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Hilfreiche Informationen und Kontakte

Initiative Regenbogen – Glücklose Schwangerschaft e.V. heißt ein überregional aktiver Verein, der sich vor allem als Kontaktkreis für Eltern versteht, die ein Kind vor aller Geburt oder kurz danach verloren haben. Auf der Regenbogen-Homepage können viele wichtige Informationen eingeholt und Kontakte geknüpft werden; abrufbar ist auch eine Liste bereits bestehender Gräberfelder.

Zudem ist es für Betroffene stets hilfreich, sich bei Krankenhäusern oder Klinikseelsorgern nach der Bestattungspraxis für Stillgeborene zu erkundigen. Auf der Seite der Sternenkinder-Eltern finden Sie einen Überblick über Bestattungsregeln der Bundesländer.



PETRA ROGGE, freie Autorin

Das fehlende Gramm

  • Bestattung oder Entsorgung von Stillgeborenen

aus: BIOSKOP Nr. 34, Juni 2006, Seiten 14+15

Seit 2006 gilt in Bayern eine neue Bestattungsregelung. Sie soll dafür sorgen, dass fehlgeborene Kinder nicht mehr gemeinsam mit Blutkonserven und Körperteilen zum Klinikmüll kommen. Die meisten Bundesländer halten sich weiterhin an das Personenstandsgesetz, wonach nur Leichen beizusetzen sind. Fehlgeborene gelten dort nicht als Leichnam, sondern als »Abfall aus ärztlicher Versorgung«.

Verstorbene sind im bestattungsrechtlichen Sinne Leichen, und die Lebenden gehen ihnen gegenüber Verpflichtungen ein. So sollte den Toten immer mit Ehrfurcht begegnet werden. Eine Leichenschau ist anzuordnen. Die Überführung in Leichenhallen, also in Aufbewahrungsräume der Klinik, des Friedhofs oder des Krematoriums, der anatomischen Institute, der Bestattungsunternehmen oder der Polizeibehörde ist zu veranlassen. Es ist für die Einsargung und für den Transport in einem Leichenwagen zu sorgen. Und schließlich haben die Lebenden der Pflicht auf Erd- oder Feuerbestattung nachzukommen. Die hat für jeden Leichnam ihre Gültigkeit.

Aber nicht jeder Tote ist auch ein Leichnam. So wird der Leichenstatus einigen jener kleinsten menschlichen Wesen nicht zugestanden, die sterben, noch bevor sie geboren werden. Das bundesweit geltende Personenstandsgesetz (PersStdG), genauer, die Verordnung zu dessen Ausführung (PersStdGAV) sowie die sich daran anlehnenden Bestattungsgesetze der einzelnen Bundesländer legen eine genaue Bestimmung dessen vor, was unter einem beizusetzenden Leichnam zu verstehen ist. § 29 der Verordnung unterscheidet hier sehr genau zwischen einer Lebend- oder Totgeburt und einer Fehlgeburt.

  • Behördliche Unterscheidungen

Verstirbt ein Kind, nachdem bereits Lebensmerkmale jenseits des Mutterleibes wie das Schlagen des Herzens, das Pulsieren der Nabelschnur oder die natürliche Lungenatmung festzustellen waren, so ist es als »Lebendgeburt« in den Personenstandsbüchern zu beurkunden und unterliegt als Leichnam der Bestattungspflicht. Wird eine Leibesfrucht tot geboren oder verstirbt während der Geburt, ohne dass die genannten Merkmale des Lebens erkennbar waren, so ist sie als »Totgeburt« ein Leichnam wie jeder andere menschliche Körper, bei dem von sicheren Zeichen des Todes auszugehen ist. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie ein Gewicht von mindestens 500 Gramm aufweisen kann. Die Leibesfrucht dagegen, die es nicht geschafft hat, die Gewichtsgrenze von 500 Gramm zu übersteigen, ist eine »Fehlgeburt«. Sie ist nicht in den Personenstandsurkunden festzuhalten, sie ist kein Leichnam und daher nicht bestattungspflichtig. Die Fehlgeburt wird nicht einmal jenen Leichenteilen gleichgesetzt, die beizusetzen sind, da ohne sie das »Individuum« zu überleben nicht fähig wäre.

Nun lässt sich bereits dort trefflich streiten, wo mit dem Kriterium der fehlenden Lebensmerkmale jongliert wird. Warum sollte man einem Herz, das pränatal aufhört zu schlagen, einen anderen Status einräumen als jenem, das es noch durch den Geburtskanal schafft und dann verstummt. Auch mutet es seltsam an, dass Gewichtsgrenzen dort fallen, wo mit Hilfe medizinischer Maßnahmen, Frühstgeborene zum Überleben befähigt werden, Totgeborene ähnlichen Gewichts aber keine Leichname sein dürfen.

  • Notwendige Offenheiten

Die Folgen für den Umgang mit toten Körpern sind jedenfalls nicht ohne Brisanz. Die Personenstandsverordnung und die Bestattungsgesetze verlangen einerseits, dass dem Leichnam gegenüber die gebotene Ehrfurcht zu wahren ist, während sie andererseits ein Recht zugestehen, dem für zu leicht befundenen toten Körper gerade dies zu verweigern. So werden also die einen bestattet, während die anderen »hygienisch einwandfrei und dem sittlichen Empfinden entsprechend zu beseitigen« sind. Für die Leibesfrüchte unter 500 Gramm bedeutet dies, dass sie mit anderem Klinikmüll »entsorgt« werden.

Noch vor wenigen Jahren war aus den Reihen der Entscheidungsträger darüber nicht sonderlich viel zu hören. Vielfältige Initiativen haben das Bewusstsein für jene dilemmatische Situation, in der sich viele Frauen irgendwann wieder finden, zu schärfen vermocht. Das offensive Hineintragen in die Öffentlichkeit hat etwa dazu geführt, dass die in § 29 der PersStdGAV ehemals gültige Gewichtsgrenze von 1.000 Gramm halbiert wurde und einige Bundesländer ihre Bestattungsgesetze daraufhin überarbeitet haben. Weitaus größerer Einfluss auf das Bestattungsgeschehen geht allerdings von den weniger offiziellen Stellen aus. Ohne die Offenheiten des Klinikpersonals, der begleitenden Seelsorger und der Verantwortlichen für das Friedhofsgelände kann es für die Stillgeborenen, wie die Fehlgeburten auch genannt werden, keine problemlose Bestattung geben.

  • Jedes Engagement ist hilfreich

Dabei fehlt es oftmals einfach an Informationen über das, was möglich und notwendig scheint. Hier sind die überregional tätigen Initiativen wie Regenbogen e.V. besonders hilfreich. Manchmal ist die persönliche Begegnung, sind Gespräche mit Betroffenen Auslöser für eine veränderte Praxis und die Mediziner sehen davon ab, auf das Gramm genau zu schauen. Sehr häufig sind es die Klinikseelsorger, die sich dafür einsetzen, dass den Stillgeborenen Raum zugestanden wird, an dem von ihnen Abschied genommen werden kann.

Zuweilen finden Taufen statt, den Eltern wird ein Foto oder Fußabdruck gegeben, kleine Särge werden in Eigeninitiative hergestellt. Manchmal werden die kleinen Toten einzeln bestattet, in Begleitung der Angehörigen oder auch ohne sie. Vielerorts werden sie zunächst in den Kliniken aufbewahrt und dann gemeinsam mit anderen Tot- und Stillgeborenen beigesetzt. Die Trauerfeiern sind häufig ökumenisch und werden im Frühjahr und Herbst abgehalten. Die meisten der Trauergäste haben einen zeitnahen Verlust zu tragen, bei manchen liegt das Sterben schon länger zurück. Für sie alle wird auf den Friedhöfen ein Ort zum Trauern geschaffen: Studenten entwickeln Skulpturen für die Grabstellen und Steinmetzlehrlinge führen den Entwurf aus; es engagieren sich Bildhauer, Verantwortliche vom Grünflächenamt, Kirchenvorstände und
Bestatter. Krankenhäuser erwerben Grabstätten auf Friedhöfen. Es entstehen Bündnisse zwischen Kliniken, Krematorien und Städten. Jedes einzelne Engagement ist hilfreich bei dem Versuch, eine kostengünstige und unbürokratische Beisetzung zu ermöglichen.

  • Mangel an Geläufigkeit

Von einer Geläufigkeit in der Bestattungspraxis für Stillgeborene kann allerdings keine Rede sein. Längst nicht alle Eltern wissen von der Möglichkeit zur Beisetzung. Wird sie den Angehörigen angeboten, so ist auch diese Entscheidung keine einfache, denn zu hadern mit dem Das des Sterbens und zugleich ein Wie der Bestattung zu beschließen, verlangt den Eltern sehr viel ab. Hier mangelt es den Stellen häufig an Vertrautheit mit den Beisetzungsoptionen. Solange die in der Geburtshilfe Tätigen auf das Leben und nicht gleichermaßen auf das Sterben eingestellt sind, vermögen sie den Eltern zwar den Tod, aber wenig über die am Ort vorhandene Bestattungspraxis zu übermitteln.

Unmittelbar mit dem Mangel an Geläufigkeit hängt die Haltung der beteiligten Personen zusammen, die eine Grammeinheit entscheiden lassen, wem als Leichnam Würde über den Tod hinaus zukommt und was fehl geboren und mit anderem Material dem Klinikmüll zu übergeben ist. Denn in der Regel wird jede verstorbene Leibesfrucht unter 500 Gramm zusammen mit Blutkonserven, Körperteilen und Organen wie Sonderabfall behandelt. Ob also ein verstorbener Körper beigesetzt oder als Sondermüll der »Abfallgruppe 18« thermisch entsorgt wird, ob er dem Bestattungsgesetz oder der Abfallverzeichnisordnung unterliegt, das ist noch immer »nur« eine Frage des richtigen Gewichts.

  • In keinem Fall als Abfall zu werten

So wenig sich aber Trauer nach Maß und Gewicht ausrichten lässt, so wenig kann Würde und Menschlichkeit bemessen werden. Da das Personenstandsrecht diese Bemessungsgrenze noch nicht aufgehoben hat, sind die Betroffenen auf die bestattungsrechtlichen Arbeiten der Länder angewiesen. In Bayern etwa gilt seit Januar 2006 eine neue Regelung, nach der es eine Verpflichtung der »Zur-Ruhe-Bettung« gibt. Sie soll dafür sorgen, dass auch jenen kleinsten Verstorbenen die Würde über den Tod hinaus zukommt, die nicht der Bestattungspflicht unterliegen und bei denen keine Einzelbestattung veranlasst wurde.

In der Pflicht sind hiernach sowohl die Angehörigen als auch die behandelnden Ärzte. Wenn es den Eltern nicht zumutbar scheint, ihr Stillgeborenes auf einem Grabfeld zur Ruhe zu betten, dann ist die Beisetzung vom Klinikpersonal oder dem behandelnden Arzt zu veranlassen. So werden aus Tot- und Fehlgeborenen zwar noch immer keine bestattungspflichtigen Leichname. Aber wie etwa in Hamburg und Nordrhein-Westfalen, so ist auch in Bayern das irgendwann begonnene und vor aller Geburt verstorbene Leben immer unter würdigen Bedingungen zu bestatten. In keinem Falle ist es – ob über oder unter 500 Gramm, ob Totgeburt oder Stillgeburt – als »Abfall aus ärztlicher Versorgung« zu behandeln.

© Petra Rogge, 2006
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