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Diskriminieren verboten – im Prinzip

Ganz vorn steht das »Diskriminierungsverbot«: Wegen seiner genetischen Eigenschaften dürfe niemand benachteiligt werden, verlangt Ulla Schmidts Entwurf zum Gendiagnostik-Gesetz. Auch wer einen Gentest ablehne, dürfe deswegen nicht abgestraft werden. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur im Prinzip – Ausnahmeregeln können ihn unterlaufen.*

Grundsätzlich dürfen Versicherer ihren KundInnen keine molekulargenetischen Untersuchungen abverlangen, weder vor noch nach Vertragsabschluss. Auch untersagt der Gesetzentwurf der Assekuranz, Ergebnisse früherer Genchecks einzusehen oder zu verwerten. Aber: Die Verbote sollen nicht gelten, wenn eine Leistung von mehr als 250.000 Euro oder über 30.000 Euro Jahresrente vereinbart wird. Dies betrifft Lebens-, Berufsunfähigkeits-, Erwerbsunfähigkeit- und Pflegerentenversicherung und entspricht den Wünschen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Auch die Arbeitgeber können mit dem Gesetzentwurf sicher gut leben. Gentests von BewerberInnen sind zwar tabu. Doch bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen sollen molekulargenetische Analysen erlaubt sein, um Beschäftigte herauszufiltern, die bei »gesundheitsfährdenden Tätigkeiten« besonders krankheitsanfällig sein könnten.

Der Arbeitsschutz würde so pervertiert – geschützt werden ja nicht Menschen, sondern schädliche Werkstoffe. Und der Gencheck kann existenzielle Folgen haben: Wer als angebliche »Risikoperson« enttarnt wird oder den Test von vorneherein verweigert, darf firmenintern versetzt oder gar entlassen werden – das, so der Gesetzentwurf, verstoße nämlich keineswegs gegen das Benachteiligungsverbot.




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP


Gentest-Gesetz nach Wünschen von Kassen, Forschern und Firmen

  • Ein »Diskussionsentwurf« des Gesundheitsministeriums

aus: BIOSKOP Nr. 28, Dezember 2004, Seiten 8+9

In Aussicht gestellt wurde es seit Anfang der neunziger Jahre zig-mal, doch bisher ist es stets ein Phantom geblieben: ein Gesetz zur genetischen Diagnostik. Nun scheint Rot-Grün ernst zu machen. Jedenfalls hat das Bundesgesundheitsministerium (BMGS) angekündigt, 2005 ein solches Regelwerk ins Parlament einzubringen. Ein »Diskussionsentwurf« kursiert bereits.

Großspurige Worte sind Ingo Kailuweit nicht fremd. Eine »Steilvorlage«, sagt der Chef der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH), habe sein Unternehmen der Bundesregierung gegeben – und zwar mit dem »Modellversuch Hämochromatose-Screening«, das auch gesundheitsökonomisch interessant ist. Tatsächlich könnten Massen-Gentests, die AnlageträgerInnen für angeblich genetisch bedingte Erkrankungen ermitteln sollen, künftig hierzulande Realität werden. Denn der Diskussionsentwurf für ein Gendiagnostikgesetz, den Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) offiziell noch als Verschlusssache hütet, legitimiert auch genetische Reihenuntersuchungen bei Menschen, die keinerlei Krankheitssymptome aufweisen. Vorausgesetzt wird, dass sie freiwillig mitmachen und die gesuchte genetische Eigenschaft bedeutsam sein soll für eine Erkrankung, die behandelbar oder deren Ausbruch völlig vermeidbar sei.

Solche Kriterien sind schwammig – auch beim Musterbeispiel Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit). Der wissenschaftliche Leiter des KKH-Screenings, Manfred Stuhrmann-Spangenberg, hat dies im Dezember 2001 im Fachblatt Medizinische Genetik veranschaulicht. Laut einer Studie, die er gemeinsam mit seinem Humangenetiker-Kollegen Jörg Schmidtke erläuterte, sei nur bei jedem zwanzigsten reinerbigen Hämochromatose-Anlageträger irgendwann eine schwere Leberschädigung festgestellt worden. Die Höhe der Erkrankungszahlen hänge zudem entscheidend davon ab, wie man »Hämochromatose« überhaupt definiere. Bezeichne man auch solche AnlageträgerInnen als »krank«, die zwar keine klinischen Symptome, aber überhöhte Eisenwerte aufwiesen, so müsste mehr als jeder zweite reinerbige Anlageträger als Hämochromatose-Patient gelten. Dass derartige Unklarheiten zu falschen Therapieentscheidungen führen und Betroffene lebenslang verunsichern können, räumten die beiden Humangenetiker im Fachblatt ein: »In der Folge eines positiven Testergebnisses werden so manche Menschen, die auch ohne Prophylaxe gesund blieben, eine Aderlassbehandlung durchführen.«

Welche genetischen Eigenschaften für Krankheiten relevant sein sollen, dürfen 19 ExpertInnen bestimmen.

Die Macht, per Richtlinien zu definieren, welche genetischen Eigenschaften für Krankheiten relevant, welche Reihenuntersuchungen sinnvoll und welche Gentests erforderlich und geeignet sein sollen – all diese Kompetenzen will das BMGS auf 19 ExpertInnen übertragen. Sie bilden, laut Diskussionsentwurf, die »Gendiagnostik-Kommission«, die beim Robert-Koch-Institut eingerichtet werden soll. Dass dieses Gremium droht, ein Werbe-Club für prädiktive Gentests mit begrenzter Aussagekraft zu werden, liegt schon wegen seiner Zusammensetzung auf der Hand: 15 der Sachverständigen sollen die Bereiche Medizin und Biologie repräsentieren, vier die Disziplinen Ethik und Recht.

Das Genmedizin-Konzept fördern sollen offensichtlich auch die Regeln zur wissenschaftlichen Forschung. Grundsätzlich dürfen Blut- und Gewebeproben nur analysiert werden, wenn der »Spender« nach »allgemein verständlicher« Aufklärung zugestimmt hat. Ein therapeutischer Nutzen für die Betroffenen muss dabei nicht angestrebt werden, und dies soll auch für Kinder gelten: Stimmen ihre Eltern zu, dürfen sie in fremdnützige genetische Studien einbezogen werden.

Die Einwilligung soll, muss aber nicht schriftlich erfolgen; es ist möglich, sie auf bestimmte Forschungszwecke oder -bereiche zu beschränken. Das klingt transparent, bleibt aber hinter dem etablierten Standard für klinische Forschung zurück: Denn der BMGS-Entwurf verlangt nicht, dass »SpenderInnen« von Körpersubstanzen und Daten über jede einzelne Studie informiert werden und ihr Einverständnis für jedes Projekt bestätigen müssen.

Im Klartext bedeutet das: Wer Blutproben und PatientInnendaten ohne Wissen der Betroffenen gesammelt hat, wird sie wohl problemlos weiter nutzen können.

Diese Vorgabe ist maßgeschneidert für diejenigen, die so genannte »Biobanken« betreiben und verwerten. Und es kommt noch besser für sie: »Ist die Einholung einer Einwilligung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich«, heißt es in dem Diskussionsentwurf, »so ist eine genetische Untersuchung oder Analyse bereits vorhandener personenbezogener genetischer Proben und die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener genetischer Daten zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung zulässig.« Im Klartext bedeutet das: Wer Blutproben und PatientInnendaten ohne Wissen der Betroffenen gesammelt hat, wird sie wohl problemlos weiter nutzen können. Dafür brauchen BiobankerInnen nur anzugeben, sie könnten »SpenderInnen« partout nicht mehr finden, zum Beispiel, weil sie umgezogen seien oder sich ihr Familienname wegen Heirat geändert habe.

Dass solche Laxheit weder unwahrscheinlich ist noch sanktioniert wird, zeigen die Erfahrungen mit dem Neugeborenenscreening auf angeborene Stoffwechselstörungen. Ohne Wissen der Eltern werden seit über zehn Jahren in Bundesländern wie Hessen und Hamburg getrocknete Blutproben sämtlicher Babys aufbewahrt – Sammlungen, die nach Einschätzung von DatenschützerInnen auch als »potenzielle Gendatenbank« geeignet sind _(Siehe BIOSKOP Nr. 24. Doch weder PolitikerInnen noch Behörden haben die Screening-Zentren bislang aufgefordert, die ahnungslosen Eltern endlich zu informieren, damit sie wenigstens nachträglich entscheiden können, ob sie der Aufbewahrung der genetischen Proben ihrer Kinder zustimmen oder nicht.

Sogar überhaupt nicht nötig soll eine Einwilligung laut BMGS-Entwurf immer dann sein, wenn ForscherInnen die »genetischen Proben und Daten der betroffenen Person anonymisiert« haben. Dies suggeriert Sicherheit, die es nicht gibt: »Das Ergebnis einer einzelnen Genomanalyse«, erläuterten die Datenschutzbeauftragten Ende 2000 der Medizinethik-Enquetekommission, »kann auch ohne die beigefügte Zuordnung zu einer Person oder einer personenbezogenen Probe immer durch eine spätere Referenzanalyse wieder re-individualisiert werden – ebenso wie ein Fingerabdruck.«

Zudem wirken Forschungsergebnisse nicht nur auf namentlich bekannte ProbandInnen. Kommt zum Beispiel ein Gentest auf den Markt, entwickelt auf Basis verschlüsselter Blutproben und Daten von Menschen mit einer bestimmten Krankheit oder Behinderung, müssen alle TrägerInnen als »riskant« geltender Gene mit Konsequenzen rechnen – spätestens, wenn Krankenkassen, Versicherungen und Arbeitgeber den neuen Test zwecks »Risikoselektion« einsetzen.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2004
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