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Die elektronische Gesundheits-Chipkarte (eGK) wird seit Herbst 2011 schrittweise eingeführt – mit großem Aufwand und unter Zwang. Dagegen mobilisiert u.a. das Komitee für Grundrechte und Demokratie, vor kurzem erschien das von ihm herausgegebene Buch Digitalisierte Patienten – Verkaufte Krankheiten, darunter Beiträge des langjährigen Datenschützers Wolfgang Linder und des _BIOSKOP_-Redakteurs Klaus-Peter Görlitzer.


Lesenswert

Zwei informative Broschüren zur elektronischen Gesundheitskarte (eGK) hat das Forum InformatikerInnen für Frieden und Gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) herausgegeben.

Bereits im Dezember 2005 erschien die Publikation Alles auf eine Karte?

2010 publizierte das FIFF dann die Broschüre Die neue elektronische Gesundheitskarte – The same procedure as every year?



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Erster Prozess in der Pilotregion

  • Versicherter lehnt die neue Gesundheitschipkarte ab

aus: BIOSKOP Nr. 50, Juni 2010, Seite 6

Die geplante »elektronische Gesundheitskarte« (eGK) ist seit Jahren umstritten – insbesondere, weil sie zentrale Speicherungen sensibler Krankheitsdaten ermöglichen soll. Unklar ist, ob und wann sie tatsächlich flächendeckend kommt. Als Pilotregion gelten Teile von Nordrhein-Westfalen, dort haben einige zehntausend Versicherte die neue Chipkarte seit Herbst 2009 zugeschickt bekommen. Aber ein Kassenmitglied aus Wuppertal weigert sich hartnäckig, die Karte einzusetzen – ein Fall für das Bundesverfassungsgericht?

Sven S. gehört zu den ersten Krankenversicherten, die verpflichtet werden sollen, die neue eGK zu benutzen. Anfang 2009 wurde der Wuppertaler gebeten, zu diesem Zweck ein Bild an seine Krankenkasse zu schicken. Sven S. weigerte sich und erklärte, er sei nicht bereit, die Chipkarte zu verwenden und verlangte einen Bescheid, um Widerspruch einzulegen. Die Bergische Krankenkasse erließ den Bescheid, lehnte seinen Widerspruch aber mit der Begründung ab, dass jeder Versicherte zur Benutzung der Karte gesetzlich verpflichtet sei.

Die Gesundheitskarte soll als Zugangsschlüssel zu medizinischen Daten dienen, die auf zentralen Rechnern gespeichert werden.

Inzwischen wird der Streit vor dem Sozialgericht Düsseldorf ausgetragen. Mit seiner Klage beruft sich Sven S. auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, geschützt durch Artikel 2 des Grundgesetzes. Seine Behandlungsdaten dürften ausschließlich bei den ÄrztInnen seines Vertrauens gespeichert werden.

Die eGK soll dagegen perspektivisch als Zugangsschlüssel zu medizinischen Daten und Rezepten dienen, die auf zentralen Rechnern (Servern) gespeichert werden. Angestrebt wird in der Endausbaustufe ein beispielloses Telematiknetz, in das alle 123.000 niedergelassenen ÄrztInnen, 65.000 ZahnärztInnen, 21.000 Apotheken und 2.200 Kliniken Daten eingeben und abrufen sollen. Wann es soweit sein wird, ist ungewiss; ob es technisch überhaupt funktionieren wird, ebenfalls.

Der Kläger verlangt, dass das Sozialgericht Düsseldorf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einholt.

Svens S. findet das mehrere Milliarden Euro teure Vernetzungsprojekt unverhältnismäßig, zumal billigere Alternativen zur Chipkarte und ihrer zentralen Architektur nicht wirklich geprüft worden seien, beispielsweise die dezentrale Speicherung der Daten auf einem USB-Stick.

Der Kläger verlangt, dass das Sozialgericht Düsseldorf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einholt. Sein Prozessbevollmächtigter, der Hamburger Anwalt Jan Kuhlmann, hält die Klage für aussichtsreich, da das BVerfG Argumente gegen Gesundheitskarte und elektronische Erfassung der Behandlungsdaten »schon zweimal als durchaus erwägenswert bezeichnet hat«. Anders als Sven S. seien die bsiherigen Kläger jedoch nie »direkt beschwert« gewesen, da die konkrete eGK-Umsetzung damals noch ausstand, erläutert Kuhlmann.

Besonders bedenklich findet der Anwalt eine Kartenanwendung, die gar nicht im Gesetz stehe: das »Versichertenstammdatenmanagement«. Gemeint ist, dass Informationen über die Teilnahme des Versicherten an Programmen zur Behandlung chronischer Krankheiten wie Brustkrebs und Asthma von zentralen Servern einmal im Quartal via Internet an die Arztpraxis geschickt werden. Angestrebt ist auch, unterschiedliche Tarife in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anzubieten. Schon am Eingangstresen der Arztpraxis soll dann angezeigt werden, ob dieser Versicherte überhaupt auf Kosten der GKV behandelt werden darf.

Die rechtliche Klärung werde »mindestens ein Jahr« dauern, schätzt Rechtsanwalt Kuhlmann, der noch weitere Klagen erwartet.

»Die Karte dient nicht wirklich der Wirtschaftlichkeit, Transparenz und Qualität, was sie laut Gesetz ja eigentlich soll«, schlussfolgert Kuhlmann. Die Auffassung der beklagten Bergischen Krankenkasse ist im Detail noch nicht bekannt. Am 26. August 2010 wird der Fall im Sozialgericht Düsseldorf öffentlich verhandelt.

Die rechtliche Klärung werde »mindestens ein Jahr« dauern, schätzt Kuhlmann, der noch weitere Klagen erwartet, »da jeder, der eine Karte erhält, mit Widerspruch und Klage dagegen vorgehen kann«. Ein Musterbrief für Widerspruchswillige steht auf den Internetseiten des im April gegründeten Vereins »Neuanfang«, der zu den Sozialwahlen im kommenden Jahr eigene Listen aufstellen will.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2010
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