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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Warnung an den Gesetzgeber

aus: BIOSKOP Nr. 36, Dezember 2006, Seite 3

Der Bundestag wird 2007 einen neuen Anlauf nehmen, um Patientenverfügungen per Gesetz verbindlich zu machen. In solchen Papieren erklären Menschen vorab, auf welche Therapien sie verzichten wollen, wenn sie ihren Willen irgendwann nicht mehr selbst ausdrücken können. Die Legalisierung werde von der Bevölkerung gewünscht, behauptet die »Sterbehilfe«-Lobby – und verweist auf Meinungsumfragen. Nun liegt die erste fundierte Studie vor, die Einstellungen zu Patientenverfügungen hierzulande abgefragt und analysiert hat. Kernergebnis: Die Akzeptanz ist ziemlich niedrig.

»Forschungsprojekt ‘Patientenverfügung’« stand über dem 28 Fragen umfassenden Bogen, der zwischen August und Oktober 2003 in der Deutschen Klinik für Diagnostik in Wiesbaden verteilt wurde. Beantwortet haben ihn 400 Menschen – jeweils 100 TumorpatientInnen, gesunde Kontrollpersonen, Pflegende und ÄrztInnen. Auf ihren Rückmeldungen basiert »die bislang einzige empirische Untersuchung in Deutschland« zur Akzeptanz von Patientenverfügungen, sagt Studienleiter Stephan Sahm, der als Chefarzt in Offenbach arbeitet.

Die »von der Politik behauptete Notwendigkeit, eine Regelung zur Stärkung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen treffen zu müssen«, müsse aufgrund seiner Befunde bezweifelt werden, schlussfolgert Sahm. Beispielsweise belege die Studie einen »Perspektivenwechsel«, der bei Konfrontation mit einer schweren Krankheit häufig auftrete. So wünschten sich TumorpatientInnen im Vorhinein »signifikant häufiger belastende Behandlungen wie Chemotherapie und Dialyse« als gesunde Kontrollpersonen und medizinisches Personal.

Die »überwältigende Mehrheit« der Befragten wünsche sich für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit, dass Angehörige gemeinsam mit ÄrztInnen für sie entscheiden.

Bei den Therapieoptionen am Lebensende seien viele der Befragten unsicher, das gelte auch für ÄrztInnen und Pflegende. Unter denjenigen, die lebenserhaltende Behandlungen vorab zurückwiesen, seien überdurchschnittlich viele Alleinstehende – ihre strikte Ablehnung kann laut Sahm als »Indikator sozialer Isolation interpretiert« werden und sollte »Anlass sein, soziale Hilfestellungen anzubieten«.

Die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen schätzten die meisten Befragten als gering ein – jedenfalls wenn sie Voraberklärungen anderer Personen beurteilen sollten. Die »überwältigende Mehrheit« der Befragten aller Gruppen wünsche sich für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit, dass Angehörige gemeinsam mit ÄrztInnen für sie entscheiden; mehrheitlich abgelehnt werde eine Beteiligung von RichterInnen, Kommissionen und anderen Außenstehenden. Dies wertet Sahm als Beleg für seinen persönlichen Wunsch an die Politik: Der Gesetzgeber solle eine »natürliche Stellvertreterschaft durch Angehörige« einführen; sie soll automatisch gelten, sofern der Betroffene nicht ausdrücklich etwas anderes verfügt habe.

»Da die Betroffenen damit rechnen müssen, dass den Instruktionen in einer Patientenverfügung Folge geleistet wird, könnten eher mehr Menschen das Instrument gerade deshalb meiden.«

Als grundsätzlicher Gegner von Patientenverfügungen will Sahm nicht verstanden werden. Lägen sie vor, sollten ÄrztInnen sie als »Signal« deuten. Notwendig seien dann frühzeitige »Gespräche über Behandlungswünsche und das Maß der Behandlung«. Praktisch sind sie aber nur möglich, wenn Kranke noch ansprechbar sind.

Eine gesetzliche Absicherung von Vorabverfügungen könne »kontraproduktiv wirken«, orakelt Sahm – schon wegen der verbreiteten Angst vor Missbrauch: So befürchtete die Mehrheit der Befragten, MedizinerInnen und Pflegende eingeschlossen, Angehörige könnten Kranke zum Abfassen einer Verfügung drängen; und fast jede/r Dritte rechnet damit, dass die auf Lebensbeendigung zielenden Voraberklärungen selbst dann befolgt werden müssten, wenn die ärztliche Prognose eine Therapie nahelege.

Den Bundestag warnt Sahm denn auch davor, die Legalisierungspläne zu realisieren: »Da die Betroffenen damit rechnen müssen, dass den Instruktionen in einer Patientenverfügung Folge geleistet wird, könnten eher mehr Menschen das Instrument gerade deshalb meiden.«

© Klaus-Peter Görlitzer, 2006
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