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ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Gefährliche Liebschaften

  • Pharmafirmen versuchen, die Selbsthilfe vor ihren Karren zu spannen

aus: Gesundheit und Gesellschaft SPEZIAL 4/04, Seiten 22+23

Jedes zehnte Pharmaunternehmen pflegt Kontakte mit der gesundheitlichen Selbsthilfe. Viele Organisationen nehmen das Pharma-Geld gern. Dass hinter der von der Industrie heraufbeschworenen guten Partnerschaft handfeste wirtschaftliche Interessen stehen, die der Selbsthilfe schaden können, erläutert Erika Feyerabend anhand einiger Beispiele.

Pharmaunternehmen werben und wachsen. Dabei setzen sie vor allem auf den Kontakt zu medizinischen Fachleuten in Weiterbildung, auf internationalen Kongressen und durch regelmäßige Besuche von Pharmavertretern. Außerdem nutzt aber jeder zehnte Medikamentenhersteller auch seine Kontakte zur gesundheitlichen Selbsthilfe, um Produkte gezielt zu platzieren und Patienten für Studien zu gewinnen. Innovation ist erste Unternehmenspflicht. Wer einen neuen Wirkstoff schneller als andere in klinischen Studien testen und die Ergebnisse in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichen kann, ist Gewinner im Wettlauf um Kunden und Marktanteile. Dass hier nicht immer die Interessen der Studienteilnehmer und Patienten zählen, hat das British Medical Journal offengelegt: Unliebsame Ergebnisse werden verschwiegen oder geschönt, Versuchsanordnungen am Interesse der Sponsoren orientiert.

Partnerschaft mit Hintergedanken: Die Liaision zwischen Pharmaindustrie und Selbsthilfe beruht also kaum auf bedingungsloser Zuneigung zur Selbsthilfe. Die Kontakte ermöglichen einen reibungslosen Zugriff auf große Patientengruppen für klinische Studien. Wissenschaftliche Beiräte können die Studienergebnisse im Betroffenenverband verbreiten oder Nebenwirkungen verharmlosen. Die Partnerschaft kann auch politisch wirken. Der Dachverband der britischen Pharmahersteller ABPI will nach eigenen Angaben »Bodentruppen in Form von Patienten-Unterstützergruppen und Professionellen« bilden. Das politische Ziel: Das Werbeverbot für verschreibungspflichte Medikamente soll fallen.

Pharmaunternehmen finanzieren Broschüren, Kongresse, Kampagnen oder gründen sogar eigene Patientengruppen. Für Meinungsmache und Marketing beauftragen Firmen Public-Relations-Agenturen. Deren dominierende Strategie ist die »Technik der Dritten Partei«, so Paul Keirnan von einer führenden Agentur im Gesundheitsbereich. Neben pharmafreundlichen Journalisten und Experten bilden Patientengruppen diese »Dritte Partei«, die die Interessen der Industrie unverdächtig weitertragen soll.

Sichtbare und unsichtbare Allianzen: Besonders die großen Selbsthilfe- und Patientenorganisationen erweisen sich als idealer Transmissionsriemen für Pharmainteressen. So macht sich die Internationale Allianz der Patientenorganisationen (IAPO) und die europäische Abteilung der Globalen Allianz zu psychischen Erkrankungen (GAMIAN) dafür stark, das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente aufzuheben. Die IAPO ist jedoch von einem Konsortium führender Pharmafirmen gegründet worden. GAMIAN ist eine Kreation des Pharmaunternehmens Bristol-Myers Squibb. Und noch ein Beispiel für eine solche Vermischung der Interessen: Die »Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. (DGVP) vertritt nach eigenen Angaben 30 Selbsthilfeverbände. Ihr Geschäftsführer Ekkehard Bahlo hat lange bei jenen Pharmakonzernen gearbeitet, deren Arzneien er in seiner neuen Funktion als Selbsthilfe-Vertreter in Pressegesprächen rund um Gesundheitsreform und Positivliste warb. Der Hintergrund: Die Präparate Dusodril (Merck), Trental (Aventis) und Prostavasin (Schwarz-Pharma) sollten nicht mehr von den Kassen bezahlt werden, da sie in Fachkreisen umstritten sind. Die Positivliste ist ohnehin von der politischen Agenda gestrichen. Die DGVP wird weiter von der Pharmaindustrie gefördert.

Besonders für chronisch Kranke und Behinderte, die sich oft im gesellschaftlichen Abseits befinden, können Medienkampagnen attraktiv wirken, um endlich sichtbar und anerkannt zu sein. Doch geht es dabei wirklich um die Belange der Betroffenen?

Wer beispielsweise die Zeitschrift der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. (DMSG) aufschlägt, der blickt auf ein Liebespaar: »Multiple Sklerose? Wir lassen Sie nicht allein! Aufklären, beraten, helfen«. Das »Industrieforum Multiple Sklerose«, bestehend aus den Unternehmen Aventis, Biogen, Schering, Serono, macht mit bei der PR-Kampagne der DMSG. Seit 1996 interessieren sich die Pharmagiganten für die DMSG, denn Interferone, Wirkstoffe gegen Multiple Sklerose, lassen sich seither gewinnbringend produzieren. Biogen und Serono sind bedeutende Interferon-Hersteller und pflegen kontinuierliche Kontakte zur DMSG. Sie präsentiert sich unabhängig und begrüßt die Kooperation mit der pharmazeutischen Industrie. Ihre Leitlinien verbieten einseitige Werbung für bestimmte Produkte. Doch über den ärztlichen Beirat werden klinische Studien kommentiert und für bestimmte Präparate Empfehlungen ausgesprochen. Der ärztliche Beirat gilt als unabhängig. Seine Empfehlungen stärken die Glaubwürdigkeit des Herstellers.

Die pharmafähige Patientin heranziehen: Ein Beispiel für die Rekrutierung von Studienteilnehmerinnen durch die Hintertür liefert »Mamazone«. Hinter dem wohlklingenden Namen verbirgt sich eine Initiative von an Brustkrebs erkrankten Frauen. Ihr Vorzeigeprojekt ist die »Tumorbank der Hoffnung«, abgekürzt PA.T.H. (Patients Tumorbank of Hope). Die gleichnamige Stiftung wurde von Mamazone gegründet. Das Angebot für Frauen: Die Brustzentren der Kliniken Augsburg und Kassel und die Biotech Firma LipNova aus Hannover frieren auf Wunsch Gewebeproben ein, eine für die Patientin, eine für die Tumorbank. LipNova ist in der Krebsforschung tätig. Ihr Spezialgebiet ist die Entwicklung von Tumorimpfstoffen auf Basis patienteneigenen Tumorgewebes. Der Firmensitz von LipNova ist identisch mit dem Sitz der Stiftung PA.T.H.. Das »kostbare Bio-Material«, schreibt Mamazone, sei ein »leibhaftiger Beitrag« von Patientinnen für die Forschung. Die Initiative ruft zu weiterem Einsatz auf: »Patientinnen, die an Tests für die Forschung teilnehmen, sind keine Versuchskaninchen, sondern Pionierinnen.« Bei Mamazone können sich Betroffene auch zur »Diplom-Patientin« ausbilden lassen. Die ist »mündig und pharmafähig«, heißt es auf der Homepage. Wem nun Bedenken kommen, dass sich die Fraueninitiative vor den Karren der Industrie spannen lasse, wird vorsorglich beruhigt: »Dass mündige Patientinnen und Arzneimittelhersteller Joint-venture-Aktivitäten zum gemeinsamen Nutzen ergreifen können […] scheint hierzulande noch unvorstellbar… Pharmaunternehmen und nicht Krankenkassen oder Staat haben mit ihrer finanziellen Förderung dazu beigetragen, eine professionelle Patientenkultur zu schaffen.« Hauptfinanzier von Mamazone ist der Pharmariese Roche, ebenfalls in der Krebsforschung engagiert. Die schillernde Partnerschaftsrhetorik verklärt nicht nur partielle ökonomische und wissenspolitische Interessen zum alleinigen Anliegen der PatientInnen. Es wird dadurch schwer, sich und anderen zu erklären, warum man vielleicht nicht an Studien teilnehmen möchte.

Werbung für neue Pharmaka und klinische Studien, Stellvertreterpolitik für forschungsfreundliche Gesetze, Erziehung zur »pharmafähigen« Patientin, ist das Aufgabe der Selbsthilfe? Die Glaubwürdigkeit der Patientenorganisationen, die angetreten sind Alltagskompetenz, Patientenschutz und gesellschaftliche Anerkennung von chronisch Kranken und Behinderten zu stärken, sie wird sich nur in kritischer Distanz zu den machtvollen Pharma- und Wissensagenturen bewahren lassen.

© Erika Feyerabend, 2004
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