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KLAUS BRÜCKS, Psychologe und INGE KUNZ, Sozialpädagogin, Arbeitskreis »Information und Organisation« der Hospizvereinigung OMEGA – Mit dem Sterben leben

»Wir lehnen den Entzug von Nahrung und Flüssigkeit ausnahmslos ab«

  • Erfahrungen und Ansichten einer Hospizinitiative zur Sterbebegleitung

aus: BIOSKOP Nr. 3, September 1998, Seite 5

»Welche Qualen ziehen Sie dem Tod vor«, fragte einst der Schriftsteller Max Frisch in seinem berühmten Tagebuch 1966-1971 : Welche »Qualen«, welche Art und Weise des Sterbens würden mich veranlassen zu bestimmen, daß ich tot sein will?

Diese Frage hat uns in den Arbeitskreisen der Sterbebegleitungsinitiative OMEGA in Bocholt immer wieder beschäftigt – auch vor dem Hintergrund der wiederkehrenden Euthanasiediskussion, die längst vor dem »Sterbehilfe«-Beschluß des Frankfurter Oberlandesgerichtes (Siehe Link) begonnen hatte. Unsere Auseinandersetzungen und Erfahrungen bestätigen, was eine sterbende junge Frau einmal so auf den Punkt brachte: »In Todesnähe relativiert sich doch so manches.« Zumal jedes Sterben »anders« ist, nicht besser oder schlechter, schwerer oder leichter; es ist eben das Besondere, das Andere eines jeden Sterbens.

»In Todesnähe relativiert sich so manches.«

»So möchte ich auch mal sterben« oder »So möchte ich auf keinen Fall sterben« sind Aussagen, die sich auf Erfahrungen mit individuellen Sterbeprozessen beziehen; sie sind nicht übertragbar auf den eigenen oder auf einen eventuell normierten Sterbeprozeß. Es ist ungeheuer schwierig zu bestimmen, unter welchen Umständen ich nicht mehr leben will, zumal keiner von uns weiß, wie er sich fühlen wird, wenn es so weit ist und ich mich eventuell nicht mehr äußern kann – »in Todesnähe relativiert sich so manches«. Niemand soll sich zum Leben oder Sterben »vergewaltigt« gezwungen fühlen, wenn er/sie bei klarem Kopf entscheiden kann (was immer auch eine »freiwillige« Entscheidung sein mag, denn wer oder was bestimmt eigentlich die Selbstbestimmung?). Wenn aber Menschen sich nicht mehr äußern können, kann der früher geäußerte, sogenannte »mutmaßliche Wille«, der nicht zwangsläufig der aktuelle Wille ist, kein Grund sein, Ernährung einzustellen.

Wir sind immer wieder empört, wenn Experten – Politiker, Mediziner, Ethiker, Seelsorger etc. – meinen zu wissen, was in und mit Menschen »los ist«; oft genug ohne konkrete Erfahrungen zu haben. Das ist Anmaßung und Übertragung eigener Vorstellungen auf den Erkrankten, der sich nicht äußern kann – im Extrem mit Konsequenzen, wie sie kürzlich aus Paris berichtet wurden, wo eine Krankenschwester gestand, sie habe 30 Patienten »aus Mitleid« getötet. Unsere Sorge ist, daß fremddefinierte, »qualvolle Zustände«, »allgemeingültig«, übertragbar, normiert werden, so daß bald Gesellschaft, Politik, Ethik, Religion und vor allem Finanzen über leben und Sterben bestimmen.

Sicher kann es für Menschen nach langer Auseinandersetzung mit Sterben und Tod wichtig sein, ihren Willen bezüglich der Art und Weise ihres eigenen Sterbens beziehungsweise der Person, die gegebenenfalls für sie/ihn sprechen soll, schriftlich niederzulegen. Dazu äußern wir aber folgende Bedenken: Wer kann für sich in Anspruch nehmen, genau zu wissen, wie die Entscheidung eines nichtäußerungsfähigen Patienten sein würde? Diejenigen von uns, die in der Sterbebegleitung tätig sind, sagen: Genau das können wir nicht!

Es bleibt das Dilemma zwischen Anspruch auf Selbstbestimmung und Fremdbestimmung auch beim Abfassen einer Verfügung.

Wie steht es mit der Gültigkeit einer »Patientenverfügung«, die vor einiger Zeit verfaßt und nicht aktualisiert wurde? Obwohl der individuelle Wille beim Abfassen einer solchen Erklärung gefragt ist, ist nicht auszuschließen, daß der Sterbeprozeß – zumindest unterschwellig – genormt wird, etwa nach dem Motto »schöner sterben« oder »wir haben die glücklichsten Toten«. Es bleibt das Dilemma zwischen Anspruch auf Selbstbestimmung und Fremdbestimmung auch beim Abfassen einer Verfügung.

Wir lehnen den Entzug von Flüssigkeit und Nährstoffen bei Menschen, die sich nicht äußern können, ausnahmslos ab. In unserem Hospiz kann niemand betreut werden, dessen Angehörige, Bekannte oder Betreuer auf solche Entzugsmaßnahmen bestehen. Es widerspricht den Grundsätzen eines Sterbens in Würde, einen sterbenden Menschen buchstäblich verdursten oder verhungern zu lassen.

© Klaus Brücks / Inge Kunz, 1998
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