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CHRISTIAN WINTER, Jurastudent und BioSkopler

Verkehrte Vollmachten

  • Das Betreungsrecht wird zunehmend zur Durchsetzung von »Sterbehilfe« ausgelegt

aus: BIOSKOP Nr. 7, September 1999, Seite 6

Lobbygruppen wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben oder der Humanistische Verband, die unermüdlich für freiwillige Euthanasie streiten, aber auch manche Hospizvereine und Verbraucherzentralen, empfehlen Vorsorgevollmachten für den »selbstbestimmten Tod«. Solche Ratschläge stellen das Betreuungsrecht auf den Kopf.

Wer sich aufgrund einer Erkrankung wie Demenz oder Koma persönlich nicht äußern kann, den soll ein Paragraph des Bürgerlichen Gesetzbuches vor leichtfertigen medizinischen Eingriffen schützen. § 1904 BGB sieht vor: Hält ein Betreuer oder Bevollmächtigter eine riskante Operation, Röntgenaufnahme oder Chemotherapie für notwendig, so darf ein Arzt den Eingriff nur vornehmen, wenn das Vormundschaftsgericht die Entscheidung der Vertrauensperson genehmigt hat.

Diese Vorgaben sollen nach Ansicht der Bundesärztekammer (BÄK) auch dann gelten, wenn der Betreuer es für angemessen hält, das Leben des Betreuten durch Abbruch medizinischer Maßnahmen beenden zu lassen. Als Rechtfertigung führt die BÄK in ihrer umstrittenen Sterbebegleitungsrichtlinie vom September 1998 die Rechtsprechung an und verweist ausdrücklich auf den Sterbehilfe-Beschluss des OLG Frankfurt vom 15. Juli 1998 _(Siehe BIOSKOP Nr. 4.

Eine Schlüsselrolle bei der schleichenden Aushöhlung des Tötungsverbotes spielen in der juristischen Argumentation die so genannten »Vorsorgevollmachten«.

Doch der Frankfurter Beschluss widerspricht mehreren vorhergehenden Gerichtsentscheidungen. Und auch in diesem Jahr haben bereits zwei Landgerichte in München _(Siehe BIOSKOP Nr. 6 und Hannover festgestellt, dass § 1904 BGB keinen Richter dazu ermächtigt, einen todbringenden Behandlungsabbruch zu genehmigen. Vielmehr soll § 1904 dem Wohle des Patienten dienen. Diese Bestimmung auch zwecks Rechtfertigung tödlicher Unterlassungen zu bemühen, hat der Gesetzgeber bisher weder vorgesehen noch geplant.

Allerdings haben die Frankfurter Richter mit ihrer Entscheidung auch manche PolitikerInnen verunsichert. Der Versuch des Bundeslandes Thüringen, in der Konferenz der JustizministerInnen ein klares Votum anzumahmen, scheiterte im Juni 1999 vorerst. Keine Mehrheit fand dort der Vorschlag des Erfurter Justizministers Otto Kretschmer (SPD), »eine Gesetzesänderung in die Wege zu leiten, mit der klargestellt wird, dass der Paragraph 1904 BGB auf Fälle der passiven Sterbehilfe nicht entsprechend anwendbar ist«.

Mit ihrem Versuch, das Betreuungsrecht zwecks Billigung tödlicher Unterlassungen zu instrumentalisieren, stehen die Frankfurter Richter und die Bundesärztekammer jedoch nicht allein. Eine Schlüsselrolle bei der schleichenden Aushöhlung des Tötungsverbotes spielen in der juristischen Argumentation die so genannten »Vorsorgevollmachten«. Einflussreiche Juristen wie Wilhelm Uhlenbruck, auf dessen Schriften sich der Humanistische Verband und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben gern berufen, behaupten seit Jahren, dass Bevollmächtigte befugt seien, einen todbringenden Behandlungsabbruch des Vollmachtgebers zu verlangen. Liege eine entsprechende Vorsorgevollmacht vor, meinen Uhlenbruck und seine AnhängerInnen, benötige der Bevollmächtigte keine Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes.

Dass JuristInnen versuchen, das Betreuungsrecht zur Legalisierung von Euthanasie zu benutzen, ist pervers.

Dass diese Interpretation keine seriöse Rechtsgrundlage hat, ist spätestens seit der Neufassung des Betreuungsrechtes klar, die am 1. Januar 1999 in Kraft getreten ist. Der ergänzte § 1904 BGB stellt Betreuungsverfügungen und Vorsorgevollmachten ausdrücklich gleich und verlangt, dass sowohl Betreuer als auch Bevollmächtigte ihre Einwilligung in riskante medizinische Eingriffe vormundschaftsgerichtlich genehmigen lassen müssen; eine Befugnis zur Einwilligung in einen Behandlungsabbruch, die Uhlenbruck und Gleichgesinnte fordern, sieht auch die neue Version des Paragraphen gerade nicht vor.

Das Betreuungsrecht wurde 1992 geschaffen, um das alte Denken und Handeln zu ersetzen, das von Entmündigung des Betreuten geprägt war. Die Reform sollte dazu beitragen, die Interessen der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und ihre Würde zu bewahren. Dass JuristInnen zunehmend versuchen, das Betreuungsrecht zur Legalisierung von Euthanasie zu benutzen, ist pervers – und muss verhindert werden.

© Christian Winter, 1999
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