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UTE BERTRAND, Journalistin und BioSkoplerin

Ein konstruktiver Vorschlag

  • Anmerkungen zur wieder einmal angekündigten gesetzlichen Regulierung genetischer Diagnostik

aus: BIOSKOP Nr. 17, März 2002, Seite 10+11

Die Bundesregierung hat angekündigt, noch vor den Sommerferien einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, der die Anwendung genetischer Diagnostik reguliert. Derartige Verlautbarungen hat es seit Anfang der 90er Jahre immer mal wieder gegeben. Auch 2002 wird wohl nichts mehr beschlossen werden, denn am 22. September steht »Bundestagswahl« auf dem Polit- Programm, und erfahrungsgemäß erleichtern Wahlkampfzeiten die Verabschiedung von Gesetzen nicht gerade. Abgesehen davon, ist das Ansinnen von Rot-Grün, das auch die CDU/CSU-Fraktion im Prinzip unterstützt, durchaus zwiespältig.

Vorneweg eine grundsätzliche Bemerkung: Jede gesetzliche Regelung genetischer Diagnostik erkennt faktisch an, dass Gentests und ihre Resultate aussagekräftig, verlässlich und folglich auch geeignet sind, vielfältige persönliche Entscheidungen und juristische Ansprüche begründen zu können. Das gilt für den Getesteten ebenso wie für Versicherungen, Krankenkassen, Arbeitgeber etc., die an Resultaten genetischer Diagnostik vital interessiert sind, etwa aus finanziell motivierten Selektionserwägungen.

Gentests – insbesondere solche zur »Vorhersage« volkswirtschaftlich teurer, für Hersteller und Anwender betriebswirtschaftlich lukrativer »multifaktoriell bedingter Krankheiten« (z.B. Alzheimer, Parkinson, Brustkrebs, Multiple Sklerose) – sind tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als Orakel, die sich auf moderne Medizintechnik berufen; prophezeien können sie allenfalls und unverbindlich Erkrankungswahrscheinlichkeiten.

Kurzum: In Sachen »prädiktiver genetischer Diagnostik« weiß die Wissenschaft nichts Genaues.

Von der beschränkten Aussagekraft müssten auch die meisten ParlamentarierInnen schon gehört haben, zumal viele bei biopolitischen Entscheidungen wiederholt ein offenes Ohr für Erkenntnisse und Bedürfnisse der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gezeigt haben. Eben diese DFG hat im Juli 1999 in einem Grundsatzpapier zur genetischen Diagnostik wissenschaftlich festgestellt: »Ob die betreffende Krankheit tatsächlich auftreten wird, lässt sich durch den Test nicht sicher entscheiden. Auch der Zeitpunkt des späteren Auftretens lässt sich nicht genau aus dem Befund ableiten.« Kurzum: In Sachen »prädiktiver genetischer Diagnostik« weiß die Wissenschaft nichts Genaues.

Wenn sich die Politik nun trotz alledem veranlasst sieht, auf diesem Gebiet regelungsaktiv zu werden, sollte man sie an ihrem erklärten Anspruch, nämlich Menschen vor Diskriminierung zu schützen, messen. Ins Auge springt, dass sowohl Rote, Grüne bislang eines gänzlich vermieden haben: absolute Nutzungsverbote von Gentest-Ergebnissen zu fordern. Das gilt für alle wirtschaftlich interessanten Bereiche, vom Abschluss einer Lebensversicherung über Untersuchungen am Arbeitsplatz bis zur Realisierung medizinischer Forschungsprojekte.

Beide Strategien sind jedoch wenig aussichtsreich.

Statt die Gentest-Lotterie hier gar nicht erst zuzulassen, leisten die Parteien ihr durch gesetzliche Anerkennung geradezu Vorschub: Sie setzen dabei, naiv oder mit Kalkül, auf die so genannte »Freiwilligkeit« der nachfragenden oder von ForscherInnen geworbenen Testpersonen, also darauf, ob der/die Betroffene nach »Aufklärung« in Blutentnahme und Gencheck eingewilligt hat oder nicht. Sagt er oder sie ja, soll alles rechtens sein. Außerdem finden die MentorInnen der bisher bekannt gewordenen Regelungsvorschläge es offenbar politisch mutig, qualitätssichernd und Missbräuchen vorbeugend, den Gendiagnostik-Markt demjenigen Berufsstand vorzubehalten, der dies seit Jahren hartnäckig verlangt: den HumangenetikerInnen.

Beide Strategien sind jedoch wenig aussichtsreich. Zum einen wird jede erlaubte, freiwillige und individuelle Entscheidung eines Bewerbers, ein Gentest-Ergebnis etwa bei Firmen oder Versicherungen zu offenbaren, alle diejenigen KonkurrentInnen und InteressentInnen unter Zugzwang setzen, die dies eigentlich gar nicht wollen – Vertragsfreiheit gibt es, wie viele Menschen aus alltäglicher Erfahrung wissen, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und ökonomischer Machtkonzentration gewöhnlich nur auf dem Papier. Und die in politischen und medizinethischen Reden hoch gehaltene Beratung und »Aufklärung« durch universitäre Humangenetik-Institute erschöpft sich im Alltag meist auf das Aushändigen von Vordrucken. Außerdem sind auch beamtete HumangenetikerInnen nicht davor gefeit, im Rahmen ihrer Arbeit Gesetze zu überschreiten – eine mögliche Variante hat der »Eisinger Fall« vorgeführt, der bundesweit einiges Aufsehen erregt hat.

Die Mitteilung und Weitergabe von Ergebnissen jeder genetischen Diagnostik darf ausschließlich mündlich und nur an die getestete, anwesende Person erfolgen.

Nach Vortrag all dieser Bedenken hier nun ein konstruktiver Vorschlag, erstellt zur gefälligen Kenntnisnahme für den »Konsens«-Kanzler, seine rot-grüne Gefolgschaft und die sie schärfstens kontrollierende Opposition: Wenn alle schon drauf und dran sind, höchst spekulative und – mangels Therapien für genetisch bedingte Erkrankungen – obendrein medizinisch nutzlose Gentests gesetzlich zu adeln und damit ideologisch zu unterstützen, sie aber derartige Checks keineswegs kategorisch verbieten wollen, dann empfehlen wir ihnen folgende Gesetzesformulierung: »Die Mitteilung und Weitergabe von Ergebnissen jeder genetischen Diagnostik darf ausschließlich mündlich und nur an die getestete, anwesende Person erfolgen. Wer Gentest-Daten Dritter auf elektronischen Datenträgern speichert oder schriftlich archiviert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«

Eine solche Regelung wäre nicht restriktiv. Denn sie würden allen Interessierten die Möglichkeit offen lassen, sich von HumangenetikerInnen oder anderen selbst ernannten Fachleuten gesundheitliche Zukunft weissagen zu lassen. Allerdings, und das ist auch der angestrebte Zweck, dürfte es allen Beteiligten schwer fallen, auf nur mündlich mitgeteilte Testergebnisse irgendwelche Ansprüche zu stützen und beweiskräftig zu untermauern – rechtlich würde somit die allgemeine Unverbindlichkeit bestätigt, die Stand der medizinischen Wissenschaft in Sachen prädiktiver genetischer Diagnostik ist. Ein solcher »Kompromiss« mag manch einer/m nicht politikfähig, vielleicht gar naiv erscheinen. Er ist aber allemal substanzieller und realistischer als die schöne Verheißung, ein Gesetz, das auf Freiwilligkeit der Nachfragenden und Selbstbeschränkungen der Anbieter setzt, werde »Missbrauch von Gentests« schon verhindern.

© Ute Bertrand, 2002
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