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Stammzellen aus Haifa für deutsche Forscher

Eine bemerkenswerte Abteilung der Technischen Universität von Haifa ist das Rambam Medical Center. Denn dort lagert eine Ressource, die ForscherInnen diverser Länder begehren: Stammzellen aus menschlichen Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen entstanden sind, aber nicht in die Gebärmutter von Frauen mit Kinderwunsch implantiert wurden. Leiter des nordisraelischen Labors ist der Gynäkologe Joseph Itskovitz-Eldor. Der Professor gilt in Fachkreisen als Pionier. Vor fünf Jahren hatte er glaubhaft berichtet, ihm sei es gelungen, aus embryonalen Stammzellen Insulin produzierende Zellen zu züchten.

Zur Rambam-Kundschaft zählen auch die deutschen Professoren Oliver Brüstle (Bonn) und Wolfgang-Michael Franz (München) sowie Dr. Iduna Fichtner vom Berliner Max-Delbrück-Centrum. Allesamt haben sie die behördliche Genehmigung erhalten, Stammzellen aus Haifa zu importieren – Brüstle übrigens gleich dreimal. Der Neuropathologe hat reichlich Bedarf. Denn er forscht nicht nur an der Bonner Universität, sondern führt auch die Geschäfte des Unternehmens Life & Brain GmbH, das ebenfalls Stammzellen nutzt.

Seit Dezember 2002 bewilligte das Robert-Koch-Institut (RKI) insgesamt 15 Anträge auf Einfuhr von embryonalen Stammzellen nach Deutschland; ob die Behörde auch ablehnende Bescheide verschickt hat, ist unbekannt. Ausweislich des RKI-Registers forschen alle deutschen Projekte mit Stammzellen aus Madison aus dem US-Staat Wisconsin. Fünf dieser Projekte nutzen außerdem Stammzellen aus Haifa. Weitere Bezugsquellen liegen in Singapur, Göteborg und Athens im US-Staat Georgia.

Klaus-Peter Görlitzer (März 2006)



MARTINA KELLER, Journalistin

»Doing it the Israeli way«

  • In Israel sind Gentests, künstliche Befruchtung und embryonale Stammzellenforschung selbstverständlich

aus: BIOSKOP Nr. 33, März 2006, Seiten 14+15

In Israel ist in der Biomedizin manches als selbstverständlich akzeptiert, was anderswo heftig umstritten ist. Die Wiener Politologin Barbara Prainsack sieht die Gründe dafür in der wissenschaftsfreundlichen Tradition des Zionismus und der politischen Bedrohungssituation des Landes. Auch religiöse Traditionen und die Erfahrung des Holocaust spielen eine Rolle.

Das wohl spektakulärste Beispiel für den biomedizinischen Kurs Israels ist die Haltung zum Menschenklonen. Während die Vereinten Nationen auf eine weltweite Ächtung hinarbeiten, hat sich die Knesset, das israelische Parlament, 2004 zum zweiten Mal gegen ein Verbot entschieden. Wie schon 1998 wurde lediglich ein Moratorium beschlossen, für vorerst fünf Jahre.

Derzeit hält man das Klonen von Menschen zwar für unverantwortlich, weil in Tierexperimenten die meisten Föten und bisweilen auch die Mütter sterben. Prinzipiell haben israelische Bioethiker aber keine Einwände gegen das Klonen, sofern es eines Tages sicher funktionieren sollte. Lediglich das Verfahren sei vollkommen neu, nicht aber sein Ergebnis, sagt der Tel Aviver Philosoph Asa Kasher, einer der führenden israelischen Ethikexperten. Der Klon sei kein neuartiges Wesen, sondern lediglich ein Mensch mit den gleichen Genen wie ein anderer. Auch die israelische Feministin Carmel Shalev sieht keine Probleme: »Warum sollte Klonen nicht als eine Methode der Unfruchtbarkeitsbehandlung in Erwägung gezogen werden?«

Israel hat die weltweit größte Dichte an Kliniken zur Behandlung von Unfruchtbarkeit.

Technikkritische Stimmen fehlen in Israel weitgehend. Ob Eizellspende, Leihmutterschaft oder postmortale Spermaspende, durch die eine Frau zu einem Kind ihres verstorbenen Mannes kommen kann – was der Fortpflanzung dient, ist gesellschaftlich akzeptiert. Israel hat die weltweit größte Dichte an Kliniken zur Behandlung von Unfruchtbarkeit – eine pro 250.000 EinwohnerInnen, in den USA kommt eine auf 1.000.000. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) ist ein Massenphänomen, auch jüngere Frauen nehmen sie in Anspruch. Schon wenn eine Frau drei Monate lang vergeblich versucht hat, schwanger zu werden, kann die Behandlung beginnen. In anderen Ländern stellen ÄrztInnen nach so kurzer Frist noch nicht die Diagnose »Unfruchtbarkeit«. Israels nationale Gesundheitsversicherung finanziert IVF-Behandlungen großzügig, bis zum zweiten Kind, selbst wenn ein Paar bereits Kinder aus früheren Beziehungen hat. Auch alleinstehende Frauen werden bei ihrem Wunsch nach einem Kind unterstützt. Der Staat bezahlt ihnen die künstliche Befruchtung im Rahmen der Samenspende.

Die Wiener Politologin Barbara Prainsack, die sich intensiv mit Biomedizin in Israel beschäftigt hat, sieht einen möglichen Grund im gesellschaftlichen Wert der Mutterschaft. Er sei in Israel so unumstritten, »dass fast jedes Mittel der Infertilitätsbehandlung oder -beseitigung den Zweck heiligt«. Wurzeln liegen in der religiösen Tradition. Das Gebot der Thora »Seid fruchtbar und mehret euch« ist für einen gläubigen jüdischen Mann bindend und wirkt auch in den säkularen Teil der Gesellschaft. Keine biologischen Nachkommen zu haben, gilt als großes Unglück. Während es in anderen westlichen Staaten durchaus akzeptiert ist, wenn eine Frau keine Kinder will, seien Frauen ohne Kinder in Israel sozial isoliert, sagt Prainsack. Der israelische Pro-Natalismus ist aber auch eine Reaktion auf die Bedrohungssituation des israelischen Volkes. »Wir sind Überlebende«, sagt der Bioethiker Kasher. Die Erfahrung des Holocaust und das demografische Ungleichgewicht zwischen Juden und Arabern in der Region führen dazu, dass viele Kinder als Garant für Überleben betrachtet werden.

Eine israelische Frau absolviert während ihrer Schwangerschaft bis zu zehn genetische Tests.

Genetisches Testen rund um Schwangerschaft und Geburt ist in Israel weit verbreitet. Eine israelische Frau absolviert während ihrer Schwangerschaft bis zu zehn genetische Tests. Wer darauf verzichtet, gilt als »primitiv«. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist erlaubt und unumstritten. Bei der PID werden Embryos eines erblich vorbelasteten Paares im Reagenzglas auf mögliche Schäden untersucht, um der Frau anschließend nur Exemplare einzupflanzen, die als gesund gelten. Da Embryos außerhalb des Mutterleibs nach jüdischem Verständnis nicht als Träger von Menschenwürde gelten, gibt es keinen moralischen Konflikt, wenn sie aussortiert werden. Zudem besteht außerhalb streng orthodoxer Kreise ein weitgehender gesellschaftlicher Konsens, dass die PID Leiden verhindern helfe, indem behinderte Kinder erst gar nicht geboren werden. »Niemand würde eine Frau dafür loben, dass sie ein Down-Syndrom Kind zur Welt bringt, weil es als Belastung für die Frau, die Familie und die Gesellschaft gesehen wird«, sagt Prainsack. Etwas anderes sei es, wenn solche Kinder einmal da seien. »Dann verdienen sie den Respekt und die Unterstützung der Gesellschaft.« Selbst die Sprecher israelischer Behindertengruppen seien für vorgeburtliches Testen und selektive Abtreibung, sagt der Tel Aviver Soziologe Aviad Raz.

In Israel ist es auch erlaubt, an Embryonen zu forschen. Da man sich von den Experimenten medizinischen Nutzen verspricht, wird die embryonale Stammzellforschung sogar als moralische Pflicht verstanden. Benutzt werden ausschließlich Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig bleiben. Diese Einschränkung habe nichts mit einer Form des Respekts vor dem Embryo zu tun, sondern mit einem religiösen Verbot, so Prainsack: Das Sperma des Mannes darf nicht zu Zwecken verwendet werden, die keinerlei Zusammenhang mit Fortpflanzung haben.

Wird in Israel eine neue Technik verfügbar, untersucht man nicht zunächst die Risiken, sondern geht davon aus, dass sie zugelassen werden muss.

Doch auch Klonen zu Forschungszwecken ist prinzipiell erlaubt. Der Einwand, der Mensch dürfe nicht in die Schöpfung eingreifen und sich die Rolle Gottes anmaßen, lässt sich aus der jüdischen Religion nicht ableiten, im Gegenteil: Durch seine Ebenbildlichkeit zu Gott ist der Mensch geradezu aufgefordert, die Schöpfung zu verbessern. In Alt-Europa hat es Tradition, am Fortschritt zu zweifeln, selbst wenn sich angelsächsischer Pragmatismus zunehmend durchsetzt. Israel hingegen ist durch eine uneingeschränkt zustimmende Haltung zu Wissenschaft und Technik geprägt. Das hat laut Barbara Prainsack auch mit der zionistischen Überlieferung zu tun. In der Vision des Judenstaats von Theodor Herzl spielten Wissenschaft und Technik eine wichtige Rolle; sie sind ein Mittel, um das gelobte Land für die Juden fruchtbar und bewohnbar zu machen. Wissenschaft und Technik sind zudem die Güter, die den Juden auch während jahrhundertelanger Verfolgung nicht genommen werden konnten.

Wird in Israel eine neue Technik verfügbar, untersucht man nicht zunächst die Risiken, sondern geht davon aus, dass sie zugelassen werden muss, es sei denn, es gäbe gewichtige Gründe, sie zu verbieten. »Doing it the Israeli way – es auf die israelische Weise tun« ist laut Prainsack eine häufig gebrauchte Wendung unter israelischen BioethikerInnen geworden. Zwar sei man durchaus besorgt, wie das Ausland auf die Technikfreundlichkeit in Israel blicke. Zugleich verwahre man sich aber selbstbewusst gegen Einmischung: »Furchtlosigkeit gegenüber Kritikern von außen, welche die Beschäftigung mit den Gefahren der modernen Forschung und Technologie energisch einmahnen, wird zur Überlebensstrategie.«

© Martina Keller, 2006
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