DENKZETTEL Nr. 3 erschien 1997
Stichwort: Lebensqualität
Wie leicht geht uns das Wort von der »Lebensqualität« über die Lippen. Es kommt unschuldig daher, die Konnotation erscheint positiv, das Wort ist konsensstiftend und scheint mehrheitsfähig zu sein. Uns hat dieses Wort mißtrauisch gemacht, gerade weil es in ungezählten Kontexten auftaucht. Es erfüllt nämlich nahezu alle Merkmale eines »Plastikwortes«, wie von Uwe Pörksen formuliert.
Wir haben das Wort »Lebensqualität« vor allem daraufhin untersucht, welche Zugriffsmöglichkeiten der Politik, der Wissenschaft und vor allem der Medizin auf den Menschen unter diesem Begriff eröffnet werden. Unser Verdacht, daß die Lebensqualität der Gattung der Plastikwörter zuzurechnen ist, hat sich bestätigt. Durch ihre wissenschaftlich autorisierte Objektivität und ihre entsprechende Universalität überlagert die Lebensqualität ältere Vorstellung und Umgangsweisen mit dem Wohlsein. Die dazu gehörenden Wörter liegen jenseits von Quantität und Qualität – Glück oder Zufriedensein oder Sichaufgehobenfühlen oder Geborgenheit. Wird dies alles wegrationalisiert, entsteht auf Dauer das Bedürfnis nach expertenhafter Hilfe sogar in der Umgangssprache. Damit eröffnen sich die Dr. Nets der Lebensqualität ein weiteres, existenzsicherndes und staatstragendes Betätigungsfeld.
Das Plastikwort Lebensqualität bringt zwangsläufig weitere bemerkenswerte Wortschöpfungen mit sich. »Qualitätsoffensiven« sind zum Beispiel für das Sozial- und Gesundheitswesen im Programm Dienstleistung 2000 plus des Bundesforschungsministeriums angesagt, die wiederum mit »Qualitätssicherungsstrategien« flankiert werden. Apropos »Dienstleistung 2000 plus«: der Nenner, auf den Plastikwörter ihre umfassenden Anwendungesbereiche bringen, enthält ihn unvermeidlich, jenen futuristischen Beiklang von Jahrtausendwende.
Hinter den Worten steckt Handeln. Lebensqualität ist eine politische Drehtür, ein expertokratischer Baustein, der zwischen sozialpolitischen und ökonomischen Feldern vermittelt. Zwischen Wissenschaft und Werbung wirkt es als Wunderwaffe. Mit ihrer Hilfe tarnt man Etwas als Chance, als knappe Ware, erstrebenswertes gut, als individuell wie mit Expertenhilfe erstellbares, neues Ideal, als etwas, wovon alle zuwenig haben und alle immer mehr bekommen wollen. So mogeln sich politische Erziehungsziele ins allgemeine Bewußtsein und fleißige Strategen aus diversen Arbeitsbereichen schaffen eine neue Gesundheitsorganisation.
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