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»Verantwortung abgewehrt«

»Statt einer Lebenshaltung, die von Gelassenheit, Offenheit für neue Erfahrungen am Lebensende und Vertrauen in die Fürsorge anderer Menschen bestimmt wird, wird mit Hilfe von Patientenverfügungen die Verantwortung für die Selbstsorge für das eigene Leben abgewehrt, abgespalten und die Last der konkreten Entscheidung an andere, fremde Menschen delegiert. Der verfügte Arzt wird zum Erfüllungshilfen eines Patientenwillens, der von der konkreten Lebenssituation der Begegnung zweier Menschen abstrahiert.«

Gemeinsame Einschätzung des Krankenhauspfarrers Hans Hermann Holfelder sowie der Ärzte Paolo Bavastro, Klaus Dörner und Andreas Zieger. Ihr Aufsatz Patientenverfügungen: Kein ‘Sterben in Würde’ erschien am 5. April 2002 im Deutschen Ärzteblatt.



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Bioethiker empfehlen zentrales Register für Patientenverfügungen

  • Gutachten im Auftrag des Gesundheitsministeriums

aus: BIOSKOP Nr. 19, September 2002, Seiten 14+15

Mit so genannten Patientenverfügungen erklären Menschen, dass sie im Fall späterer Nichteinwilligungsfähigkeit, etwa bei Koma, Schlaganfall oder fortgeschrittener Demenz, durch Abbruch medizinischer Behandlung zu Tode gebracht werden wollen. Bisher sind solche Verfügungen rechtlich unverbindlich. Dies zu ändern, empfehlen nun Bioethiker – in einem Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium.

Zur »konzeptionellen Vorbereitung politischer und administrativer Entscheidungen« gibt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) regelmäßig wissenschaftliche Expertisen in Auftrag. Zur Frage, ob die Einführung einer »standardisierten Patientenverfügung« mehr Rechtssicherheit für ÄrztInnen und PatientInnen bringen könnte, hat das BMG im März 2001 ein Gutachten ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt eine Arbeitsgruppe der »Akademie für Ethik in der Medizin«, in der auch die einschlägig bekannten Bioethiker Dieter Birnbacher, Hans-Martin Sass, Jochen Vollmann und Hans-Georg Koch mitwirken.

Ihren Auftrag haben sie erfüllt; unter dem Titel »Möglichkeiten einer standardisierten Patientenverfügung« ist das Werk nun als Buch erschienen – ergänzt durch ein Grußwort der Bundesgesundheitsministerin persönlich: »Das vorliegende Gutachten«, schreibt Ulla Schmidt, »wurde von einem großen interdisziplinären Expertenteam erstellt, dem alle namhaften Kapazitäten auf diesem Gebiet angehörten.«

Die Gutachter sehen »Gesetzgebungsbedarf« und wünschen sich die »Etablierung von Patientenverfügungen als Rechtsinstitut«.

Birnbacher, Sass & Co. beklagen, dass die Rechtsprechung sich bislang nicht eindeutig zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen geäußert habe. Sie sehen daher »Gesetzgebungsbedarf« und wünschen sich die »Etablierung von Patientenverfügungen als Rechtsinstitut«. Ein bundeseinheitliches, standardisiertes Musterformular lehnen die Gutachter ab; statt dessen empfehlen sie, Richtlinien zu Form, Datierung, Aufbewahrung und Bekanntgabe von Patientenverfügungen aufzustellen.

Nachgedacht haben die Bioethiker auch darüber, wie ein behandelnder Arzt garantiert erfahren kann, dass ein nicht einwilligungsfähiger Patient zu einem früheren Zeitpunkt verfügt hat, er wolle in diesem Zustand nicht mehr behandelt werde. »Nachahmenswert« finden die Experten die »Einrichtung eines gesonderten staatlichen Registers, wie dies in Dänemark praktiziert wird«. Dort ist der behandelnde Arzt verpflichtet, bei einem – vom dänischen Gesundheitsministerium eingerichteten – Zentralregister nachzufragen, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Trifft dies zu, muss der Mediziner einen schwer Kranken durch Behandlungsabbruch ums Leben bringen, wenn der Betroffene dies vorab festgelegt hat.

Dass die Verbreitung solcher Verzichtserklärungen nicht nur individuelle, sondern auch sozialpolitische Auswirkungen hat, ist auch den Bioethikern klar. »Eine überwiegende Ablehnung medizinischer Maßnahmen in der Sterbephase«, schreiben sie, »würde möglicherweise ökonomische Ressourcen freisetzen. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass Verfügungen nicht als ökonomische Konsolidierungs-Instrumente missbraucht werden. (…) Insbesondere ältere Menschen, die möglicherweise leichter beeinflussbar oder sogar abhängig sind, müssen auch vor der Ausübung eines subtilen Druckes bewahrt werden, der ihnen nahe legt (womöglich aus ökonomischen Motiven) rechtzeitig eine Verfügung zu erstellen.« Antworten darauf, wie »Missbrauch« und »Druck« insbesondere in Zeiten chronisch knapper Kassen überhaupt verhindert werden können, bleiben die Gutachter allerdings schuldig.

Ob in Arztpraxen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Gerichten – überall soll die Bevölkerung mit entsprechenden Informationsbroschüren konfrontiert werden.

Reichlich Vorschläge liefern sie dazu, wie die Öffentlichkeitsarbeit pro Patientenverfügungen intensiviert werden könnte: Ob in Arztpraxen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Gerichten – überall soll die Bevölkerung mit entsprechenden Informationsbroschüren konfrontiert werden. Denkbar seien auch Kurzfilme und Plakate. Die Federführung solle beim BMG liegen, weil es vertrauenswürdig sei. »Informationskampagnen von Krankenkassen«, warnen die Gutachter, »werden jedoch ambivalent gesehen, da der Eindruck entstehen könnte, dass ökonomische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen.«

Zu den Empfehlungen der beauftragten Gutachter hüllt sich das BMG in Schweigen. Es fördert aber seit einem Jahr ein Modellprojekt der Universität Jena, das die Einrichtung einer speziellen Beratungsstelle zu Patientenverfügungen ausdrücklich einschließt. Das Projekt mit dem Titel »Gemeinsam am Lebensende – Tumorpatienten als Partner im medizinischen Entscheidungsprozess« zielt nach Darstellung des BMG auf die »Stärkung der Patientenautonomie für eine Behandlung – oder am Ende des Lebens – bei Entscheidungen zur Behandlungsbegrenzung«. Ansprechpartnerin an der Jenaer Uni ist die Medizinerin Birgitt van Oorschot, die auch Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz ist.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2002
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