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Gesellschaftliche Unterstützung?

»Wie in anderen Sektoren der Wirtschaft auch, wird die Strategie der Hersteller und Anbieter von Gendiagnostik darin bestehen, Massenmärkte zu erobern. Dazu gehört vor allem die prädiktive Testung von genetisch assoziierten Krankheitsrisiken auf dem Gebiet weit verbreiteter Zivilisationskrankheiten (wie z.B. Diabetes, Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerative Erkrankungen). [..]

Unabhängig von den jeweiligen Erfolgsaussichten einer Prävention und frühzeitigen Intervention kann davon ausgegangen werden, dass diese Testangebote auf eine relativ große gesellschaftliche Unterstützung treffen. Sie harmonieren:

- auf der politischen Ebene mit der an Bedeutung gewinnenden Idee einer individuellen Vorsorge und Eigenverantwortung des Versicherten,

- im medizinischen Bereich mit der Tendenz zur Medikalisierung von Risiken (Prävention) und insofern mit der Erweiterung des professionellen Zugriffs durch die Transformation von Gesunden in ‘Noch-nicht-Kranke’,

- auf Seiten potenzieller Nachfrager mit der Idee der Machbarkeit von Gesundheit, Fitness und Wellness.«

Einschätzung der Hamburger Gesundheitswissenschaft-lerInnen Günter Feuerstein, Regine Kollek und Thomas Uhlemann in ihrer Expertise Gentechnik und Krankenversicherung, erstellt 2001 im Auftrag des AOK-Bundesverbandes



ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Markttaugliche »Lebensmuster«?

  • Mit breiter Produktpalette umwirbt die Gendiagnostik-Branche besorgte SelbstzahlerInnen und junge Eltern

aus: BIOSKOP Nr. 31, September 2005, Seiten 12+13

Im Internet preisen Unternehmen DNA-Analysen an – vor allem für private Vaterschaftstests. Einige Firmen haben ihre Produktpalette erweitert: Sie vermarkten auch einfache »Speicheltests« für »riskante« Neigungen, etwa zu Osteoporose, Thrombosen, Fettleibigkeit oder Lebensmittelunverträglichkeiten. Zielgruppen sind besorgte SelbstzahlerInnen und junge Eltern.

Jährlich werden hierzulande 90.000 molekulargenetische Tests vorgenommen, die Risiken für zukünftige Krankheiten vorhersagen sollen. Dies jedenfalls sind die offiziellen Zahlen, die Diagnostik-Industrie und HumangenetikerInnen verbreiten. Untersuchen lassen sich vornehmlich Menschen, deren Verwandte an Krankheiten leiden, die erblich bedingt sein sollen. Für rund 600, meist sehr seltene Leiden, gibt es Gentests.

Spitzenreiter im molekularen Diagnoseangebot mit Aussicht auf Masseneinsatz ist derzeit ein Test auf Hämochromatose. Die »Eisenspeicherkrankheit« gilt als nahezu ideales Testziel: Betroffen sein soll fast jede/r 400. MitteleuropäerIn. Die Neigung, zu viel Eisen aus der Nahrung aufzunehmen und im Körper abzulagern, soll durch eine einzige Genmutation bedingt und verlässlich diagnostizierbar sein. Regelmäßige Blutspenden bei AnlageträgerInnen sollen mögliche Spätfolgen wie Leberzirrhose, Leberkrebs, Diabetes oder Herzschwäche verhindern können.

  • Pilotprojekt

Um Aussagekraft des Hämochromatose-Tests, Akzeptanz der Versicherten und ökonomische Rationalität zu prüfen, initiierten die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) und Humangenetiker der Medizinischen Hochschule Hannover im Frühjahr 2001 ein Pilotprojekt _(Siehe BIOSKOP Nr. 13. Rund 4.000 Versicherte ließen sich checken, Ende 2004 gaben die InitiatorInnen ihr Fazit bekannt: Massentests lohnen sich! Seither werden MedizinerInnen gezielt auf diese Testoption aufmerksam gemacht, darunter auch die HausärztInnen.

Dabei sind die Studienergebnisse keineswegs so eindeutig, wie die Initiatoren nahe legen: Bei 67 der rund 4.000 untersuchten KKH-Versicherten wurde die gesuchte Genstruktur zwar gefunden. Erkrankt waren aber nur 30 Personen. Zweifelhaft ist zudem, ob ihre vielfältigen Erkrankungen an Leber oder Herz vor allem auf die diagnostizierte Genveränderung zurückzuführen sind: Auch gesellschaftliche Lebens- und Arbeitsbedingungen können dazu beigetragen haben.

Die frohe Botschaft der Studiendesigner freut die Diagnostik-Industrie. Sie setzt auf den wachsenden Markt der SelbstzahlerInnen, die in der Arztpraxis auf diverse Tests – und zwar nicht nur molekulargenetische – aufmerksam gemacht werden und sich „Sicherheit“ in Form der so genannten Individuellen Gesundheitsleistungen privat erkaufen sollen. Doch die Normwerte und statistischen Wahrscheinlichkeiten erzeugen oftmals jene Zukunftsängste, die sie bewältigen sollen. Laborgemeinschaften bieten »auf ärztliche Anfrage« Tests auf Hämochromatose, Brustkrebs (BRCA), Thromboseneigung, Osteoporose und andere Krankheiten an.

  • Lukrative Nische

Zusätzlich hofft die Branche auf das wachsende OTC-Geschäft. Das Kürzel steht für »over the counter« und meint Medikation und Selbsttests aller Art, die ohne Rezept über den Tresen der Apotheken gehen. Die allgegenwärtige Erziehung zu »selbstverantwortlichen und mündigen« BürgerInnen, die über ihre »Risiken« informiert sind und sich in die blühende Kultur des Selbstmanagements integrieren, hat das OTC-Geschäft für Schnelldiagnosen hierzulande auf 600 Millionen Euro im Jahr wachsen lassen.

Mit gezieltem Marketing können molekulargenetische Tests im IGeL-Segment und im OTC-Geschäft üblich werden – lange bevor sie in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen und mit Regeln für ihren Gebrauch ausgestattet sind. Beim weltgrößten Diagnostik-Anbieter Roche ist jedenfalls noch einiges in Vorbereitung: 2008 will der Pharmariese Screeningtests für verschiedene Krebserkrankungen auf den Markt drücken. Geforscht wird bei Roche auch an molekulargenetischer Früherkennung für Schlaganfall- und Arthritis-»Risiken«, Bluthochdruck und Asthma.

  • Ökonomische Erfolgsaussichten

Eine Schar privater Unternehmen hat genetische Vaterschaftsnachweise populär gemacht. Einige Firmen bietet den schnellen Speicheltest auch für biomedizinische Zwecke an. Entscheidend für die ökonomischen Erfolgsaussichten ist, ob es den Anbietern gelingt, in die Strukturen des öffentlichen Medizinsystems zu stoßen – also in Kliniken, niedergelassene Arztpraxen und Apotheken.

Mit aggressiven aber auch seriös anmutenden Werbe-Strategien tut sich in der Diagnostik-Branche die »Humatrix AG« hervor. Das Frankfurter start-up-Unternehmen kooperiert mit HumangenetikerInnen und verweist auf wissenschaftliche und politische Prominenz in ihren Reihen: Als Aufsichtsratsvorsitzender fungiert der Biochemiker Hans Günter Gassen, »Senior Advisor« ist der ehemalige Bundesforschungsminister und heutige Unternehmensberater Heinz Riesenhuber. Auf der firmeneigenen Homepage steht der Slogan: »Unser Arbeitgeber: Das Leben selbst«.

  • Ein Depot für alle Fälle

Humatrix vertreibt ein »DNA-Safekit« bundesweit und zunächst kostenlos über alle Apotheken, über das Internet und eine Hotline. »Für alle, die an den medizinischen Fortschritt der Zukunft glauben und für sich selbst vorsorgen möchten«, lagert die Firma via Speicheltest DNA-Proben ein – für einen einmaligen Betrag von 50 Euro und jährliche Lagerungsgebühren von weiteren 50 Euro. Rabatt gibt es beim Depot für die ganze Familie. Wer für Enkel- oder Patenkind zu Weihnachten keine andere Idee für ein Präsent hat, schenkt den »Liebsten das vielleicht Wertvollste überhaupt: die Chance auf ein gesundes Leben« – in Form eines DNA-Depots für 490 Euro bei einer Laufzeit von 20 Jahren. Wem die »gesunde Zukunft« und das »persönliche Lebensmuster« was »wert ist«, der ordert gleich eine »humatrix DNA-Diagnostik« für Hämochromatose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, HIV, Medikamentenunverträglichkeit, Osteoporose (Knochenbauschwäche) und Parodontitis. Das kostet zwischen 65 und 650 Euro, hinzu kommt eine Gebühr von 130 Euro für Probenbearbeitung, Ergebniserstellung und fachmännischer Beratung. Wie groß – oder auch klein – die Nachfrage für diese biowissenschaftliche Produktpalette ist, will die Firma nicht verraten.

  • Vertrauenswürdige MultiplikatorInnen

Werdende oder junge Eltern können im Internet über hx-baby.de »die bessere Vorsorge für mein Kind« anschauen oder sich die entsprechende Hochglanz-Broschüre von Humatrix schicken lassen. Aussichtsreicher für zukünftige Vermarktungschancen sind sicherlich die Fortbildungen für Hebammen in Kliniken und für KinderärztInnen, die Humatrix anbietet. Denn im öffentlichen Gesundheitswesen werden jene vertrauenswürdigen MultiplikatorInnen gefunden, die für ihre privatwirtschaftlichen Belange werben können – bei besorgten, verunsicherten und gutwilligen Eltern.

Für Neugeborene (und Kinder) offeriert Humatrix ein Basispaket für 295 Euro mit molekularen Hinweisen zu Nahrungsmittel-, Antibiotika- und Medikamentenunverträglichkeiten sowie der Stoffwechselstörung AAT. Nach Vorbild des etablierten Neugeborenen-Screenings auf Stoffwechselstörungen bezeichnet das Unternehmen die Testangebote als »Präventionsdiagnostik«, die Diäten und medizinisches Handeln zu bieten habe, also nicht auf bloßes »genetisches Stigma« ziele.

  • Im Schatten vager genetischer Prognose

Zusätzlich können Eltern beim Arztbesuch oder in der Klinik über das »Aufbaupaket« informiert werden, mit Risiko-Ermittlungen für Hämochromatose, Osteoporose und Parodontitis. Auch Einzelanalysen werden vermarktet, beispielsweise Tests für die Neigung zur Fettleibigkeit. Die Konsequenzen bei »positivem« Gen-Nachweis erscheinen harmlos und allzu üblich im Zeitalter von Gesundheitskassen und Lebensstil-Rezepten: Empfohlen wird eine gesunde Ernährung, Sport und Bewegung für Knochendichte im Alter, Zahngesundheit und Idealgewicht.

Im Schatten vager genetischer Prognose zu leben, ist gefährlich – auch und gerade mit plausibel erscheinenden Interventionsangeboten. Die Sorge um die eigene Zukunft und die der Kinder wird verengt auf private »Investitionen« in käufliche, wissenschaftliche (Un-)Gewissheiten und auf gesundheitspolitisch gebotene Verhaltenskontrollen.

© Erika Feyerabend, 2005
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