BioSkop unterstützen! Kontakt Über uns

Anfällig für Korruption

»Ein besonders anfälliges Gebiet für Korruption ist das öffentliche Gesundheitswesen«, findet Transparency International (TI). Die Organisation müht sich hartnäckig, Strukturen und Verflechtungen durchschaubarer zu machen. Dazu dient auch der Ende 2004 publizierte TI-Report Transparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen. Auf rund 70 Seiten wird der Alltag von ÄrztInnen, Krankenkassen, Pharmaindustrie und Selbsthilfegruppen beleuchtet.

Die Studie steht auf der TI-Website.



MARTINA KELLER, Journalistin

PatientInnengruppen im Focus

  • Neue Marketingstrategien der Pharmaindustrie

aus: BIOSKOP Nr. 31, September 2005, Seiten 6-7

Jahrzehntelang setzten Pharmaunternehmen vor allem auf ÄrztInnen, um ihre Umsätze zu steigern. Die Aufwendungen für AußendienstmitarbeiterInnen summieren sich in Deutschland auf jährlich rund 1,5 Milliarden Euro. Doch statt mit durchschnittlich zehn Minuten muss sich ein Pharmareferent beim Arztbesuch heute mitunter mit zwei begnügen. Selbst die Strategie, dann eben drei Referenten auf einen Mediziner anzusetzen, rechnet sich nicht mehr. Nun schmieden die MarketingexpertInnen neue Pläne.

»Die Branche ist dabei, ihr Kommunikationskonzept zu erneuern«, verkündete im vergangenen Jahr die renommierte Düsseldorfer Beratungsfirma A.T. Kearney. Das Unternehmen hatte in einer Studie untersucht, wie zehn große Pharmafirmen das Marketing der Zukunft sehen. Ergebnis: »Neue Größe in der Kommunikationsstrategie ist der Patient.« Zu ähnlichen Schlüssen kommen die Management-BeraterInnen des Sulzbacher Unternehmens Capgemini. Ihre Strategie sieht die Kranken im Focus: »Studien zeigen, dass ein Drittel der Patienten mit einer vorgefassten Therapievorstellung zum Arzt geht und die verlangten Medikamente tatsächlich auch verschrieben bekommt – dies auch in Zeiten verknappter Verordnungsbudgets.«

Der Wissensdurst der PatientInnen macht die Entwicklung möglich. Bereits die Hälfte der Multiple-Sklerose-Kranken ist online. Laut einer Marktforschungsstudie aus dem Jahr 2004 binden ÄrztInnen einen ebenso großen Anteil von ihnen aktiv mit ein, wenn es darum geht, ihr Medikament auszuwählen. Ein informierter Patient, so A.T. Kearney, »nimmt auch Einfluss auf die Therapie«.

  • Rechtliche Grenzen kreativ überwinden

In den USA haben die Pharmafirmen Konsequenzen aus dieser Einsicht gezogen. Als die Zulassungsbehörde, die FDA, 1997 die Regeln für Medikamentenwerbung lockerte, schnellten die Ausgaben für so genannte Direct-to-Patient-Strategien in die Höhe: Sie verdreifachten sich binnen vier Jahren. Der ÄrztInnenverband American Medical Association (AMA) äußert sich allerdings seit Jahren kritisch über diese Form der Direktwerbung. Laut der AMA steigen dadurch die Arzneimittelausgaben, während die medizinische Versorgung nicht besser wird. Im Gegenteil: Mehrmals mussten US- Pharmakonzerne hohe Bußgelder für unlauteres Marketing zahlen. Die FDA verschickt regelmäßig Warnbriefe, weil die Unternehmen ihre Produkte zu positiv darstellen und Risiken verschweigen.

In Deutschland setzt das Heilmittelwerbegesetz dem Pharmamarketing derzeit noch Grenzen: Hersteller dürfen ihre Produkte nicht direkt bei PatientInnen bewerben, weil Ängste und Hoffnungen der Kranken nicht dafür missbraucht werden sollen, den Absatz einzelner Medikamente zu steigern. Doch die Pharmabranche sucht nach Wegen, diese Beschränkung zu umgehen – zum Beispiel, indem sie mit Selbsthilfegruppen zusammenarbeitet. Diese machen politisch Druck, damit neue Arzneien schneller zugelassen werden. Sie geben Empfehlungen durch Mund-zu-Mund-Propaganda an andere PatientInnen weiter und ermutigen ihre Mitglieder, beim Arzt gezielt nach bestimmten Präparaten zu verlangen. Bessere MultiplikatorInnen kann es für Pharmafirmen nicht geben. So lassen sich über die rund 170 Selbsthilfegruppen für DialysepatientInnen in Deutschland fast die Hälfte der Betroffenen ansprechen.

  • »Den Lebenswert sehen«

Insbesonders chronisch Kranke sind für Pharmaunternehmen interessant – wegen des so genannten Life-Time-Value: »Der Patient hat nicht nur heute seine Multiple Sklerose, sondern auch in fünf oder zehn Jahren, da muss man den Lebenswert des Patienten sehen«, sagt Dirk Krischenowski, Global Marketing Manager beim Impfstoffhersteller Chiron Vaccines in Marburg. Mit Vorliebe unterstützen Arzneihersteller deshalb Initiativen zu Rheuma, Diabetes, psychischen Erkrankungen oder Krebs. Selbsthilfegruppen sind für das Marketing so wichtig geworden, dass Firmen selbst welche gründen, sofern es zu einem Krankheitsbild noch keine gibt. Beim Thema Darmkrebs mühten sich Bristol-Myers Squibb und Roche, beide Hersteller eines Medikaments gegen fortgeschrittenen Darmkrebs. Bislang gibt es allerdings noch keine eigenständige Selbsthilfegruppe Darmkrebs – nur ihre Website existiert schon: www.leben-mit-darmkrebs.de. Als Kontaktadresse fungiert, mangels PatientInnen, die Agentur s&kGrey in Freiburg. »Hoffmann-La Roche unterstützt das Projekt«, teilte Katja Kolbe, die bei der Agentur als Medical Director fungiert, auf Anfrage mit.

Beim Thema Brustkrebs kann die Pharmabranche auf mehrere AnsprechpartnerInnen zurückgreifen. Knapp ein Dutzend Brustkrebs-Initiativen sind in Deutschland aktiv, mehrere davon haben sich in dem industriegesponserten Verbund Pink zusammengeschlossen.

  • Auffälliges Buch

Eine besondes aktive Pink-Gruppe ist Mamazone aus Augsburg. Sie bekam von Roche 2004 und 2005 jeweils 40.000 Euro als nicht zweckgebundene Spende. Zu einem Politikum entwickelte sich das Überlebensbuch Brustkrebs, verfasst von Mamazone-Gründerin Ursula Goldmann-Posch zusammen mit Rita Rosa Martin von Breast Health in Hamburg. Es enthält Informationen, die Hersteller nach dem Heilmittelwerbegesetz gar nicht geben dürften: Medikamentennamen, Hersteller und Preise.

Laut Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt am Helios-Klinikum Berlin-Buch und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, vermischen die Autorinnen zudem »sehr häufig und für den Leser in keiner Form erkennbar objektive Information mit Vermarktungsstrategien der pharmazeutischen Industrie«. Die Autorinnen versichern, dass Pharmafirmen keinerlei Einfluss auf das Buch genommen hätten. Aus Sicht der Hersteller ist das Überlebensbuch Brustkrebs überaus gelungen. Roche kaufte 2.000 Exemplare, also gut ein Viertel der ersten, sowie 300 Exemplare der zweiten Auflage und bietet sie über seinen Außendienst ÄrztInnen an, die sie interessierten Patientinnen weiterreichen. Novartis und Amgen übernahmen kleinere Kontingente.

  • Broschüren, Vorträge, Kampagnen

Die Zusammenarbeit von Pharmafirmen und Krankengruppen nimmt viele Formen an. Astra Zeneca finanzierte der Selbsthilfe Lungenkrebs eine Broschüre. Als absehbar war, dass das Lungenkrebsmedikament der Firma in Deutschland keine Zulassung erhalten würde, gab es kein Geld mehr. Novartis initiierte zusammen mit Selbsthilfegruppen die europaweite IBS-Woman-Kampagne zur Aufklärung über das Reizdarmsyndrom – die Zulassung eines Novartis-Präparats mit dem Wirkstoff Tegaserod ist für die Länder der Europäischen Union beantragt. Roche und Novartis sponserten im Februar 2005 die erste offene Krebskonferenz in Berlin – und durften Seite an Seite mit Selbsthilfegruppen rund 7.000 BesucherInnen mit ihren Informationen versorgen. Selbstverständlich referieren bei solchen Veranstaltungen stets ÄrztInnen im Auftrag der Pharmaunternehmen: »Es ist wichtig für die Glaubwürdigkeit, dass sich nicht ein Produktmanager dahin stellt«, sagt Marketingexperte Robert Unterhuber, lange für Amgen und heute für ein australisches Biotech-Unternehmen tätig.

  • »Guerilla-Marketing« im Internet

Pharmafirmen planen ihre Strategie mit langem Atem. Um PatientInnen an sich zu binden und ihr Vertrauen zu gewinnen, machen sie breit gestreute Angebote, die auch sozialrechtliche Informationen einschließen. Das Internet spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Firmen richten Websites ein, bieten Diskussionsforen an und schaffen »medical communities«” – also virtuelle Selbsthilfegruppen im Netz. Findige Agenturen helfen dabei. Deren Methoden sind nicht immer sauber. Onlinespezialist Dirk Krischenowski spricht auf seiner Website www.medical-communities.de von »Guerilla-Marketing«. Dieses sei so ausgerichtet, »dass es, selbst wenn es sich am Rande der Legalität oder guten Sitten bewegt, kaum nachhaltigen Schaden für das Unternehmen anrichtet, wenn es auffliegt oder enttarnt wird«. Ein beliebtes Marketing-Tool sei es, als angeblich Betroffener in viel besuchten Internet-Patientenforen mitzumischen.

Ein fingiertes Beispiel, wie man sich die Anonymität im Netz zunutze machen kann, liefert Krischenowski gleich mit: »Hallo Leute, habe gerade gelesen, dass Firma xyz ein neues Blutzuckermessgerät testet und dazu kostenlose Geräte ausgibt, wenn man einen anderen Diabetiker wirbt. Die Stäbchen gibt’s auch dazu. Ich habs unter www.xyz.com gefunden.«

© Martina Keller, 2005
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Autorin