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Pflegeheim und Arztpraxis steigen aus beizeiten begleiten -Projekt aus. Mehr erfahren Sie hier

Einmischung möglich

»Pflegekräfte erleben Menschen mit Demenz oder im Koma oft intensiver als Angehörige, Ärzte und Betreuer. Laut Gesetz müssen Pflegende aber nicht gehört werden, wenn es gilt, eine Vorausverfügung auszulegen oder den mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu erkunden. Mediziner können das Personal anweisen, zum Beispiel die Ernährung per Sonde zu unterlassen, falls ein Bevollmächtigter des Patienten sowie der behandelnde Arzt dies einvernehmlich beschlossen haben. Dennoch haben auch Pflegende in Heimen die Möglichkeit, eine Überprüfung beim Betreuungsgericht anzuregen, falls sie bezweifeln, dass im Sinne des Patienten entschieden wurde.«

aus dem Faltblatt »Patientenverfügungen – Hilfreiche oder gefahrvolle Vorsorge?«, im Herbst 2009 herausgegeben von der Hospizvereinigung Omega und BioSkop. Das Faltblatt ist ONLINE – gedruckte Exemplare gibt es gratis, bitte anfordern bei BioSkop



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Geschützte Marke

  • Ein Modellprojekt erprobt, wie man BewohnerInnen von Altenheimen zu Vorausverfügungen motivieren kann

aus: BIOSKOP Nr. 49, März 2010, Seiten 3+4

Schriftliche Vorausverfügungen, die einen Therapieabbruch für den Fall späterer Nichteinwilligungsfähigkeit verlangen, sind seit September 2009 im Prinzip gesetzlich verbindlich. Doch niemand ist verpflichtet, eine »Patientenverfügung« zu verfassen; weder Kliniken noch Pflegeheime dürfen verlangen, dass ein kranker oder alter Mensch eine derartige Erklärung vorlegt. Gleichwohl bezahlt das Bundesforschungsministerium eine Studie, die erprobt, wie geschulte BeraterInnen möglichst viele HeimbewohnerInnen zu einer Vorausverfügung bewegen können. Im Fokus stehen vor allem Menschen mit Demenz – und deren rechtliche VertreterInnen.

Die selbst ernannte »Bundeshauptstadt der Energie« heißt Grevenbroich und liegt im Rhein-Kreis Neuss. 65.000 Menschen leben hier, neben der größten Braunkohlelagerstätte Europas. Mit dem »pfiffigen Slogan« wirbt die Stadt, um sich »im Wettbewerb der Kommunen um neue Investoren besser zu positionieren«.

In Grevenbroich wirtschaften aber nicht nur Energie-, sondern auch Gesundheitsunternehmen: ein Kreiskrankenhaus, Rettungsdienst, diverse HausärztInnen, vier Altenheime. Und die beteiligen sich seit Anfang 2009 an einem Modellprojekt, initiiert von ForscherInnen aus dem benachbarten Düsseldorf und dem fernen Augsburg. beizeiten begleiten nennen die MacherInnen ihre »kontrollierte Interventionsstudie«, deren Ziel es laut Projektleiter Jürgen in der Schmitten ist, AltenheimbewohnerInnen »durch Beratung und Entwicklung vailder Patientenverfügungen die Teilhabe an künftigen Behandlungsentscheidungen zu ermöglichen«.

  • Speziell geschult

Beraten darf allerdings nur, wer zuvor durch die Projektverantwortlichen intensiv geschult worden ist. Federführende Ausbilderin ist, neben Allgemeinmediziner in der Schmitten (Uni Düsseldorf), die Juristin Sonja Rothärmel (Augsburg), bekanntester Kooperationspartner ist der Medizinethiker Georg Marckmann (Tübingen), der auch »kostensensible Leitlinien« zur »ethisch vertretbaren Rationierung« im Gesundheitswesen entwickelthat.

35 HeimmitarbeiterInnen – überwiegend Pflegekräfte, auch SozialarbeiterInnen – hätten sich bisher zu Vorsorgebegleitern weiterqualifiziert, sagt Rothärmel; die Fortbildung, immerhin fünfzig Stunden, sei kostenfrei, erfolge aber während der Arbeitszeit. »Wir konnten die Heimleitungen überzeugen, dass sich diese Zeit rechnet«, sagt Rothärmel, »wenn ein Mensch gut geplant sterben kann, kann auch sehr viel negative Energie und Zeit gespart werden.«

Die BegleiterInnen sollen aktiv auf die BewohnerInnen zugehen. Plakate und Faltblätter machen auf ihre kostenlose Beratung aufmerksam, mit Überschriften wie »Ich möchte gerne in Würde leben. Bis zuletzt.« Schriftliche Grundlage von »Vorsorgeplanung« und Beratungsgesprächen sind »aussagekräftige Patientenverfügungen eines neuen Typs«, die im Projekt zulässigen Vordrucke tragen das unverwechselbare Logo von beizeiten begleiten.

  • Ankreuzbare Alternativen

Die Musterverfügungen umfassen mehrere DinA-4-Seiten; sie schildern verschiedene Situationen, skizzieren Krankeiten und geben vor, dass man eine der vorgefertigten Antworten ankreuzen soll. Für den Fall »dauerhafter Unfähigkeit, selbst zu entscheiden« – etwa aufgrund fortgeschrittener Demenz oder schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen – kann man in der Patientenverfügung zum Beispiel markieren, dass man »jegliche lebensverlängernde Behandlung einschließlich künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr« ablehne. Man kann aber auch erklären, einverstanden zu sein »mit intensiv- und notfallmedizinischen Maßnahmen, ungeachtet eventuell geringer Erfolgsaussichten«. Dann stimme man auch zu, eine PEG-Sonde »zur dauerhaften Ernährung« anlegen zu lassen.

Für den Fall, dass die Entscheidungsunfähigkeit plötzlich eintreten sollte, verursacht etwa durch Schlaganfall oder Herzversagen, haben sich die _beizeiten-begleiten_-MacherInnen ein weiteres Dokument einfallen lassen: die »Hausärztliche Anordnung für den Notfall« (HAnNo). Sie ergänzt die Patientenverfügung und lässt sechs Ankreuzmöglichkeiten zu. Variante A fordert »Uneingeschränkte Notfall- und Intensivtherapie mit dem Ziel der Lebensverlängerung, einschließlich Herz-Lungen-Wiederbelebung«. Variante C schließt im Notfall jede “lebensverlängernde Therapie« aus – sowohl stationär als auch ambulant. Die »differenzierten« B-Alternativen listen Vorabverzichte auf bestimmte »lebensverlängernde Therapien« auf, wobei die Herz-Lungen-Wiederbelebung stets ausgeschlossen wird.

  • Stempel vom Hausarzt

HAnNo und Patientenverfügung müssen von mehreren Personen unterschrieben sein: Der Patient drückt so seinen »Behandlungswillen« aus. Sein Angehöriger bestätigt, dass er die HAnNo »zustimmend zur Kenntnis« genommen hat. Der im Projekt geschulte Begleiter zeichnet, dass er den Entscheidungsprozess unterstützt hat. Und der ebenfalls von beizeiten begleiten fortgebildete Hausarzt erklärt per Praxisstempel und Unterschrift, dass der Betroffene bzw. sein Vertreter beim Abfassen der Erklärungen sowohl einwilligungsfähig war als auch tatsächlich verstanden habe, welche therapeutischen Konsequenzen mit seinen Festlegungen verbunden sein werden. Basis dieser Einschätzungen ist ein Beratungsgespräch mit den Betroffenen. Der validierende Arzt soll pro Bewohner eine Aufwandsentschädigung von 40,23 Euro aus Projektmitteln erhalten. Finanzier der gesamten Studie ist das Bundesforschungsministerium, das dafür 500.000 Euro ausgibt.

Das Original der HAnNo wird im Heim im Bewohnerordner abgelegt, der Hausarzt verpflichtet sich, eine Kopie aufzubewahren. Von der HAnNo soll, so ihre EntwicklerInnen, »im Notfall eine klare Botschaft« ausgehen: Die Vorgaben seien für jedermann rechtlich verbindlich – für die Nachtschwester im Heim ebenso wie für MitarbeiterInnen von Rettungsdienst, ärztlichem Bereitschaftsdienst und dem Grevenbroicher Krankenhaus.

Laut Juristin Rothärmel unterstützen derzeit sieben HausärztInnen in Grevenbroich aktiv das Projekt. Wie viele der über 500 BewohnerInnen der vier beteiligten Altenheime eine Patientenverfügung welchen Inhalts unterschrieben haben, wollen die ForscherInnen voraussichtlich im Oktober bekannt geben, im März 2011 soll die erste Phase des Projekts abgeschlossen sein.

  • Neuartige »Vertreterverfügung«

Womöglich veröffentlichen sie dann auch das Muster einer neuartigen Willenserklärung, die in den Modellheimen ebenfalls kursiert, aber mitnichten im Gesetz steht: die sogenannte »Vertreterverfügung«. Sie wird Bevollmächtigten und Betreuern angeboten, deren Schutzbefohlene nicht mehr in der Lage sind, selbst einzuwilligen, vor allem Menschen mit Demenz. Der Vordruck gleicht in weiten Teilen dem Formular zur Patientenverfügung, auch die weit reichende HAnNo ist integriert. Aber einen grundlegenden Unterschied gibt es: Hier wird ein »legaler Stellvertreter« ermächtigt, den »mutmaßlichen Willen« des Patienten im Voraus zu erklären und so vorab zu bestimmen, ob und wie der Bewohner in einem möglichen Notfall behandelt werden soll. Dieses neue Schriftstück diene der Vorsorgeplanung und soll »Pflegenden und Ärzten erleichtern, soweit als möglich im Sinne des Betroffenen zu handeln«, heißt es dazu im einleitenden Abschnitt »ethisch-rechtliche Grundlagen«.

Die ForscherInnen sind zuversichtlich, dass sie in den vier Grevenbroicher Heimen erheblich mehr Vorausverfügungen werden zählen können als in der »Kontrollregion«. Gemeint sind zwei benachbarte Städte, wo zehn vergleichbare Heime liegen, in denen eine _beizeiten-begleiten_-Beratung bewusst nicht stattfindet.

  • Vorsorgliche Registrierung

Perspektivisch soll sich das nach dem Willen der Projektverantwortlichen sehr ändern, sie träumen davon, ihr Konzept beizeiten überall im Lande anzubieten. Eine wesentliche Vorsorge dafür haben die federführenden Universitäten Düsseldorf und Augsburg jedenfalls schon getroffen: Sie haben sich den Namen beizeiten begleiten und das dazu gehörende Logo markenrechtlich schützen lassen, unter der Nummer 302009008497 ist die Marke seit dem 8. Juli 2009 im Register des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) eingetragen; der Markenschutz endet im März 2019, eine Verlängerung ist grundsätzlich möglich.

Eine Marke ist nützlich für Geschäftsleute, sie kennzeichnet Produkte und Dienstleistungen. Und sie »ermöglicht die Unterscheidung von Konkurrenzangeboten«, erläutert das DPMA. Dem Inhaber biete sie ein »ausschließliches Recht« und damit die Option, sich gegen unerlaubte Nachahmung zu wehren – notfalls mit Forderungen nach geldwertem Schadensersatz. Der Schutz für die Marke beizeiten begleiten erstreckt sich laut DPMA-Register auf zahlreiche Waren und Dienstleistungen, darunter Lehr- und Unterrichtsmittel, Unternehmensberatung und Erstellen von Pflege- und Behandlungsplänen.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2010
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