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Eine Richtlinie

Breast Cancer Action (BCAction) nennt sich eine Initiative von Frauen mit Brustkrebs, in der auch Gudrun Kemper mitarbeitet. »Unter keinen Umständen«, so die Initiative, »dürfen Grundsätze oder das Programm von BCAction beeinflusst werden durch Firmen, die die Arbeit von BCAction mit Spenden unterstützen.«

BCAction hat deshalb vor Jahren eine Richtlinie beschlossen, die ausschließt, Geldmittel von Organisationen aus folgenden Kategorien anzunehmen: pharmazeutische Unternehmen, chemische Fabriken, Öl-Konzerne, Tabakwaren-Hersteller, Krankenversicherungen, Einrichtungen zur Krebsbehandlung.



Im BIOSKOP-Interview: GUDRUN KEMPER, Breast Cancer Action Germany

Endlich klare Grenzen ziehen

  • Die Selbsthilfeorganisation EUROPA DONNA kassiert Pharmagelder – und verliert zwei Vorstandsfrauen

aus: BIOSKOP Nr. 42, Juni 2008, Seiten 4+5

EUROPA DONNA – The European Breast Cancer Coalition heißt ein Dachverband, der als Selbsthilfeorganisation für Frauen mit Brustkrebs auftritt. 41 nationale Foren sind hier dabei. Nun sind zwei bemerkenswerte Rücktritte aus dem Vorstand in Deutschland zu vermelden: Susanne Schroeder, Ärztin, und Gudrun Kemper, Bibliothekarin, gaben ihre ehrenamtlichen Posten auf. Kemper engagiert sich seit acht Jahren in verschiedenen Organisationen zum Thema Brustkrebs; mit anderen Frauen baut sie auch das unabhängige Projekt »Breast Cancer Action Germany« auf. Warum sie bei EUROPA DONNA nicht mehr mitmacht, erläutert Gudrun Kemper im Gespräch mit BioSkoplerin Erika Feyerabend.

BIOSKOP: Einige Frauen sind Ende April von ihren Vorstandsposten zurückgetreten. Warum?

GUDRUN KEMPER: EUROPA DONNA ist auf der EU-Ebene leider mehr und mehr zu einem Instrument global agierender Pharmakonzerne geworden. Nach Offenlegung der Finanzierung ist nun klar: 86 Prozent der Gelder in der europäischen Dachorganisation kamen allein im Jahr 2007 von der Pharmaindustrie. Zuvor wurde immer wieder die eigene Unabhängigkeit betont und außerdem versichert, dass projektbezogene Mittel zwar eingeworben wurden, aber ein Drittel des Etats nicht überschreiten würde. Die jetzt veröffentlichten Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache. Die europäische Parlamentsgruppe »European Parliamentary Group on Breast Cancer« (EPGBC) hat einen kleinen Erdrutsch verursacht, als sie sich entschied, die Zusammenarbeit mit EUROPA DONNA nun zu stoppen. Dem haben wir uns angeschlossen. Seit Gründung des nationalen Forums in Deutschland haben wir prinzipiell auf Pharmagelder verzichtet. Bei einem Anteil von inzwischen 86 Prozent an Gesamteinnahmen von rund 425.000 Euro wollen wir nicht mehr diskutieren. Wir haben das Vertrauen verloren.

»Die europäische Koalition wollte dann, dass gleich alle nationalen Foren diese Kampagne unterstützen. Heute wissen wir, dass eine erhebliche Spende von Novartis in Richtung EUROPA DONNA international geflossen ist.«

BIOSKOP: Wie hat denn die Pharmaindustrie Einfluss auf Politik oder Forderungen von EUROPA DONNA genommen?

GUDRUN KEMPER: Ich kann nur über die letzten sieben Monate sprechen, also seitdem ich im September 2007 als Nachfolgerin der Bremer EU-Parlamentarierin Karin Jöns in den EUROPA-DONNA-Vorstand gewählt worden war. Einiges hat mich zumindest stutzig gemacht. Die internationale Präsidentin Ingrid Kössler aus Schweden unterstützte zum Beispiel die United Cancer-Kampagne, die bezeichnenderweise mit dem Worst EU Lobby Award ausgezeichnet wurde. Über diese Preisvergabe hatte damals sogar die Tagesschau berichtet. Die Agentur Weber Shandwick führte das »Sekretariat« für die Kampagne. Sie wurde ausschließlich vom Pharmakonzern Roche finanziert, der insbesondere auf neue Krebs-Medikamente spezialisiert ist. Basis der Kampagne ist eine ebenfalls von Roche bezahlte Studie. Mit der Studie sollte gezeigt werden, dass die 1- und 5-Jahres-Überlebensraten von Krebspatienten mit dem Zugang zu neuen Krebsmedikamenten steigen. Aber Epidemiologen wie Professor Michael Coleman stellten fest, dass mit falschen Zahlen gearbeitet worden ist und warnen vor möglichen Konsequenzen für die öffentliche Meinungsbildung oder Leitlinien von Fachgesellschaften.

BIOSKOP: Ein Einzelfall?

GUDRUN KEMPER: Es wurde auch ein Projekt von Novartis unterstützt, nämlich die »GAEA-Initiative«. Es läuft darauf hinaus, an Brustkrebs erkrankte Frauen auf verschreibungspflichtige Medikamente aufmerksam zu machen. Die europäische Koalition wollte dann, dass gleich alle nationalen Foren diese Kampagne unterstützen. Heute wissen wir, dass eine erhebliche Spende von Novartis in Richtung »EUROPA DONNA« geflossen ist. Der Dachverband ist inzwischen hauptsächlich eine Art Dienstleister für diverse Kongresse und industrielle Forschungsprojekte geworden. Auf der paneuropäischen Konferenz für die EUROPA-DONNA-Mitglieder wurde im vergangenen Herbst in Amsterdam ausgerechnet die gerade erwähnte und umstrittene, von Roche finanzierte »Karolinska-Studie« vorgestellt, von Bengt Jönsson, dem Leiter der Studie von der Universität Stockholm. Ohne kritische Diskussion wird so der Zugang zu neuen Krebsmedikamenten anhand irreführender Zahlen propagiert. Obwohl eine Reihe von kritischen Publikationen dazu bereits erschienen waren, sollte auf diese Weise noch einmal die Devise »Wir müssen dringend die neuen Medikamente fordern« ausgegeben werden.

»Strategien die für Wirtschaftsunternehmen zum Erfolg des Geschäfts führen mögen, sind nicht notwendigerweise gute Strategien für den Non-Profit-Bereich.«

BIOSKOP: EUROPA DONNA setzt seit kurzem ein »Strategic Review« der Unternehmensberatung Boston Consulting Group um. Zu welchem Zweck?

GUDRUN KEMPER: Das ist eine Art Business-Plan. Diese Entwicklung der jüngsten Zeit ist auch bei bei anderen europäischen Patientenorganisationen zu beobachten. Es wirkt alles ähnlich, geradezu stereotyp. Strategien die für Wirtschaftsunternehmen zum Erfolg des Geschäfts führen mögen, sind nicht notwendigerweise gute Strategien für den Non-Profit-Bereich. Wie die Kooperation genau zustande gekommen ist, wer da auf wen zuging oder sie veranlasst hat, weiß ich nicht. Klar ist: Über Schlüsselbegriffe wie »Professionalisierung« werden Strukturen für ein Vorgehen entwickelt, das sich von der Strategie zur Umsetzung globaler Ziele von denen eines x-beliebigen Konzerns nicht sonderlich unterscheidet. Ziehen wir Patientinnen und Pharmaunternehmen etwa nicht alle an einem Strang? Dieser Mythos wird konstruiert und auch gern als Maxime ausgegeben.

BIOSKOP: Welche politischen Konsequenzen sind notwendig, um industrielle Einflussnahmen besser zu begrenzen?

GUDRUN KEMPER: Bei der Leitlinienentwicklung haben von der Pharmaindustrie finanzierte Organisationen meines Erachtens nichts zu suchen. Und es ist an der Zeit, eine strikte Transparenz der Geldflüsse mit Hilfe von Charity- und Lobbyregistern zu ermöglichen. Denn immer sind es auch die Transparenzmängel, die mitverantwortlich dafür sind, dass PatientInnen, aber auch Politik, Krankenkassen und ÄrztInnen gutgläubig solche negativen Entwicklungen übersehen. Eine gute Vorgabe hat die EU mit den »Guiding Principles in regard with transparency« bereits geschaffen.

»Eigentlich müssen wir alle über breiter über die Auswirkungen von Interessenkonflikten und versteckten Marketingstrategien informiert und entsprechend sensibilisiert sein.«

BIOSKOP: Was steht da drin?

GUDRUN KEMPER: Offenlegung und Zustimmung der Mitgliederversammlung – und nicht der Vorstände allein – sind im Zusammenhang mit der Finanzierung gesundheitsbezogener Organisationen darin verankert worden. Es gibt zu wenig Informationen. Aber eigentlich müssen wir alle breiter über die Auswirkungen von Interessenkonflikten und versteckte Marketingstrategien informiert und entsprechend sensibilisiert sein. Das gilt auch für die medizinischen ExpertInnen, die sich nicht einseitig in den Dienst der Industrie einspannen lassen dürfen. Mechanismen der Marketingstrategien treffen Patientenorganisationen, Wissenschaft und Medizin und auch Medien inzwischen in einem Guss. Es wäre gut, Werbung und Wissenschaft wieder ein wenig besser zu trennen.

BIOSKOP: Was sollte politisch passieren, damit sich Organisationen, die von Pharmakonzernen unabhängig sind, etablieren können?

GUDRUN KEMPER: Wir Frauen müssen für Änderungen sorgen. Jedenfalls hat unsere Umfrage zum »Pharmasponsoring«, die ein Jahr auf der Website von Breast Cancer Action Germany online war, gezeigt, dass die meisten Frauen diese pharmagesponserten Organisationen gar nicht akzeptieren. Netzwerke sind bereits heute eine wichtige Alternative, etwa das Netzwerk Frauengesundheit Berlin. Hier können Frauengesundheitsprojekte direkt mit Politik, Verwaltung und anderen Organisationen zusammenarbeiten. Und es gibt vielfältige Möglichkeiten des Engagements und der Unterstützung. Die »pharmafinanzierten« Initiativen sind eine Fehlentwicklung der letzten Jahre. Mit Wissen um die Zusammenhänge des Missbrauchs werden sie meiner Meinung nach – und hoffentlich – an Bedeutung verlieren. Was wir brauchen, ist ein »Netzwerk pharmaindustriefreie Selbsthilfe«, denn Alternativen sind wichtig. Die Grenzen können nicht immer nur verwischt werden. Man muss sie auch manchmal klar setzen.

© Erika Feyerabend / Gudrun Kemper, 2008
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