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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP


Tödliche Planungen

  • Politiker, Ärztekammer, Kirchen und Euthanasielobby wollen Patientenverfügungen rechtsverbindlich machen

aus: BIOSKOP Nr. 26, Juni 2004, Seiten 3+4

»Sterbehilfe« für Menschen, die überhaupt noch nicht im Sterben liegen, soll noch in dieser Legislaturperiode erlaubt werden. Ermöglichen soll dies die rechtsverbindliche Anerkennung von Patientenverfügungen, für die PolitikerInnen, Ärzteschaft und Kirchen werben. »Tötung auf Verlangen« soll tabu bleiben – vorerst.

Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD), laut Selbstdarstellung »die bundesweite Interessenvertretung Konfessionsloser«, hat eine Mission. Unermüdlich streitet die Organisation dafür, »aktive Sterbehilfe« nach niederländischem und belgischem Muster hierzulande straffrei zu stellen: Wenn Kranke die wünschen, sollen ÄrztInnen sie töten dürfen.

Als Vorsitzender des HVD fungierte bis Anfang März der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel, und dem ist es vor Ostern gelungen, seinen Bekanntheitsgrad erheblich zu steigern: Gegenüber der Berliner Zeitung kündigte Stöckel an, er und einige ParlamentarierInnen von SPD, Grünen und FDP planten eine Initiative für ein »Sterbehilfe-Gesetz«.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und sofort hagelte es Proteste: PolitikerInnen aller Fraktionen, Bundesärztekammer, Hospizstiftung, die christlichen Kirchen – allesamt wiesen sie Stöckels Vorstoß mit demonstrativer Entrüstung zurück.

  • Taktierer Stöckel

Es scheint, als hätten sie seinen Antrag »Autonomie am Lebensende« gar nicht gelesen. Jedenfalls taktiert der Politiker Stöckel anders als der langjährige HVD-Vorsitzende Stöckel: Im Bundestag fordert er keineswegs die Zulassung »aktiver Sterbehilfe«. Vielmehr verlangt Stöckel, was auch viele seine KritikerInnen wollen: die rechtsverbindliche Anerkennung so genannter »Patientenverfügungen«. Mit solchen Papieren erklären Menschen bei vollem Verstand, dass sie im Fall späterer Nichteinwilligungsfähigkeit, etwa im Koma oder bei fortgeschrittener Demenz, durch Abbruch medizinischer Behandlung und Versorgung zu Tode gebracht werden wollen. Vorab verlangt werden zum Beispiel: das Stoppen von Beatmung, Flüssigkeitszufuhr oder Ernährung via Magensonde; Unterlassen von Dialyse, Bluttransfusionen und Antibiotika-Gaben.

Stöckels Kalkül ist offensichtlich: Legitimiert der Gesetzgeber erst einmal das Verhungernlassen bewusstloser Menschen auf Basis einer Patientenverfügung, wird er einwilligungsfähigen Kranken die Giftspritze auf Dauer nicht verweigern können. Dabei vernebelt der Begriff »Sterbehilfe«, dass die nicht äußerungsfähigen Kranken, um die es bei der Verfügungsdebatte ja geht, sich in der Regel überhaupt nicht im Sterbeprozess befinden.

Zwar hat Stöckel inzwischen erklärt, er wolle den »Autonomie-Antrag«, der im Bundestag zurzeit keine Mehrheit finden würde, dort vorerst nicht einbringen. Doch das Bundesjustizministerium (BMJ) bereitet längst vor, was Stöckels HVD als Meilenstein auf dem Weg zur Freigabe »aktiver Sterbehilfe« erreichen will. Das BMJ hat im Herbst 2003 eine Arbeitsgruppe beauftragt, »die Grundlage für eine Muster-Patientenverfügung« zu schaffen; ihr Gutachten soll am 10. Juni öffentlich vorgestellt werden. »Handlungsbedarf« sieht das BMJ, weil der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) im März 2003 Patientenverfügungen erstmals als verbindlich bewertet hat – obwohl kein deutsches Gesetz sie erwähnt.

  • Fundamentaler Kurswechsel

Vorsitzender der Arbeitsgruppe, in der auch Vertreter von Ärzteschaft, Hospizbewegung, Kirchen, Verbraucherzentrale und HVD mitwirken, ist der pensionierte BGH-Richter Klaus Kutzer. Der Strafrechtler plädiert seit Jahren für eine »Liberalisierung« der »Sterbehilfe«: 1997 schrieb er in der Zeitschrift für Rechtspolitik, »in einer besonderen Ausnahmesituation« könne auch die ärztliche Tötung auf Verlangen des Kranken »gerechtfertigt oder entschuldigt« sein. Zudem ist Kutzer Mitautor jener »Grundsätze zur Sterbebegleitung«, die einen fundamentalen Kurswechsel der Bundesärztekammer (BÄK) markiert haben. Mit dem am 11. September 1998 beschlossenem Papier, auf das auch der BGH verweist, billigten die StandesvertreterInnen erstmals, dass MedizinerInnen lebenserhaltende Maßnahmen bei Menschen unterlassen können, die gar nicht im Sterben liegen; gleichzeitig bezeichnen die Grundsätze Patientenverfügungen als eine »wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes«.

Diese denkwürdige Umorientierung hat die BÄK kürzlich noch einmal bekräftigt. Anfang Mai präsentierte sie eine neue Version ihrer »Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung«. Sie sind der Rechtslage einmal mehr voraus und behaupten nun, mündliche oder schriftliche Patientenverfügungen, die eine Behandlung ablehnen, seien bei Einwilligungsunfähigen »bindend, sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfügung beschrieben hat«. Die Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit müsse »nicht immer« als Basisbetreuung gewährleistet werden, Begründung: »da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen können«.

  • Bevollmächtigung zur Entscheidung über Leben und Tod?

Außerdem empfehlen die BÄK-Grundsätze so genannte »Vorsorgevollmachten«. Damit kann der Patient für den Fall, dass er seinen Willen nicht mehr ausdrücken kann, vorab eine Vertrauensperson bevollmächtigen, stellvertretend für ihn zu entscheiden. Nach Meinung der BÄK soll der Bevollmächtigte auch befugt sein, den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu verlangen.

Die Aufwertung von Vorsorgevollmachten bezweckt auch der vom Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Betreuungsrecht. Allerdings lässt die geplante Novelle ausdrücklich offen, ob Patientenverfügungen verbindlich sind und Vorsorgevollmachten überhaupt die Befugnis zum tödlich wirkenden Behandlungsstopp enthalten können. Solche Zurückhaltung muss aber noch nicht das letzte Wort sein: In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es, man wolle der vom BMJ eingesetzten Kutzer-Arbeitsgruppe nicht vorgreifen. Dass deren »Sterbehilfe«-Ergüsse doch noch in das Betreuungsgesetz einfließen, das der Bundestag voraussichtlich im Herbst beschließen soll, ist also durchaus möglich.

  • Totenstille

1998 wurden viele Proteste laut; heute schweigen fast alle, die das Papier der BÄK damals zu Recht als unerträglich gegeißelt hatten. Den Ton der aktuellen »Sterbehilfe«-Debatte geben diejenigen an, die »selbstbestimmte« Behandlungsabbrüche befürworten. Auch Repräsentanten der großen Kirchen machen dabei mit: Zum Auftakt ihrer »Woche für das Leben« warb der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber Ende April dafür, die »Eigenverantwortung für die Gestaltung der letzten Lebenszeit« zu stärken – durch Abfassen der »Christlichen Patientenverfügung«, die von evangelischer und katholischer Kirche gemeinsam angeboten wird.

Skeptische Stimmen wurden nur vereinzelt öffentlich. Die Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) schrieb, »die Rede vom selbst bestimmten Sterben« sei im Zusammenhang mit Patientenverfügungen »reine Fiktion«, da »das eigene Sterben und der Weg dorthin von niemanden von uns im Voraus zu berechnen« seien. Der CDU-Parlamentarier Hubert Hüppe warnte davor, »Sterbehilfe« ins Gespräch zu bringen, während über Geldmangel im Gesundheitswesen und Alterung der Gesellschaft geklagt wird.

Mit welchem Druck schwer Kranke rechnen müssen, lässt eine 2001 publizierte Broschüre »Sterbebegleitung« erahnen, die vom Bundesgesundheitsministerium verantwortet wird. Unter »Perspektiven« liest man dort: »Angesichts hoher Krankenhausbehandlungskosten am Lebensende wird insbesondere bei hochbetagten Patienten zu entscheiden sein, ob diese Ressourcen nicht besser in eine gemeindenahe palliative Medizin investiert werden sollen.«

  • Traut sich die Enquete, Patientenverfügungen in Frage zustellen?

Einen Bericht zu »Patientenverfügungen« erarbeitet derzeit auch die Enquete-Kommission für »Ethik und Recht der modernen Medizin«, deren stellvertretender Vorsitzender Christdemokrat Hüppe ist. Spätestens im Juli soll das Papier fertig sein und dann dem neuen Bundespräsidenten Horst Köhler überreicht werden. Zwar hat die aus PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen zusammengesetzte Enquete ein eher bioethik-skeptisches Image. Doch nach allem, was bisher aus Berlin durchgesickert ist, wird die Euthanasie-Lobby ganz gut leben können mit der in Aussicht gestellten Expertise: Die Enquete wird Patientenverfügungen keineswegs grundsätzlich in Frage stellen – sondern im wesentlichen aufschreiben, wie eine seriöse Voraberklärung auf Behandlungsverzicht für den Fall der Nichteinwilligungsfähigkeit aussehen und unter welchen Bedingungen sie verbindlich sein sollte.

Gutachten, Broschüren, Faltblätter, Beratungsangebote, gestrickt nach diesem Muster, gibt es inzwischen reichlich. Die soziale und gesundheitliche Lage von Menschen, die mit geistiger Behinderung, Demenz oder im Koma leben, verbessern sie nicht.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2004
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