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Essen, 8. Juni 2007

Medienmitteilung von BioSkop


Ethik und Ökonomie von Lebendspenden mit Professor Broelsch

Das gibt es wirklich nicht alle Tage: ein internationaler Kongress, geleitet von einem Wissenschaftler, gegen den gerade StaatsanwältInnen ermitteln!

Möglich ist das in der Ruhrmetropole Essen, die bald Europas Kulturhauptstadt sein will: Jedenfalls erwartet Professor Christoph E. Broelsch, Chef des Essener Transplantationszentrums, am kommenden Montag und Dienstag (11./12. Juni 2007) Chirurgen aus aller Welt – im Congress Center Essen sollen sie dann zwei Tage lang über Transplantationen und Lebendorganspenden reden. Auch »Ethik und Ökonomie« stehen auf dem Programm des Symposiums (www.living-donor-essen.de), »Chairman« der Sitzung zur Ethik bei der Lebendorganspende ist Prof. Broelsch persönlich.

Adressiert an den Gastgeber, an Essens PolitikerInnen, Universitätsklinikum, Wissenschaftsministerium und die Unterstützer dieses Kongresses (Deutsche Forschungsgemeinschaft, diverse Pharmafirmen) stellt BioSkop diejenige Frage, die sich eigentlich aufdrängt: »Sehr geehrte Damen und Herren, wäre es angesichts der laufenden Ermittlungen nicht geboten, die Veranstaltung abzusagen bzw. deren Unterstützung einzustellen?«

Vor fünf Jahren, im Juni 2002, hatte Professor Broelsch schon einmal zu einem Internationalen Lebendspende-Symposium nach Essen geladen. Mit der damaligen, in der Medienöffentlichkeit viel beachteten Veranstaltung initiierte Broelsch ein Forum für ausgewählte ReferentInnen, die hartnäckig dafür werben, Organspenden zu kommerzialisieren; Broelsch selbst plädierte für »finanzielle Anreize zur Verbesserung der Organspende«, »die ökonomisierte Welt«, so Essens Cheftransplanteur, »braucht für die Organspende keine Ausnahme zu machen«. Und außerdem: »Wer zur Organtransplantation beiträgt, trägt zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen bei!«, schrieb Broelsch.

»Dieses Symposium hat die Diskussion um Organe als Handelsware hoffähig gemacht«, sagt BioSkoplerin Erika Feyerabend, die schon den damaligen Kongress kritisch beobachtet hat. Ein halbes Jahr später waren Broelsch und sein Transplantationszentrum erneut Gegenstand von Schlagzeilen. Am 5. Dezember 2002 veröffentlichte die Wochenzeitung DIE ZEIT ein aufrüttelndes Dossier: Operation Niere. Organvermittler fädeln Geschäfte ein, die bis nach Deutschland reichen«. Wer dieses Musterbeispiel für investigativen Journalismus las bzw. lesen wollte, erhielt einen minutiösen Einblick in Strukturen und Praktiken des internationalen Organhandels. »Nach der Statistik des israelischen Krankenkassen-Managers Rosenfeld«, schrieb DIE ZEIT in ihrem Dossier, »wurden in den vergangenen zwei Jahren sieben gekaufte Nieren in Deutschland transplantiert, alle in Essen.« Wegen des Verdachts des Organhandels ermittelte anschließend die Staatsanwaltschaft Essen – Herrn Rosenfeld befragte sie aber nicht. Im Juni 2004 stellten die StrafverfolgerInnen ihre Ermittlungen ein; zwei Monate später erhielt Herr Broelsch das Bundesverdienstkreuz. »Neben seiner Tätigkeit als herausragender Chirurg ist Prof. Dr. Broelsch engagierter Protagonist einer Erweiterung des Kreises der Lebendspender«, sagte der damalige NRW-Ministerpräsident und heutige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück in seiner Laudatio.

Derzeit nimmt die Essener Staatsanwaltschaft das Essener Transplantationszentrum erneut unter die Lupe, ausgehend von dem Verdacht der Erpressung und Vorteilsannahme: Dutzende PatientInnen könnten im Uniklinikum nur gegen Zahlung einer Geldspende operiert worden sein; außerdem wird vermutet, dass Körperteile gegen erhebliche Geldsummen an der offiziellen Warteliste vorbei transplantiert worden seien. Im Fokus der StrafverfolgerInnen: Prof. Christoph Broelsch. »Wir hoffen, dass die Staatsanwaltschaft dieses Mal umfassender ermittelt und auch die entsprechende politische Unterstützung bekommt, die seinerzeit gar nicht erkennbar war«, sagt Erika Feyerabend. »Die StaatsanwältInnen müssen auch die länger zurückliegenden, strafrechtlich relevanten Vorgänge untersuchen; und sie müssen zweifelsfrei aufklären, ob die Darstellung von Herrn Rosenfeld nun zutrifft oder nicht.«

Zu ermitteln ist in diesem Zusammenhang auch, wie die Lebendspendekommission bei der Ärztekammer Nordrhein eigentlich geprüft hat, ob verkaufte Nieren in Essen verpflanzt worden sind oder nicht. Wie viele Lebendorganspender hat die Kommission angehört? Hat sie überprüft, ob sie zum Zeitpunkt der Organentnahme außerhalb der Bundesrepublik gemeldet waren? »Liegt eine ungewöhnliche Häufung ausländischer Wohnsitze vor oder ist der aktuelle Wohnsitz der früheren Spender nicht mehr bekannt, könnte das ein Hinweis auf Unregelmäßigkeiten sein«, erläutert Feyerabend. »Und man muss sich fragen, ob solche Kommissionen tatsächlich finanzielle Anreize oder Organhandel hierzulande ausschließen können.«

Diversen Presseberichten dieser Tage ist zu entnehmen, dass es für die StrafverfolgerInnen gar nicht so einfach sein soll, im Essener Uniklinikum zu ermitteln. Höchst bedenklich, was die WAZ am 25. Mai zu berichten wusste: Die Staatsanwältin habe erfahren müssen, »wie allgegenwärtig die Angst ist auszusagen, wie sehr gerade Mitarbeiter des Klinikums fürchten, sich beruflich ins Abseits zu katalpultieren«, schrieb die WAZ. »Auch Arbeitsplätze dürfen keine rechtsfreien Zonen sein«, betont BioSkop-Sprecherin Feyerabend. »Wer tatsächlich will, dass all die Vorwürfe lückenlos aufgeklärt werden, muss den MitarbeiterInnen des Klinikums den Rücken stärken. Universitätsleitung, Aufsichtsrat des Uniklinikums und landespolitisch Verantwortliche müssten öffentlich zusichern, dass Aussagen über die Verhältnisse im Transplantationszentrum Akte von Zivilcourage sind und weder mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen, noch sonstigen Benachteiligungen quittiert werden.«

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