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»In der Schule einüben«

»Ich bin sogar dafür, das Aufstellen von Patientenverfügungen schon in der Schule einzuüben. Gleichfalls müssen Patientenverfügungen Gegenstand der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein.«

Empfehlung von Professor Eggert Beleites, Vorsitzender des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer (BÄK). Beleites äußerte sich im Informationsdienst »BÄK-INTERN« vom Juli 2003.



CHRISTIAN WINTER, Jurastudent und BioSkopler

Noch eine »Sterbehilfe«-AG

  • ExpertInnen sollen im Auftrag des Bundesjustizministeriums die Basis für eine »Muster-Patientenverfügung« schaffen

aus: BIOSKOP Nr. 23, September 2003, Seiten 14+15

Mit so genannten »Patientenverfügungen« erklären Menschen vorab, dass sie im Falle späterer Nichteinwilligungsfähigkeit, etwa bei Koma oder fortgeschrittener Demenz, weder ernährt noch medizinisch behandelt werden wollen. Damit wird von ÄrztInnen und Pflegekräften faktisch verlangt, dass sie PatientInnen, die nicht im Sterben liegen, durch gezielte Unterlassungen töten sollen. Das Bundesjustizministerium (BMJ) hat nun eine Arbeitsgruppe beauftragt, um »die Grundlage für eine Muster-Patientenverfügung« zu schaffen.

»Ansatzpunkte für Handlungsbedarf« sieht das BMJ, weil der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) im März 2003 Patientenverfügungen erstmals als verbindlich bewertet hat – obwohl sie in keinem deutschen Gesetz erwähnt sind und das Strafgesetzbuch die Tötung auf Verlangen ausdrücklich verbietet.

Vorsitzender der vom BMJ berufenen Arbeitsgruppe ist der pensionierte BGH-Strafrichter Klaus Kutzer, die weiteren Mitglieder will das BMJ am 8. September in Berlin öffentlich vorstellen. Die Deutsche Hospiz Stiftung, die selbst Werbung für Patientenverfügungen betreibt, aber vom BMJ nicht beteiligt wird, findet es »vollkommen unverständlich, dass Bundesjustizministerin Zypries Befürwortern von aktiver Sterbehilfe eine Plattform bietet«.

  • Einflussreicher BGH-Richter a.D.

Ob es so weit kommt, bleibt abzuwarten. Tatsache ist: Kutzer hat in Sachen »Sterbehilfe« eine Mission. Als er Mitte 2001 in den beruflichen Ruhestand trat, hob die BGH-Pressestelle hervor, dass der Scheidende sich auch »durch sein Engagement in der Hospizbewegung um die Allgemeinheit verdient gemacht« habe. Rechtsgeschichte schrieb Kutzer mit dem 3. Strafsenat des BGH, der in den 90er Jahren zunächst die so genannte »passive«, dann die »indirekte« Sterbehilfe für zulässig erklärt hat. 1997 behauptete Kutzer in der Zeitschrift für Rechtspolitik, »in einer besonderen Ausnahmesituation« könne sogar die ärztliche Tötung auf Verlangen des Patienten »gerechtfertigt oder entschuldigt« sein.

Seit 1997 arbeitet Kutzer auch in einem Ausschuss der Bundesärztekammer (BÄK) zu medizinisch-juristischen Grundsatzfragen mit. Ein folgenschweres Papier dieses Gremiums veröffentlichte der BÄK-Vorstand im Herbst 1998: die »Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung«. Damit billigten die Standesvertreter erstmals, dass ÄrztInnen lebenserhaltende Maßnahmen bei Menschen unterlassen können, die gar nicht im Sterben liegen; gleichzeitig qualifizieren die »Grundsätze« Patientenverfügungen als »wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes«.

  • Richtige Antwort des Bundestages?

Die aktuellste Veröffentlichung unter Mitwirken Kutzers wird seit Juni 2003 verbreitet. In einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der »Akademie für Ethik in der Medizin« (AEM) besetzte Kutzer die Rolle des Juristen. Heraus gekommen sind dabei Empfehlungen, wie der Gesetzgeber das tödliche Unterlassen oder Abbrechen medizinischer Behandlung und Versorgung legitimieren soll. Die 8-köpfige AEM-Gruppe, zu der auch der evangelische Bioethik-Pastor Udo Schlaudraff und Gita Neumann vom Humanistischen Verband gehören, will Patientenverfügungen gesetzlich verankert sehen und fordert, die »Zulässigkeit der passiven bzw. indirekten Sterbehilfe« strafrechtlich klar zu stellen. Außerdem soll der Gesetzgeber festlegen, ob und unter welchen Bedingungen die Einwilligung eines Betreuers oder Bevollmächtigten in einen zum Tode führenden Behandlungsabbruch durch ein Vormundschaftsgericht genehmigt werden muss.

Es wäre kein Wunder, wenn derartige Forderungen demnächst erneut an PolitikerInnen, ÄrztInnen, Pflegekräfte und Öffentlichkeit heran getragen würden – nämlich durch die von Kutzer geleitete AG, die das BMJ nun berufen hat. Die richtige Antwort des Bundestages wäre es, tödliche Unterlassungen bei PatientInnen, die nicht im Sterben liegen, ebenso explizit strafrechtlich zu sanktionieren wie die »Tötung auf Verlangen«.

© Christian Winter, 2004
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