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Undenkbar

»In Krankenheimen der Stadt Zürich werden heute Chronischkranken jährliche Kosten von bis zu 90.000 Franken in Rechnung gestellt, mit steigender Tendenz. Die wenigsten Patienten können von sich aus für solche Beträge aufkommen und sind auf Versicherungsleistungen und Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen. Im Gesundheitswesen werden Milliardenkosten verursacht von in ihren Lebensäusserungen weitgehend eingeschränkten Patienten, die im landläufigen Verständnis auf ihren Tod warten. Auch diese Patienten sind von Sterbehilfe betroffen.

Ehrlicherweise muss festgehalten werden, dass die Sterbehilfe für das Gesundheitswesen von enormer ökonomischer Bedeutung ist. Es ist undenkbar, dass darauf verzichtet werden kann, die zusätzlichen Kosten wären schlicht nicht zu bezahlen.«

aus einem Aufsatz des Zürcher Ökonomen Bernhard Hug, den die Neue Zürcher Zeitung am 15. Januar 2000 publizierte, Überschrift: »Sterbehilfe zwischen Freundesdienst und lukrativem Geschäft«



RUEDI SPÖNDLIN, Journalist und Jurist, Redakteur der in Basel erscheinenden Zeitschrift Soziale Medizin

Alten Menschen beim Suizid helfen?

  • Schweizer ÄrztevertreterInnen halten Beihilfe zur Selbsttötung neuerdings für eine ärztliche Tätigkeit

aus: BIOSKOP Nr. 24, Dezember 2003, Seiten 6+7

In der Schweiz bieten Sterbehilfe-Organisationen seit Jahren Beihilfe zur Selbsttötung als Dienstleistung an. VertreterInnen der Ärzteschaft haben diese Praktiken bisher abgelehnt. Das könnte sich bald ändern.

Den Kurswechsel markiert ein Richtlinienentwurf, den die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) erarbeitet hat. Unter der Überschrift »Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürftigen Menschen« gibt das Papier der SAMW, die von der Ärztegesellschaft und den medizinischen Fakultäten der Schweiz getragen wird, Empfehlungen zu zahlreichen Aspekten: Rehabilitation, Akuttherapie, palliative Betreuung, Schutz von Persönlichkeitsrechten, Sicherung des Beschwerderechts – und auch zur Beihilfe zum Suizid.

»Äussert eine ältere pflegebedürftige Person den Wunsch, ihrem Leben selbst oder mit Hilfe Dritter ein Ende zu setzen« , heißt es in dem Entwurf, »so kann dies eine Hilferuf sein, aber auch Folge einer psychischen Erkrankung oder das Resultat von äusserem Druck.« Daher sollen, so die Vorgabe, »der behandelnde Arzt und das Pflegepersonal in jedem Fall das Gespräch mit der betreffenden Person suchen«. Beharrt der Patient auf Hilfe zur Selbsttötung, muss das Heim einen Arzt von außerhalb zu Rate ziehen. Bescheinigt der konsultierte Mediziner, dass der Todeswillige nicht psychisch krank ist und sein Entscheid zur Selbsttötung weder auf Druck Dritter noch durch »eine nicht adäquate Behandlung oder Betreuung« zurückzuführen ist, soll die unterstützte Selbsttötung gerechtfertigt sein. »Beihilfe« leisten sollen aber nur Menschen, die nicht in der Einrichtung beschäftigt sind. HeimmitarbeiterInnen sollen an der Suizidvorbereitung oder -durchführung nicht mitwirken, weil Pflegebedürftige »in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis« zu ihnen stehen.

Alle, die für die Legitimierung von PatintInnentötungen streiten, werden sich auf das schweizerische Papier berufen.

Diese Empfehlungen der SAMW erregen in der Schweiz kein allzu großes Aufsehen. Denn die meisten Menschen in der Eidgenossenschaft haben sich daran gewöhnt, dass »Sterbehilfe«-Vereinigungen wie ‘Exit’ und ‘Dignitas’ seit Jahren die begleitete Selbsttötung mittels eines Medikamentencocktails anbieten. Laut Zahlen der Schweizerischen Gesellschaft für Menschenrechte gab es allein im Jahr 1999 insgesamt 105 »Freitodbegleitungen« in der Schweiz. Inzwischen nehmen sogar »SterbetouristInnen« aus Deutschland diese Dienstleistung in Anspruch.

Die Ärzteschaft stand diesen Praktiken bisher eher ablehnend gegenüber. In den 1995 verabschiedeten, derzeit geltenden SAMW-Richtlinien zur Sterbehilfe heißt es jedenfalls eindeutig: »Beihilfe zum Suizid ist kein Teil der ärztlichen Tätigkeit«. Auch deshalb bedienten sich die Gründer von ‘Exit’, die rund 50.000 Mitglieder hat, einer ausgesprochen ärztefeindlichen Rhetorik und stellten ihre Tätigkeit als Kampf gegen das ärztliche Machtmonopol dar.

Nun scheint die SAMW, wohl gegen große Widerstände in den eigenen Reihen, ihre Ablehnung der Suizidbeihilfe aufzugeben – warum, hat sie öffentlich bislang nicht erklärt. Vielleicht fürchten die RichtlinienautorInnen, die kategorische Ablehnung der Suizidbeihilfe könne die SAMW bei einem großen Teil der Bevölkerung unpopulär machen. Tatsächlich kämpfen viele Betagte hartnäckig dafür, ihren Todeszeitpunkt frei wählen zu können. Dass der Zürcher Stadtrat vor drei Jahren das Zutrittsverbot für SuizidbeihelferInnen zu den städtischen Altersheimen aufgehoben hat _(Siehe BIOSKOP Nr. 13, ist vor allem auf aktives Lobbying von Sterbehilfe-Organisationen und gewissen Betagten zurückzuführen.

Beihilfe zur Selbsttötung gilt in der Schweiz nur dann als strafbar, wenn sie aus eigennützigen Beweggründen erfolgt. SAMW-Richtlinien gelten als Maßstab für standesgemässes ärztliches Handeln, sie sind aber gesetzlich nicht verbindlich. Angesichts dieser Rechtslage könnte die SAMW unterstützte Selbsttötungen auch dann nicht völlig verhindern, wenn sie an ihrer bisherigen Ablehnung festhielte. Denn ‘Exit’ und ‘Dignitas’ konnten schon bisher auf ÄrztInnen zählen, die die Standesrichtlinie von 1995 einfach ignorierten und das Rezept für den tödlichen Medikamentencocktail ausstellten. Einzelne MedizinerInnen verhielten sich dabei äußerst fahrlässig und zückten den Rezeptblock, ohne den sterbewilligen Menschen gesehen zu haben. Aus Sicht der SAMW könnte es somit pragmatisch sinnvoll sein, per Richtlinie klar zu stellen, wie MedizinerInnen mit sterbewilligen PatientInnen umgehen sollen. Aber auch solche standesrechtlichen Vorgaben sind kein Gesetz.

Auch wenn sie ohne Zweifel nicht zu den Promotoren der organisierten Hilfe zur Selbsttötung gehört: Würde die SAMW diese künftig tatsächlich als ärztliche Handlung einstufen, trüge sie damit zu deren Normalisierung bei – und alle, die für die Legitimierung von PatientInnentötungen streiten, werden sich auf das SAMW-Papier berufen, auch »Sterbehilfe«-BefürworterInnen aus dem Ausland.

Im Laufe des Winters will der Senat der SAMW dann definitiv entscheiden.

Und je normaler die Suizidbeihilfe wird, desto eher könnten sich betagte und kranke Menschen gedrängt fühlen, diese Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Zwar werden Schweizer ÄrztInnen wohl kaum PatientInnen zum Suizid überreden, weil dies ihrem Selbstverständnis zutiefst widersprechen würde. Schon heute kann man jedoch beobachten, dass sich manche Menschen selbst das Lebensrecht absprechen, weil sie anderen “nicht zur Last zu fallen« wollen. Dieser gefährlichen Entwicklung könnte die SAMW entgegen wirken, wenn sie an ihrer kategorischen Ablehnung der Suizidbeihilfe festhalten würde.

Noch kann sie es. Denn der Richtlinientext befindet sich erst im so genannten Vernehmlassungsverfahren, in dem jedermann zu dem Papier Stellung nehmen kann. Im Laufe des Winters will der Senat der SAMW dann definitiv entscheiden.

© Ruedi Spöndlin, 2003
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