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Hilfreiche oder gefahrvolle Vorsorge?

Patienten-Verfügungen sollen selbstbestimmtes Sterben ermöglichen. Können die Papiere halten, was ihre Befürworter versprechen? Was bedeutet ihre vom Bundestag beschlossene, gesetzliche Verbindlichkeit für Kranke, Ärzte, Pflegende, unsere Gesellschaft? Antworten, Denkanstöße, Tipps im aktuellen Info-Faltblatt Hilfreiche oder gefahrvolle Vorsorge? hier online

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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP


Tödlicher Anspruch

  • Patientenverfügungen sind nun verbindlich – im Prinzip

aus: BIOSKOP Nr. 47, September 2009, Seiten 14+15

Am 1. September ist das »Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts« in Kraft getreten. Damit sind Patientenverfügungen hierzulande erstmals per Gesetz legitimiert. Die Regelungen bieten Raum für erhebliche Interpretationsspielräume. Diverse Interessenverbände sehen Bedarf für geldwerte Beratung. Die »Sterbehilfe«-Lobby ist erfreut – und plant schon den nächsten Schritt.

Das Gesetz, das der Bundestag am 18. Juni beschlossen hat, ist ein Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte: Legalisiert hat die Mehrheit der VolksvertreterInnen den so genannten »Stünker-Entwurf« – und damit zum Tode führende Therapie- und Ernährungsabbrüche bei Menschen, die sich nicht mehr äußern können, aber keineswegs im Sterben liegen. Voraussetzung ist, dass eine aussagekräftige Patientenverfügung des Betroffenen vorliegt oder Dritte mutmaßen, dass der nichteinwilligungsfähige Kranke den Behandlungsstopp wolle. Die Reichweite solcher Entscheidungen ist nicht auf bestimmte Krankheitsphasen begrenzt.

Allerdings ist eine Patientenverfügung nicht per se rechtsverbindlich. Gelten sollen solche Papiere dann, wenn die vorab erklärten »Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen«. Ob dies der Fall ist, hängt letztlich von Interpretationen – und womöglich auch von Interessen – Dritter ab: Sind sich der Betreuer bzw. Bevollmächtigte sowie der behandelnde Arzt einig, dass der bewusstlose oder mit Demenz lebende Patient den Stopp einer medizinisch notwendigen Therapie wünsche, muss die tödliche Unterlassung vollzogen werden. Gibt es unterschiedliche Auffassungen, muss der Fall dem Betreuungsgericht zur Entscheidung vorgelegt werden.

Niemand ist verpflichtet, eine Patientenverfügung zu erstellen. Auch dürfen Heime einen Vertragsabschluss nicht davon abhängig machen, dass ein Pflegebedürftiger ein solches Dokument vorlegt.

Passt die Verfügung nicht zur aktuellen Behandlungssituation oder liegt keine Voraberklärung des Nichteinwilligungsfähigen vor, muss der Betreuer »unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Betreuten« entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme einwilligt oder sie untersagt. Orientieren soll sich der Stellvertreter zum Beispiel an früheren mündlichen oder schriftlichen Äußerungen des Patienten und an Einschätzungen von Angehörigen und Vertrauenspersonen. Können sich Betreuer und Arzt anschließend nicht auf den »mutmaßlichen Willen« verständigen, müssen sie das Betreuungsgericht anrufen.

Niemand ist verpflichtet, eine Patientenverfügung zu erstellen. Auch dürfen Heime einen Vertragsabschluss nicht davon abhängig machen, dass ein Pflegebedürftiger ein solches Dokument vorlegt. Ob solche Zurückhaltung tatsächlich praktiziert wird, dürfte auch von der Zivilcourage von Angehörigen und Pflegekräften abhängen: Sie sollten jedenfalls beherzt an die Öffentlichkeit gehen, wenn sie mitbekommen, dass Heimleitungen Menschen unterschwellig oder direkt zum Abfassen einer Patientenverfügung drängen.

Es gibt Ärztefunktionäre, die Patientenverfügungen als neues Geschäftsfeld entdeckt haben.

Möglichkeiten zum persönlichen Widerstand haben auch Mediziner, die es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren können, einen tödlichen Behandlungsabbruch vorzunehmen. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Jörg-Dietrich Hoppe, betonte in einem Interview mit der Kölnischen Rundschau, dass ein Behandlungsvertrag »eine beiderseitige Angelegenheit ist«; nicht nur Patienten, auch Mediziner könnten den Kontrakt ablehnen. »Die Ärzte«, so Hoppe, »werden sich sehr genau überlegen müssen, ob sie überhaupt einen Behandlungsvertrag eingehen, wenn eine Patientenverfügung vorliegt.« Eine Registrierungspflicht gibt es nicht. Auf der geplanten Gesundheitschipkarte sollen Krankenversicherte aber die Option erhalten, das Vorhandensein einer Patientenverfügung freiwillig vermerken zu lassen.

Es gibt aber auch Ärztefunktionäre, die Patientenverfügungen als neues Geschäftsfeld entdeckt haben. Zum Beispiel der NAV-Virchow-Bund: Die offizielle Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte empfiehlt seinen Mitgliedern, Patienten beim Formulieren von Verfügungen zu beraten und fertige Dokumente schließlich als »Zeuge« zu unterschreiben. Für zwei Gesprächstermine, die jeweils bis zu 45 Minuten dauern, könnten beratungswillige Hausärzte gemäß Gebührenordnung (GOÄ) insgesamt bis zu 235,95 Euro kassieren – direkt beim Patienten, denn derartige Dienste können als Individuelle Gesundheitsleistungen abgerechnet werden.

Als unersetzliches »Original« der Lobby pro Patientenverfügung sieht sich die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Sie sieht das neue Gesetz als »Etappen-Sieg«, der »immens wichtig« sei.

»Geldschneiderei der Ärzte« nennt das plakativ Eugen Brysch. Der Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung (DHS) kritisiert den Gesetzgeber, weil der versäumt habe, Beratung zum Erstellen von Patientenverfügungen als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen einzuführen. Eben dies hatten die DHS und andere Mitbewerber permanent gefordert; bei der DHS ist ein solcher Service plus Verfügungsformulierung im Jahres-Mitgliedsbeitrag von 42 Euro inklusive. Zweck solche Angebote ist es sicher auch, Spender zu binden – die DHS gibt in jeder Pressemitteilung an, über 55.000 Mitglieder und Förderer zu haben.

Als unersetzliches »Original« der Lobby pro Patientenverfügung sieht sich die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Sie sieht das neue Gesetz als »Etappen-Sieg«, der »immens wichtig« sei. Und peilt schon die nächste Reform an, dieses Mal im Strafgesetzbuch: »Die DGHS fordert als Ultima Ratio die Einführung des ärztlich assistierten Suizids wie auch in seltenen Extremfällen einer Ultissima Ratio die aktive direkte Sterbehilfe.«

© Klaus-Peter Görlitzer, 2009
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