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Zur Verfügung

»Den Zivilisationskrankheiten auf der Spur« verheißen Faltblätter, mit denen die MacherInnen der »LIFE«-Studie um potenzielle ProbandInnen werben. Mitmachen sollen drei Zielgruppen: LeipzigerInnen zwischen 40 und 79 Jahren, Kinder und Jugendliche, Schwangere und Säuglinge.

»Wir laden Sie und Ihr Kind/Ihre Kinder ein, an diesem einzigartigen Projekt teilzuhaben«, steht im Flyer, der Eltern erklärt, wie der »Studientag” minderjähriger ProbandInnen ablaufen soll: »Die Untersuchungen werden in einer Art Parcous durchgeführt. Dazu gehören unter anderem Körpervermessung, Ultraschalldiagnostik, Allergietests, Aktivitätsmessungen, Lungenfunktionsuntersuchungen, die Bestimmung motorischer Fähigkeiten und des Entwicklungsstandes sowie eine Blutentnahme. Zudem stellen wir verschiedene Fragen zur Lebensumwelt Ihres Kindes.«

Zum Verbleib der gewonnenen Daten und Proben heißt es: »Die Untersuchungsergebnisse werden in einer Forschungsdatenbank ohne Nennung des Namens gespeichert. Sie sind sicher verschlüsselt und unterliegen zudem der ärztlichen Schweigepflicht. Alle Proben lagern bei unter minus 100 Grad in einer Biobank und stehen so auch für künftige wissenschaftliche Analysen zur Verfügung.«




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Biobank LIFE – »einzigartig«

  • Die Universität Leipzig sammelt hunderttausende von Daten und Blutproben für »künftige wissenschaftliche Analysen«

aus: BIOSKOP Nr. 55, September 2011, Seiten 3+4

»Einzigartig« nennt die Universität Leipzig ihr Großforschungsprojekt LIFE, und das ist wohl nicht übertrieben: Bis 2013 will ein Netzwerk aus 120 Wissenschaftlern rund 30.000 Kinder und Erwachsene körperlich und genetisch untersucht und nach ihren Lebensstilen befragt haben; pro Proband sollen bis zu 1.000 Daten erhoben und elektronisch gespeichert werden. Wer mitmacht, spendet auch Körpersubstanzen – zwecks Einlagerung in eine Biobank, die künftig über eine Million Blut-, Urin- und Zellproben für die Erforschung »volkswirtschaftlich bedeutsamer Zivilsationskrankheiten« vorhalten soll.

An der Spitze des LIFE-Projektes steht Professor Joachim Thiery, der auch die Labormedizin der Leipziger Universität leitet. An einem Beispiel veranschaulicht der Professor, was ihn umtreibt: »Es ist immer noch ein Geheimnis«, zitiert ihn die Pressestelle der Uni, »warum einige Menschen trotz bekannter Risikofaktoren wie hohem Cholesterin und Übergewicht lange gesund bleiben und sehr alt werden. Andererseits leiden immer mehr junge Menschen bereits an Lebensstilerkrankungen, ohne dass wir die Ursachen immer hätten vorhersagen können.«

Mit Hilfe der LIFE-Methoden soll die Ungewissheit persepktivisch überwunden werden, Professor Thiery sagt: »Deshalb führen wir an einem Standort wissenschaftlich tausende von Untersuchungsergebnissen zusammen, die den Menschen in seiner Gesamtheit erkennen lassen – Gene und Organfunktion, Lebensweise und Umweltbedingungen.«

  • Noch nichts Konkretes

Solche Visionen verbinden die NetzwerkerInnen mit der Behauptung, »den Ursachen wichtiger Volkskrankheiten auf der Spur zu sein« – Diabetes, Herzinfarkt, Gefäßerkrankungen, Demenz, Depression, Fettleibigkeit, Allergien, Stoffwechselstörungen, Kopf- und Halstumoren. Zumindest die Europäische Union und der Freistaat Sachsen scheinen fest daran zu glauben. Gemeinsam pumpen sie fast 40 Millionen Euro in das »Leipziger Forschungszentrum für Zivilisationserkrankungen”, das sich das griffige Label LIFE zugelegt hat. Und die Geldgeber hoffen wohl auch, dass die wirtschaftspolitischen Verheißungen irgendwann wahr werden: »LIFE-Wissenschaftler«, so schreibt die LIFE-Website (www.uni-leipzig-life.de) schon heute, »entwickeln Ansätze für künftige Therapien, neue zielsichere Medikamente und effektivere medizinische Geräte.«

Konkrete Innovationen führt die Internetseite indes nicht an – kein Wunder, zunächst müssen die WissenschaftlerInnen ja erst mal jede Menge Daten und Körpersubstanzen für ihren »einzigartigen« Forschungsansatz sammeln. Seit diesem September konzentrieren sie sich darauf, ProbandInnen im Alter von 0 und 18 Jahren für das Teilprojekt »LIFE-Child« zu gewinnen.

  • Ganze Schulklassen untersuchen

Das Patientenmagazin des Leipziger Uniklinikums namens Gesundheit und mehr berichtete Anfang des Monats über diese Anstrengung und ließ dabei den Leiter der Studienambulanz, Andreas Hiemisch, zu Wort kommen: »Wir wollen insgesamt 15.000 Kinder und Jugendliche aus Leipzig und der unmittelbaren Umgebung untersuchen«, so der Diplom-Psychologe, »darunter 10.000 Kinder aus allen sozialen Strukturen sowie 5.000 Jugendliche mit Übergewicht.« Außerdem sollen 1.200 Jugendliche »mit psychischen Störungen« mitmachen. Und gesucht werden auch noch 2.000 schwangere Frauen, die bereit sind, sich und ihr Ungeborenes ab der 24. Schwangerschaftswoche regelmäßig von den ForscherInnen untersuchen zu lassen.

Tatkräftig unterstützt wird die Rekrutierung der Versuchspersonen von Stadtverwaltung und Schulaufsichtsbehörde. Letztere, im Freistaat »Sächsische Bildungsagentur« genannt, hat alle Leipziger SchulleiterInnen auf die LIFE-Forschung hingewiesen, und auch die KlassenleiterInnen werden laut Gesundheit und mehr angehalten, während der ersten Elternversammlungen nach den Sommerferien Informationsmaterialien über LIFE Child auszuhändigen. Erklärtes Ziel des LIFE-Teams ist es, »ganze Schulklassen« anzusprechen und möglichst im Klassenverband eingehend zu untersuchen – eine »besondere Herausforderung«, wie es Anfang August auf einer Pressekonferenz hieß, bei der neben beteiligten ForscherInnen auch Leipzigs Sozial-Bürgermeister Thomas Fabian (SPD) auf dem Podium saß.

  • Rund 150 Untersuchungsmethoden

Zum Verteilen gibt es zum Beispiel großzügig bebilderte Info-Flyer, die Minderjährige und ihre Eltern in lockerer Sprache dazu einladen, »an diesem einzigartigen Projekt teilzuhaben«. Weiter heißt es zum Nutzen der Studie: »Unsere Forschung dient dem gesünderen Heranwachsen aller Kinder.« Die Teilnahme sei »absolut freiwillig« und kostenlos, sogar eine »finanzielle Aufwandsentschädigung« wird in Aussicht gestellt. Der Flyer beschreibt auch, wie der »Studientag« abläuft – die mehrstündigen Checks reichen von der Körpervermessung über Bestimmung des Entwicklungsstandes und Fragen an die Eltern zur Lebensumwelt des Kindes bis zur Blutentnahme.

»Wir werden über einen Zeitraum von zehn Jahren die Kinder einmal pro Jahr untersuchen«, sagte Studienambulanzleiter Hiemisch dem Patientenmagazin der Universität; eingesetzt würden, verteilt über das gesamte Altersspektrum, rund 150 Untersuchungsmethoden. Die Ergebnisse würden viel elektronischen Datenspeicher füllen – »und zum anderen unsere Biobank«.

  • Was wissen die Wissenschaftler?

Welche konkreten Fragestellungen wer in wessem Auftrag mit welchen Partnern wann und wozu erforschen möchte – all das steht nicht im bunten Infoflyer. Auch nicht, welche der erhobenen Daten miteinander verknüpft, verglichen und ausgewertet werden sollen. Erklärt wird lediglich, dass die Untersuchungsergebnisse »ohne Nennung des Namens« in einer Forschungsdatenbank gespeichert und entnommene Blutproben »in einer Biobank« eingelagert werden. Die eingefrorenen, pseudonymisierten Proben stehen »so auch für künftige wissenschaftliche Analysen zur Verfügung«, heißt es im Faltblatt.

Vielleicht wissen die Leipziger ForscherInnen selbst noch nicht so genau, was sie mit dem gesammelten Stoff im einzelnen anfangen werden. Klar ist aber das Ziel: Eine Million Blut- und Zellproben sollen in ihrer »weltweit einzigartigen« Biobank perspektivisch bei Minus 140 Grad Celsius lagern, »ein wertvoller Schatz für die Zukunft der Leipziger Spitzenforschung, für die kommende Wissenschaftlergeneration und die Therapien von morgen«, schwärmt der Leiter der LIFE-Biobank, der Genetikprofessor Daniel Teupser.

  • Angestrebte Partnerschaften

Ob die eingefrorenen Proben und gespeicherten Daten tatsächlich exklusiv von Leipziger ExpertInnen beforscht werden und wer eigentlich über welche Eigentums- und Verwertungsrechte verfügen kann, danach sollten potenzielle StudienteilnehmerInnen ruhig mal ausgiebig fragen. Die öffentlich nicht so breit gestreuten Konzeptpapiere des LIFE-Netzes zählen zahlreiche strategische Kooperationspartner auf – darunter Großforschungseinrichtungen wie die Helmholtz-Gesellschaft ebenso wie kleine, mittlere und große Unternehmen aus der Biotech-, Diagnostik- und Pharmabranche, der bekannteste Name ist wohl Roche.

Neben den angestrebten Parterschaften mit privaten Firmen, aus denen im Rahmen von LIFE irgendwann Verfahren und Produkte zur Früherkennung, Diagnose und Therapie von verbreiteten Krankheiten entstehen sollen, gibt es auch ein partiell volkswirtschaftliches Interesse. Im Teilprojekt LIFE-Transfer sollen Leipziger Professoren jedenfalls ein »gesundheitsökonomisches Modell für chronische Erkrankungen« entwickeln. Die in LIFE-Disease untersuchten chronischen Zivilisationskrankheiten«, heißt es zum Hintergrund, »verursachen in den Industrienationen einen Großteil der Krankheitslast und der medizinischen Versorgungskosten.« Vorbeugende Gesundheitsleistungen, »ergänzt um Maßnahmen der prädiktiven Diagnostik«, hätten das »Potenzial«, einen erheblichen Anteil der Kosten, Krankheiten und Sterblichkeit zu vermeiden.

  • Kosten-Nutzen-Aspekte

Im LIFE-Rahmen womöglich neu erfundene »analytische Methoden der präventiven Diagnostik und Therapiemaßnahmen« sollen die ForscherInnen unter Kosten-Nutzen-Aspekten bewerten. Einerseits soll dies die »Entscheidungsträger bei einer langfristig orientierten Allokation knapper Ressourcen in der Gesundheitsversorgung unterstützen«. Andererseits soll das neue gesundheitsökonomische Modell auch dazu dienen, »eine gezielte Produktentwicklung und Vermarktung« neu entwickelter Technologien zu fördern.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2011
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