmen

aus: BIOSKOP Nr. 39, September 2007, Seiten 6+7

In Zeiten knapper Kassen wächst die Bereitschaft von PatientInnenverbänden, mit Herstellern von Medikamenten und Medizinprodukten zu kooperieren. Spenden und Sponsoring können hilfreich sein. Sie können aber auch das größte Kapital der Selbsthilfe gefährden: ihre Glaubwürdigkeit.

Deren Spitzenorganisationen wissen das. Sie haben eine ausführliche Selbstverpflichtungserklärung beschlossen, die helfen soll, Neutralität und Unabhängigkeit von PatientInnenorganisationen bei Kooperationen mit der Industrie zu sichern. Halten die Leitsätze, was sie versprechen?

Der Titel ist lang, er lautet: »Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen«. Gemeinsame AutorInnen des Papiers, das auch im Internet anzuklicken ist, sind die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG) und das FORUM chronisch kranker und behinderter Menschen im Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Beide Dachorganisationen, so die Präambel der Leitsätze, »begrüßen das Interesse von Wirtschaftsunternehmen an einer solchen Zusammenarbeit und sehen hier die Chance zu einem gleichberechtigten Dialog«. Verbände, die Mitglied in der BAG sind oder solche, die es werden wollen, müssen die Leitsätze verbindlich anerkennen; allen Selbsthilfeorganisationen räumt das Papier eine Übergangsfrist ein: Bis zum 31.12.2007 haben sie noch Zeit, eventuell abweichende Kooperationsgewohnheiten an die Vorgaben der Leitsätze anzupassen.

Die Leitsätze versuchen den Spagat: Grundsätzlich bezwecken sie, Möglichkeiten zu eröffnen, aber sie sollen auch einschränkend wirken; sie bemühen sich, den Weg zu bahnen für Angebote, Spenden und Sponsorengelder von Pharma- und Medizinprodukteherstellern, gleichzeitig sollen sie jedoch verhindern helfen, dass Selbsthilfeverbände von finanziellen und sachlichen Zuwendungen jener Branche abhängig werden, die ja vom Behandeln und Kurieren von Erkrankungen lebt – und sich im wirtschaftlichen Wettbewerb permanent gezwungen sieht, ihre Erzeugnisse gezielt zu vermarkten.

»Information«, »inhaltliche Neutralität«, »Transparenz« – dies sind, schlagwortartig aufgezählt, die erklärten Ziele, denen die Selbsthilfe mit ihrer Selbstverpflichtungserklärung genügen will. Allein die Tatsache, dass inzwischen Leitsätze zu Partnerschaften mit der Industrie existieren, könnte PatientInnen sensibilisieren; womöglich wird das Papier auch helfen, den Blick zu schärfen für drohende Abhängigkeiten, die es zu vermeiden gilt. Klar ist aber auch: Für Unternehmen, die zum Fördern und Werben bereit sind, bieten die Leitsätze Rechtssicherheit. Und sie werden – sofern sie die Vorgaben einvernehmlich befolgen – vom Makel befreit, dass sie womöglich PatientInnengruppen manipulieren oder gar kaufen würden.

Können die Leitsätze halten, was sie versprechen? Betont wird die »Inhaltliche Neutralität«, wörtlich heißt es: »Die Selbsthilfeorganisation gibt grundsätzlich weder Empfehlungen für einzelne Medikamente, Medikamentengruppen oder Medizinprodukte, noch Empfehlungen für bestimmte Therapien oder diagnostische Verfahren.« Das klingt restriktiv. Doch die selbst auferlegte Zurückhaltung wird im nächsten Satz gleich wieder relativiert: »Die Abgabe einer Empfehlung«, heißt es da, sei aber sehr wohl »möglich, wenn diese auf dem Bewertungsergebnis anerkannter und neutraler Expertengremien beruht.« Ungeklärt bleibt, wer eigentlich bestimmt, welche ExpertInnen »anerkannt« und »neutral« sein sollen; nicht gesagt wird, auf welcher Ebene das Sachverständigengremium angesiedelt sein muss. Und die Leitsätze schließen auch keineswegs aus, dass ein Medikament, das vermeintlich neutrale ExpertInnen positiv einstufen, just von jenem Arzneimittelhersteller produziert wird, der die empfehlende Selbsthilfeorganisation regelmäßig sponsert.

Aufgabe der Selbsthilfe soll es laut Leitsätzen sein, Erfahrungen Betroffener mit Medikamenten, Therapien, Medizinprodukten und Diagnostika öffentlich zu machen und auch Veranstaltungen zu bestimmten Produkten zu organisieren. Ausgeschlossen werden soll allerdings »eine einseitige Darstellung« – und zwar so: Die »Selbsthilfeorganisation trägt Sorge dafür«, dass »nicht allein« ReferentInnen auftreten, die beim Sponsor der Veranstaltung angestellt sind oder von ihm abhängig sind; Werbung soll in diesem Rahmen tabu sein. Ob und wie dieser Anspruch überhaupt erfüllt werden kann, wenn eine Veranstaltung sich eigens um ein bestimmtes Medikament dreht – diese Frage sollte in der Praxis immer wieder neu gestellt werden. Und zu überlegen ist sicher auch, welchen Sinn eigentlich die folgende Selbstverpflichtung haben soll: Mit Wirtschaftsunternehmen, die ihrerseits als Veranstalter auftreten, soll vereinbart werden können, dass sie für ihr Ereignis Namen oder Logo der Selbsthilfeorganisation benutzen können. Was soll das einer PatientInnengruppe eigentlich bringen – außer Sponsorengeld?

Wie viele Gelder von wem zu welchen Zwecken kursieren – verbindliche Antworten zu solchen Fragen fordern und fördern die Leitsätze kaum. Beispiel: so genannte »Sponsoring-Vereinbarungen, die Zuwendungen in nicht unerheblichem Umfang zum Gegenstand haben«. Dass sie »schriftlich fixiert und die Zuwendungen transparent gemacht werden«, steht wohl in den Leitsätzen. Konkreter werden sie aber nicht: Weder fordern sie eindeutig, dass die exakten Geldbeträge, die Firmen beigesteuert haben, öffentlich bekannt gemacht werden müssen. Und sie regeln auch nicht, wie, wo und gegenüber wem überhaupt Transparenz hergestellt werden soll.

Ernst machen mit Transparenz – wer dies will, könnte zum Beispiel tun, was die als Standard projektierten Leitsätze gerade nicht verlangen, ja womöglich verhindern sollen: Jeder Sponsoringvertrag geht online, einsehbar auf der Homepage der Selbsthilfeorganisation. Dasselbe gilt für schriftliche Vereinbarungen zu so genannten »Kommunikationsrechten«. Sie erlauben Wirtschaftsunternehmen, Logos oder Vereinsnamen einer PatientInnenvereinigung zu veröffenlichen, etwa in Produktinformationen, Publikationen oder auf Internetseiten des Unternehmens. Außerdem publiziert die Selbsthilfeorganisation alljährlich eine Liste, aus der hervorgeht, welches Unternehmen für welchen Zweck Zahlungen an den Patientenverband geleistet hat. Und wie wenig oder wie stark eine Organisation von Industriegeldern abhängig ist, lässt sich einigermaßen abschätzen, wenn sie den Anteil des Gesamtetats, den Spenden und Sponsoring füllen, konkret und öffentlich beziffert – sie muss es nur tun. Transparenz auf diese Weise zu leben, ist sicherlich mutig, wohl auch anstrengend. Unmöglich ist es nicht.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2007
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