BioSkop unterstützen! Kontakt Über uns


Begrüßung und Einleitung

Erika Feyerabend

Herzlich willkommen im Namen des BioSkop-Forums zur Beobachtung der Biowissenschaften e.V. und der vielen Mitveranstalter: der Heinrich Böll Stiftung, der Hospizvereinigung Omega/Bocholt, dem Behindertenreferat der ev. Kirche und dem Hannah-Arendt-Bildungswerk. Gemeinsam mit Antje Lorch begleite ich Sie durch das Programm – in gastlicher Atmosphäre und bewirtet vom Integrationsprojekt »Café Treff e.V.« des Gemeindezentrums Altenessen-Süd.

Unter diesen guten Vorzeichen werden wir diskutieren und wohl auch streiten über die stetig wachsenden Angebote, den Tod zu kontrollieren und die Zeit des Sterbens zu eliminieren. Das allgegenwärtige Sprechen über ‘selbstbestimmtes Sterben’ gestaltet mittlerweile die Vorsorge-Bedürfnisse vieler. Es provoziert aber auch politischen Entscheidungsdruck und mobilisiert die Ethik-ExpertInnen, die gutachtend und beratend der Politik oder den Krankenkassen zur Seite stehen. Das Thema ist also nicht nur lebenspraktisch, sondern auch politisch brisant.

Die Veranstaltung heute wird keine gängigen Dominanzen bestätigen, die auf Expertenrat, Interessen oder Geld basieren.

Biomedizin schafft permanent Entscheidungsdruck, der in der Regel als rein ethisches oder moralisches Problem beschrieben wird – seien es nun Angebote ‘Leben’ zu verlängern, zu verbessern oder eben in aussichtsloser Lage zu beenden. Eine unüberschaubare Heerschar von Beratungsstellen und Ethik-ExpertInnen sollen im Dickicht der ebenso unüberschaubaren Möglichkeiten moderner Medizin Orientierung schaffen. Sie sollen die individuellen Bedürfnisse – oder auch Forderungen – nach optimalem Leben und Sterben formen und möglichst leicht konsumierbare Patentlösungen liefern.

Die Veranstaltung heute wird keine gängigen Dominanzen bestätigen, die auf Expertenrat, Interessen oder Geld basieren. Wir beabsichtigen auch nicht, für individuelle Problemlagen ‘Lösungen’ zu bieten. Wie gelebt und gestorben wird, das ist eine Frage konkreter, persönlicher Lebenslagen und sicherlich nicht mit Standardkonzepten planbar. Neben glücklichen, unglücklichen und trotz aller Anstrengungen nicht berechenbaren Zufällen, sind es soziale und politische Bedingungen, die unsere Geschicke maßgeblich bestimmen. Die Debatten und Handlungen rund um den ‘Menschen’, um seine aktuellen Krankheiten, seine prognostizierten Überlebenschancen, seine zukünftigen Erkrankungsrisiken, sie finden unter dem Dach des Gesundheitswesens und der Forschungspolitik statt.

Die Medizin gestaltet immer beides, Gesellschaft und Subjekt. Sie schafft Institutionen und ‘Werte’, persönliche Vorstellungen und Wünsche. Das gilt auch für das Thema Patientenverfügungen.

Ein Beispiel: Reproduktionstechnologie und Pränataldiagnostik provozieren Entscheidungen darüber, ob, wie und welche Kinder ‘gemacht’ und gewollt werden. Diese – immer noch als sehr intim empfundene – Frage des Kinderkriegens bringt nicht nur einen enormen Beratungs- und Entscheidungsbedarf über zahllose Diagnosemöglichkeiten mit sich, Planungsbedürfnisse und Rechtsansprüche. Sie ist verknüpft mit gesundheits- und bevölkerungspolitischen Ambitionen. Wie kann die nächstfolgende Generation gesünder und damit kostengünstig werden? Das fragen Gesundheitsökonomen und modellieren Programme, innerhalb derer individuell ‘gewählt’ und vor allem individuell verantwortet wird. Die Sorge um die immer entscheidungsabhängiger werdende Zukunft und der Versäumnisdruck lasten mittlerweile schwer auf jeder schwangeren Frau.

Ein zweites Beispiel: Will ‘ich’ im Falle schwerer Krankheit das Organ eines anderen haben? Auch diese Entscheidungsanforderung wird als rein persönliche Angelegenheit zur Sprache gebracht. Unbedacht bleibt, dass Todesdefinitionen, ein ganzes System der Verteilung von Körperteilen und gesellschaftliche Ressourcen bereit gestellt werden müssen, um Organe überhaupt anbieten bzw. nachfragen zu können. Auch die sozialen Konsequenzen geraten gänzlich aus dem Blick, wenn allein die Fiktion des ‘freien Willens’ dominiert: Durch die pure Existenz des Transplantationswesens wird der Tod als vermeidbar inszeniert, wenn nur genügend Organe verfügbar wären. Der ‘Tod auf der Warteliste’ wird zum Skandal gemacht. Kein Schicksal schützt die Lebenden und das Einverständnis mit dem Sterben wird noch schwerer. Der ‘Tod unter Organentnahme’ aber bekommt einen neuen Sinn, einen nützlichen Wert.

Die Medizin gestaltet immer beides, Gesellschaft und Subjekt. Sie schafft Institutionen und ‘Werte’, persönliche Vorstellungen und Wünsche. Das gilt auch für das Thema Patientenverfügungen. Auf dem Boden einer berechtigten Kritik an den allerorten verbreiteten Vorstellungen, die moderne Medizin könne immer mehr Leben retten, Leben machen, Leben bessern, werden Grenzen angemahnt. Individuell verständlich, will niemand einer endlos handelnden Medizin ausgesetzt sein, am Ende seines Lebens oder in schwerer Krankheit. Auch Erfahrungen gibt es, die die Kritik an der Institution Krankenhaus und Pflegeheim nähren, aus eigener Anschauung oder aus Erzählungen. Vor allem aber speisen wir unser Wissen über die Unbillen des Sterbens aus den Medien. Dramatische und spektakuläre Einzelfälle kurbeln die Phantasien an. Stereotype Bilder beispielsweise der ‘unmenschlichen Intensivstation’ richten die eigenen Vorstellungen im Modell der Ja/Nein-Entscheidung zu.

In dieser Gemengelage entstehen Vorsorgemärkte, neue Gesetze oder Richtlinien, Vorsorgebedürfnisse und ein als höchst persönlich verstandener ‘Einheitswille’.

Tatsächlich tut die Medizin sich schwer mit den unheilbar Kranken. Heute nicht nur, weil sie dem besseren Leben verpflichtet scheint, sondern auch, weil sie mit Rationierungsinteressen hantiert. Auf der gesundheitspolitischen Bühne greift die Rhetorik von einer überalterten und nicht mehr finanzierbaren Gesellschaft. Es gibt Sterbehilfe-Vereinigungen, die eine tödliche Dienstleistung juristisch verbindlich machen wollen. Es gibt Patientenverfügungsanbieter, die das Recht auf den ‘eigenen Tod’ per Vertrag sicherzustellen vorgeben. In dieser Gemengelage entstehen Vorsorgemärkte, neue Gesetze oder Richtlinien, Vorsorgebedürfnisse und ein als höchst persönlich verstandener ‘Einheitswille’.

In dieser Veranstaltung sollen keineswegs die Zweifel und Ängste ausgeklammert oder gar moralisch bewertet werden. Wir möchten einen Raum schaffen, in dem beides Platz hat, die eigenen Fragen und Erfahrungen wie auch die Sterbepolitik. Vor kurzem veranstaltete die evangelische Akademie in Tutzing eine Tagung unter dem Titel »Aus Mitleid zum Sterben helfen?« Dort sollte »das Für und Wider verschiedener denkbarer Lösungen differenziert gegeneinander« abgewogen werden. Geladen waren verschiedene Vertreter der Akademie Ethik in der Medizin und namhafte Medizinrechtler. Heraus kam ein Plädoyer für rechtsverbindliche Patientenverfügungen, für die legale Behandlungsbegrenzung bei Menschen, die nicht sterben – und die Forderung, den »ärztlich assistierten Suizid« auch in Deutschland zuzulassen. Wir haben, wie schon gesagt, keine ‘Lösungen’ für das gute Sterben zu bieten.

So hoffen wir einen Bogen gespannt zu haben, der den Einzelnen weder ignoriert, noch an Standards vom guten Sterben oder optimaler Vorsorge bemisst, wohl aber die Wirkungen von standardisierten ‘Lösungen’ im Auge behält.

Mit diesen Gedanken im Kopf, wird hoffentlich verständlich, warum wir zwei ReferentInnen eingeladen haben, die weit ab vom Alltag der Sterbebegleitung über Tod und Sterben reden. Werner Schneider wird uns gleich seine soziologische Annäherung an das Thema präsentieren. Marianne Gronemeyer beginnt morgen früh hinreichend hintergründig und kulturkritisch mit »dem Tod, der aus der Reihe tanzt«. Die dann folgenden Podien sind konkreten politischen Auseinandersetzungen und Alltagserfahrungen gewidmet. So hoffen wir einen Bogen gespannt zu haben, der den Einzelnen weder ignoriert, noch an Standards vom guten Sterben oder optimaler Vorsorge bemisst, wohl aber die Wirkungen von standardisierten ‘Lösungen’ im Auge behält.

Ich wünsche uns allen ein streitbares und erkenntnisförderliches Wochenende und bedanke mich noch einmal ausdrücklich bei Achim Gerhard, seiner Gemeinde und dem Café für die Gastfreundschaft – etwas altertümlich gesprochen, für das hospitium.