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Wirtschaftlich attraktiv

»Diese wirtschaftliche Attraktivität, ablesbar auch an der Beteiligung von Großfirmen wie Glaxo Wellcome und Hewlett-Packard an der Entwicklung, läßt keinen Zweifel daran, daß binnen kurzer Zeit die breite Einführung der DNA-Chip-Technologie mit oder ohne eine begleitende ethische Diskussion erfolgen wird. Erklärtes Ziel der Entwickler ist es, innerhalb weniger Jahre, nämlich mit dem Abschluß des weltweiten Genomprojekts, die vollautomatische Analyse des kompletten Genbestandes des Menschen per DNA-Chip anzubieten.«

Einschätzung des Humangenetikers Wolfram Henn, nachzulesen in seinem Aufsatz »Der DNA-Chip – Schlüsseltechnologie für ethisch problematische neue Formen genetischen Screenings?«, erschienen in der Zeitschrift Ethik in der Medizin, Heft 3/1998, S. 133



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP


Technologie für Massen-Tests

  • DNA-Chip soll Gen-Diagnostik revolutionieren – und gilt als Schlüsseltechnik für Bevölkerungsscreenings

aus: BIOSKOP Nr. 7, September 1999, Seiten 14+15

Unterstützt von Steuermilliarden, läuft die »Entschlüsselung« des menschlichen Erbguts auf Hochtouren. ForscherInnen und Pharmafirmen aus über 50 Staaten hoffen, die schätzungsweise 70.000 bis 100.000 Gene bis Ende 2003 lokalisiert zu haben. Für gute Geschäfte sollen neben der Entwicklung und Vermarktung von Gentech-Medikamenten auch Gentests sorgen. Chancen und Risiken genetischer Reihenuntersuchungen (Screenings) werden in Expertenkreisen bereits diskutiert.

Dass die Aussagekraft molekulargenetischer Tests grundsätzlich sehr begrenzt ist, haben ExpertInnen der Deutschen Forschungsgemeinschaft jüngst in einer »Stellungnahme« ausdrücklich bestätigt. Trotzdem bieten Kliniken, Arztpraxen, Firmen und Labors hierzulande inzwischen über 100 verschiedene molekulargenetische Tests an. Analysiert werden DNA (Desoxyribonukleinsäure) und Zellen aus Blut- oder Gewebeproben der Testperson.

Verfügbar sind bislang Analyseverfahren, die Veranlagungen für Krankheiten aufspüren sollen, die durch Veränderungen eines einzelnen Gens bedingt sein sollen. Dies gilt zum Beispiel für Mukoviszidose, Veitstanz, Hämochromatose oder die Bluterkrankheit. Zudem offerieren mehrere Humangenetik-Institute auch Tests, die vorhersagen sollen, ob ein Risiko für bestimmte Formen von Brustkrebs oder Alzheimer-Demenz besteht. Noch nicht entwickelt, aber wirtschaftlich besonders interessant sind Tests für Zivilisationskrankheiten, die Millionen Menschen betreffen, beispielsweise Allergien, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Bluthochdruck oder Parkinson. Ihre Ursachen gelten als vielfältig und sind weitgehend ungeklärt, doch vermuten GenforscherInnen, dass dabei auch »defekte Gene« eine Rolle spielen können.

  • Riesige Speicherpotenziale

Die bisher verbreiteten Gentests sind auf die Prognose eines bestimmtes »Krankheitsrisiko« begrenzt, relativ teuer und kompliziert zu handhaben. Doch dabei soll es nicht bleiben, wenn es nach den Wünschen und Versprechungen von ForscherInnen und Industrie. Als technologischer Schlüssel zur Ausweitung molekulargenetischer Analytik gilt der »DNA-Chip«, der von Informatikern in den USA entwickelt und 1996 vorgestellt wurde. Nach Darstellung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) kann ein DNA-Chip zwischen 10.000 und 100.000 Gensequenzen speichern, die theoretisch in einer einzelnen Blut- oder Speichelprobe diagnostiziert werden können. »Es ist damit im Prinzip möglich«, schreibt das TAB, »bei klinischen Routineuntersuchungen auf relativ einfachem und nur geringes Spezialwissen erforderndem Weg Anlagen für genetisch bedingte Krankheiten oder auch genetisch bedingte Überempfindlichkeiten gegenüber bestimmten Stoffen und Medikamenten zu diagnostizieren.« Zwar sei die Technik bislang noch nicht ausgereift, doch werde erwartet, dass bis zum Jahr 2001 die ersten Gendiagnose-Automaten für die medizinische Praxis auf den Markt kommen.

  • Die Macht des Machbaren

Dass dann auch private Firmen und Nicht-Mediziner die neuen, leicht handhabbaren Genanalyse-Verfahren anbieten würden, sei wahrscheinlich, prognostiziert der Hamburger Molekularbiologe und Sozialwissenschaftler Ludger Weß, zumal es »nach wie vor keine gesetzgeberischen Barrieren gegen eine extensive Nutzung gendiagnostischer Verfahren gibt«. Weß, der im Auftrag des TAB ein Gutachten zur Gen-Chip-Technologie und ihrer kommerziellen Bedeutung erstellt hat, warnt zudem davor, dass die neue Chip-Technik »Screenings von umfangreichen Bevölkerungsgruppen« ermögliche. Weil genetische Daten künftig leichter und umfassender verfügbar würden, sei zudem damit zu rechnen, dass Arbeitgeber und Versicherungen sie auch verlangen und nutzen würden. »In einem solchen Szenario«, schreibt Weß, »lässt es sich kaum noch verhindern, dass Gendiagnosen ohne Beratung erstellt werden und eine Ausdehnung auch auf medizinisch irrelevante Daten, Persönlichkeitsmerkmale usw. stattfindet«.

Die DNA-Chip-Technik hat das Potenzial, die Marktführerschaft von HumangenetikerInnen bei der »Dienstleistung Gen-Diagnostik« zu beseitigen. Andererseits könnte sie ihnen auch neue Arbeits- und Verdienstfelder ermöglichen, wenn GesundheitspolitikerInnen künftig genetische Reihenuntersuchungen einführen würden, um TrägerInnen »riskanter« Erbanlagen aufspüren zu lassen. Beide Optionen haben sich in der Profession offenbar herumgesprochen. “Die entscheidende Frage lautet«, schrieben die HumangenetikerInnen Traute Schroeder-Kurth und Wolfram Henn am 11. Juni 1999 im Deutschen Ärzteblatt (DÄB), »ob die bisherige Zurückhaltung gegenüber dem genetischen Bevölkerungsscreening in Deutschland durch die Macht des Machtbaren verdrängt wird«. Denn es sei fraglich, »ob Deutschland bei seiner im Vergleich zu anderen europäischen Ländern restriktiven Haltung bleiben« könne.

  • Kein Tabu mehr

Kosten-Nutzen-Analysen für genetische Diagnostik würden in anderen Gesundheitssystemen keineswegs tabuisiert; das Einsparpotenzial sei für die Kostenträger um so größer, erläutern Henn und Schröder-Kurth, »je höher das A-priori-Risiko der untersuchten Bevölkerung und je schwerer das Krankheitsbild mit der folgenden langwierigen, finanziell aufwendigen symptomatischen Therapie sind«.

Aus Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden gebe es Stellungnahmen öffentlicher Gremien, die genetische Screeningprogramme als ethisch akzeptabel bewertet hätten, sofern die Selbstbestimmung der TeilnehmerInnen gewährleistet sei. Und in den USA hätten die National Institutes of Health vor zwei Jahren sogar empfohlen, dass die Krankenversicherungen für alle Paare mit Kinderwunsch ein flächendeckendes Anlageträgerscreening auf Cystische Fibrose bezahlen sollten – und zwar als Vorsorgeleistung.

  • Ein Memorandum der Bundesärztekammer

Was sie selbst von solchen Programmen halten, verraten Henn und Schroeder-Kurth der _DÄB_-Leserschaft nicht. Vielmehr raten sie, die Bundesärztekammer (BÄK) könne ein »erneutes Memorandum zum Bevölkerungsscreening anfertigen lassen, das relevante Beurteilungskriterien liefert«. Entsprechenden Einfluss hat zumindest Schroeder-Kurth: Sie ist Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission bei der BÄK – jenem Gremium, das 1997 gefordert hat, unter bestimmten Bedingungen auch nichteinwilligungsfähige Menschen in klinische Versuche einzubeziehen, bei denen ein therapeutischer Nutzen für die Betroffenen nicht zu erwarten ist.

Bereits 1992 hatte die BÄK ein Memorandum zu Reihenuntersuchungen vorgelegt. Die AutorInnen schlossen genetische Screenings mit freiwilliger Teilnahme nicht aus und betonten, vor jedem Test müsse eine »individuelle genetische Beratung« stattfinden.

© Klaus-Peter Görlitzer, 1999
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