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»Wenn wir stärker in Haftung genommen werden…«

Die vier Patientenorganisationen, die im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mitreden dürfen, fordern schon seit Jahren den »Ausbau der Beteiligungsrechte«. Im Juli 2008 legten sie ein Hintergrundpapier zur »Weiterentwicklung« vor. »Als nächsten Schritt der Patientenbeteiligung« plädieren die Verbände dafür, ein »Stimmrecht in Verfahrensfragen« einzuführen. Dies bedeute aber ausdrücklich nicht, dass die Repräsentanten der Versicherten auch mitentscheiden wollen, ob ein Medikament von den Krankenkassen bezahlt werden soll oder nicht.

Wohl aber würden die Patientenvertreter künftig gern bei formalen Fragen im G-BA mitabstimmen dürfen. Was eher spröde klingt, ist in der Beratungspraxis durchaus wichtig: »Ein Stimmrecht in Verfahrensfragen beträfe die Geschäfts-, Verfahrens- und Tagesordnung, das Protokoll sowie die Themensetzung«, erläutert der im G-BA vertretene Deutsche Behindertenrat in einer Pressemitteilung vom 17. Juli 2008. Bemerkenswert ist, wie die Patientenorganisationen ihren Wunsch nach mehr Rechten begründen: »Wenn wir für Entscheidungen stärker in Haftung genommen werden, müssen wir auch größeren Einfluss auf den Prozess der Beratungen haben.«




MARTINA KELLER, Journalistin

Pharmalobby und Patientenbeteiligung

  • Industrie wünscht, dass Repräsentanten von Patienten im Gemeinsamen Bundesausschuss mitentscheiden können

aus: BIOSKOP Nr. 58, Juni 2012, Seiten 10-11

Die Pharmaindustrie sorgt sich um Legitimation, Transparenz und Mitbestimmungsrechte von Patientenvertretern im Gemeinsamen Bundesausschuss. Dabei ist die Patientenbeteiligung im wohl wichtigsten Gremium des deutschen Gesundheitswesens gut verankert.

Es war ein Hintergrundgespräch für Mitarbeiter von Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Eingeladen hatte im März die Bayer HealthCare AG, im Rahmen ihrer Reihe »Politik-Lunch« in Berlin – Thema: Die Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Zu den Referenten zählte Christian Dierks, einer der renommiertesten Pharmaanwälte im Land. Nach zwei Stunden mit reichlich Fingerfood war die Botschaft an rund 20 Abgeordnetenmitarbeiter klar: »Um eine qualititiv hochwertige Gesundheitsversorgung zu legitimieren«, so Dierks, »muss eine transparente und angemessen legitimierte Patientenbeteiligung im G-BA geschaffen werden.«

Den G-BA kennen zwar nur wenige Bürger, aber er ist das wohl mächtigste Gremium im deutschen Gesundheitswesen. Hier entscheidet sich, welche Medikamente auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden dürfen und welche nicht. Insbesondere bei vielen neuen Präparaten schaut der G-BA seit 2011 genau hin. Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung urteilt er, ob eine Arznei ein echter Fortschritt oder nur eine Scheininnovation ist. Für die Pharmafirmen hängt davon viel ab: Nur bei echten Innovationen müssen die Kassen den Preis erstatten, den die Firmen dafür verlangen.

Etwa 100 ständige Vertreter können derzeit die Interessen von Patienten im G-BA einbringen.

Zu gerne würden die Arzneihersteller selbst im G-BA mitreden. »Was spricht denn ernsthaft gegen einen Vertreter des betroffenen Unternehmens oder Verbandes im Gremium?« fragte Anwalt Dierks 2011 rhetorisch in einem Gastbeitrag für die Ärztezeitung. Sie dürfen aber nicht dabei sein: Der G-BA setzt sich aus den verschiedenen Lagern der Selbstverwaltung zusammen – Ärzte, Psychotherapeuten, Kliniken, Krankenkassen und außerdem die Patienten. Auch wenn der Medizinrechtsexperte Dierks die Legitimation der Patientenvertreter für nicht angemessen hält: Sie ist in der so genannten Patientenbeteiligungsverordnung sogar gesetzlich verankert. Repräsentanten der Patienten beraten sowohl im Plenum als auch in den acht Unterausschüssen des G-BA mit.

Die Patientenvertreter werden allerdings nicht gewählt, sondern als »sachkundige Personen« benannt. Mindestens die Hälfte von ihnen soll nach dem Willen des Gesetzgebers aus dem Kreis der Betroffenen oder ihrer Angehörigen kommen. Die Benennung geschieht einvernehmlich durch den so genannten Koordinierungsausschuss, den vier bundesweit tätige Organisationen bilden: der Deutsche Behindertenrat, die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen und die Verbraucherzentrale Bundesverband. Etwa 100 ständige Vertreter können derzeit die Interessen von Patienten im G-BA einbringen.

Die Patientenvertreter haben ein Mitberatungsrecht, aber weder Antrags- noch Stimmrecht.

Um die Patientenvertreter im G-BA zusätzlich zu unterstützen, wurde 2008 eine Stabsstelle Patientenbeteiligung mit einer Referentin und zwei Sekretärinnen eingerichtet. Die Mitarbeiterinnen arbeiten neue Patientenvertreter ein, helfen bei Reisekostenanträgen und können Gutachten in Auftrag geben, um den Kenntnisstand der Patientenvertreter zu verbessern. Sie bereiten Sitzungsunterlagen auf, planen Workshops zu Schwerpunktthemen, organisieren juristische und methodische Schulungen der Patientenvertreter und nehmen am monatlichen Treffen des Koordinierungsausschusses teil.

Die Patientenvertreter haben ein Mitberatungsrecht, und ihre Verbände können Anträge stellen. Ein Antragsrecht für einzelne Patientenvertreter gibt es dagegen nicht – man wollte verhindern, dass Einzelpersonen ein Verfahren mit Anträgen blockieren können. Und die Patientenvertreter haben auch kein Stimmrecht. Nur wer Budgetverantwortung habe, könne mitentscheiden, begründet dies der Jurist Rainer Hess, langjähriger unabhängiger Vorsitzender des G-BA, der diese Funktion noch bis Ende Juni 2012 ausübt.

Für Pharmafirmen kann es entscheidend sein, frühzeitig Details über Diskussionen im G-BA zu erfahren.

Das Beschlussgremium des G-BA tagt öffentlich, alle Beschlüsse werden publiziert. Hingegen sind Beratungen auf Arbeitsebene vertraulich. Die Namen der Mitglieder in Unterausschüssen und Arbeitsgruppen gibt der G-BA nicht heraus. Nur die Vorsitzenden der Unterausschüsse, ihre Stellvertreter und die Sprecher der Patientenvertretung werden auf der Website genannt. Die Anonymität schütze unter anderem Patientenvertreter vor möglicher Diskrimierung wegen ihrer Krankheit und vor Belästigung, so Hess.

Lobbyisten wird so der Kontakt zu Patientenvertretern erschwert. Allerdings verklagte Rechtsanwalt Dierks den G-BA im Auftrag des Arzneimittelherstellers MSD Sharp & Dohme vor dem Verwaltungsgericht Köln. Neben den Sitzungsprotokollen sollten die Namen sämtlicher Mitglieder des G-BA-Unterausschusses Arzneimittel herausgegeben werden, forderte Dierks. Die Auseinandersetzung zwischen MSD und dem G-BA ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

Für Pharmafirmen kann es entscheidend sein, frühzeitig Details über Diskussionen im G-BA zu erfahren. Deshalb sind Kontakte zu Patientenvertretern so interessant, insbesondere zu solchen, die keine Berührungsängste mit der Industrie haben. Dazu zählt ohne Zweifel Dieter Möhler, der für den mitgliederstarken Deutschen Diabetiker Bund im G-BA sitzt. Möhler, von Beruf Rechtsanwalt, kämpfte ursprünglich ganz öffentlich gegen den G-BA-Beschluss, die Wirkstoffgruppe der so genannten Glitazone von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen. Möhler hat den G-BA vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg verklagt, unter anderem mit dem Ziel, dass der Verordnungsausschluss der Glitazone für nichtig erklärt werde.

Vielleicht im Sinne der Produzenten, aber nicht im Sinne der Patienten.

Das ist vielleicht im Sinne der Produzenten, zu denen auch einer der Sponsoren des Diabetiker Bunds zählt, aber nicht im Sinne der Patienten: Rosiglitazon, eines der Medikamente aus der umstrittenen Wirkstoffgruppe, wurde inzwischen wegen seiner Nebenwirkungen europaweit vom Markt genommen. Das Präparat löst vermehrt Herzinfarkte aus, statt sie zu verhindern.

Möhler referierte übrigens ebenfalls bei der Lobby-Veranstaltung von Bayer HealthCare im März. Wie Pharmaanwalt Dierks forderte er ein Stimmrecht für die Patientenvertreter im G-BA. Die Hersteller von Diabetes-Medikamenten würde das sicher freuen.

© Martina Keller, 2012
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