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»Gewinnbringend und erkenntnisreich«

Matthias Bloechle, der den PID-Prozess am Bundesgerichtshof per Selbstanzeige provoziert hat, betreibt in Berlin ein »Kinderwunschzentrum«. Diese reproduktionsmedizinische Praxis tut noch mehr: Regelmäßig lädt sie auch zu Symposien über »Genetik und Schwangerschaft«. Am 14. März 2009 referierte Bloechle dabei über den »Stellenwert der Präimplantationsdiagnostik als Genetisches Screening«.

Wie den Veranstaltern ihr Event gefallen hat, berichten sie auf ihrer Homepage: »Mit über 120 Teilnehmern war es ein großer Erfolg. Berliner Experten aus den Bereichen Humangenetik, Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin trugen interessante Erkenntnisse zum Themengebiet Genetik und Schwangerschaft vor. Die Kombination der thematischen Schwerpunkte Genetik und Schwangerschaft hat sich auch in diesem Jahr für alle Teilnehmer sehr gewinnbringend und erkenntnisreich erwiesen.«




ULRIKE BAUREITHEL, Journalistin in Berlin

Ein Sieg der Selbstbestimmung?

  • BGH-Urteil zur Präimplantationsdiagnostik stärkt Reproduktionsmediziner und fordert Politiker heraus

aus: BIOSKOP Nr. 52, Dezember 2010, Seiten 4+5

Der Bundesgerichtshof hat im Juli 2010 ein Urteil zur Präimplantationsdiagnostik (PID) gesprochen. Seitdem sehen sich Politiker unter Handlungszwang. Befürworter der Embryonen-Selektion nach künstlicher Befruchtung machen Druck und inszenieren sich als Anwälte der Frauen. Die Gegner sind gespalten: Die einen fordern, die PID gesetzlich zu verbieten, die anderen wollen ihre Anwendung erst einmal per Moratorium stoppen. Das Zeitspiel ist riskant.

Gegärt hat es schon lange. Reproduktionsmediziner äußerten immer mal wieder öffentlich ihre Verärgerung darüber, dass sie den von Frauen nachgefragten, genetischen Check im Reagenzglas nicht anbieten durften und das Geschäft den Kollegen im Ausland überlassen mussten. Und Paare, die bereits ein krankes oder behindertes Kind hatten, fanden es mitunter unverständlich, weshalb sie beim zweiten Versuch der künstlichen Befruchtung (IVF) nicht »auf Nummer sicher« gehen und denjenigen Embryo auswählen konnten, bei dem kein riskantes Gen festzustellen war.

Aber so richtig aus der Reserve hatte sich niemand mehr getraut, seitdem der Bundestag 2002 den Vorstoß der FDP, die Präimplantationsdiagnostik (PID) ausdrücklich zu erlauben, mehrheitlich abgeschmettert hatte und eine weitere derartige Initiative 2005 schon im Vorfeld gescheitert war.

Um den Gesetzgeber juristisch unter Druck zu setzen, ging Matthias Bloechle, Betreiber eines »Kinderwunschzentrums« in Berlin, einen anderen Weg: 2006 erstattete der Reproduktionsmediziner Strafanzeige gegen sich selbst (Siehe BIOSKOP Nr. 46). Bloechle gab an, er habe im Jahr zuvor IVF-Embryonen im pluripotenten Stadium genetisch überprüft und nur denjenigen Embryo übertragen, von dem auszugehen war, dass er nicht geschädigt sei; die beiden anderen ließ er im Reagenzglas zugrunde gehen.

War 2002 noch vielfach auf die diskriminierenden Folgen der PID verwiesen worden, ist den Richtern das – mittlerweile sogar qua UN-Konvention befestigte – Diskriminierungsverbot von Behinderten heute nicht einmal eine Erwähnung wert.

In letzter Instanz urteilte der Bundesgerichtshof am 6. Juli 2010. Die Untersuchung der Embryonen, so die Bewertung der BGH-Richter, »stelle kein durch § 2 Abs.1 des Embryonenschutzgesetzes verbotenes ‘Verwenden’ dar«. Das Absterbenlassen der nicht in die Gebärmutter übertragenen Embryonen sei „als Unterlassen erhaltender Maßnahmen zu werten“. Die durchgeführte PID habe das Ziel einer Schwangerschaft verfolgt und werde auch nicht durch mögliche Gewinnerzielungsabsichten des Arztes diskreditiert.

Der Kern der Urteilsbegründung kreist indessen um die Tatsache, dass bei Verabschiedung des seit 1991 geltenden Embryonenschutzgesetz (EschG) die PID als Methode noch nicht in der reproduktionsmedizinischen Praxis etabliert war und deshalb vom »historischen Gesetzgeber« gar nicht in den Blick genommen werden konnte; ihm sei es vielmehr darum gegangen, die »verbrauchende Embryonenforschung« unter Strafe zu stellen. Hätte der Bundestag später die PID verbieten wollen, hätte er hierzu im Gendiagnostikgesetz Gelegenheit gehabt, meint der BGH.

Das Urteil schlug hohe Wellen; nach jahrelangem Schweigekonsens ist die PID wieder auf die Agenda gerückt, allerdings vor einem veränderten gesellschaftlichen Hintergrund. Die Richter scheinen nämlich einen zunehmenden »Common Sense« zum Ausdruck gebracht zu haben, demzufolge es einer Frau nicht zuzumuten sei, »sehenden Auges das Risiko einzugehen, ein krankes Kind zur Welt zu bringen«. War 2002 noch vielfach auf die diskriminierenden Folgen der PID verwiesen worden, ist den Richtern das – mittlerweile sogar qua UN-Konvention befestigte – Diskriminierungsverbot von Behinderten heute nicht einmal eine Erwähnung wert. Dagegen führen die Befürworter der PID, die nun möglichst gleich das ganze Embryonenschutzgesetz kippen wollen, plötzlich einen Begriff im Munde, den man eher in der autonomen Frauenbewegung verorten würde: das Selbstbestimmungsrecht der Frauen beziehungsweise der betroffenen Paare.

Kinder, welche die ohnehin maroden Sozialkassen belasten und möglicherweise lebenslang betreut werden müssen, sind weniger erwünscht.

Gegen den »Verbotsrigorismus«, der im Ausland längst als »deutsche Krankheit« diagnostiziert worden sei, bringt etwa der Berliner Fortpflanzungsmediziner Heribert Kentenich die »autonome Entscheidung des Paares« gegen die PID-Gegner in Stellung. Er moniert, dass die Gesellschaft einerseits alles tue, »um den Wunsch nach einem Kind zu fördern«, andererseits Paare bei der Realisierung ihres Wunschkindes aber behindere. Kentenich spricht damit aus, was andere offenbar nur denken: Wo es ohnehin zu wenig Kinder gibt, die künftig als Arbeitskräfte die Wirtschaft in Schwung halten und als Beitragszahler die Rentner alimentieren, soll das rare Gut zumindest gesund sein und zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft werden. Kinder, welche die ohnehin maroden Sozialkassen belasten und möglicherweise lebenslang betreut werden müssen, sind weniger erwünscht.

Das Wohl der Frauen wird bei der Durchsetzung der PID aber auch in anderer Weise rhetorisch bemüht: »Im Interesse von Mutter und Kind«, so Kentenich in einem Interview, »müssen wir Mehrlingsschwangerschaften reduzieren«. PID also doch nicht nur, um mittels eines Indikationenkatalogs »besonders schwere Beeinträchtigungen« zu verhindern und den Frauen die »Schwangerschaft auf Probe« zu ersparen? PID perspektivisch als eine ganz normale Screening-Methode bei der IVF? Der so genannte »single embryo transfer«, bei dem nur ein einziger Embryo nach künstlicher Befruchtung übertragen wird, hat sich in den skandinavischen Ländern bereits etabliert. Hierzulande müssen (noch) alle drei bei der IVF hergestellten Embryonen verpflanzt werden, was tatsächlich das Risiko von Mehrlingsschwangerschaften nach sich zieht.

Die Politik wurde vom Leipziger BGH-Urteil sichtlich überrumpelt. Die gesetzgeberische Lücke zwischen dem ESchG und dem nie realisierten Fortpflanzungsmedizingesetz, das nach der 2001 erfolgten Ablösung der früheren Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis90/Die Grünen) auf Eis gelegt wurde, klafft inzwischen so weit, dass sie sich nicht mehr ignorieren lässt. Überraschend hat sich die ansonsten wissenschaftsfreundliche Kanzlerin dafür ausgesprochen, das PID-Verbot im Programm der Union zu bekräftigen, sichtlich, um den rechten Rand ihrer Fraktion mit dem Thema Lebensschutz wieder in den Tross zurückzuholen. Währenddessen reist Angela Merkels Vertrauter Peter Hintze unverdrossen durch die Studios der Republik und wirbt für die PID – als Anwalt der Betroffenen, versteht sich. Die Union ist wohl gespalten: Mitte November, beim CDU-Parteitag in Karlsruhe, unterstützten überraschenderweise nur 51 Prozent der Delegierten die Position Merkels für ein Verbot der PID.

Fraglich ist, ob das Selbstbestimmungsrecht gestärkt wird, wenn sich Paare immer stärker in die Abhängigkeit genetischer Expertise begeben.

Die sozialdemokratische und grüne Opposition dagegen spielt auf Zeit: ein Fortpflanzungsmedizingesetz ja, aber nicht unter Druck; deshalb plädiert etwa der ehemalige Enquete-Vorsitzende René Röspel (SPD) für ein zweijähriges Moratorium; während dieser Zeit soll die PID verboten bleiben. Wie sich die Linkspartei dazu verhält, ist offen: Ihre Sprecherin für Forschungs- und Technologiepolitik, Petra Sitte, will – wie die FDP – das Selbstbestimmungsrecht der Eltern gestärkt wissen. Die Fronten in dieser Frage verlaufen, wie oft bei bioethischen Entscheidungen, quer durch alle Fraktionen.

Entscheidend für die weitere Entwicklung dürfte sein, ob der durchaus spürbare öffentliche Druck auf die Politik denjenigen Wind in die Segel bläst, die für eine liberale Handhabung der PID – sei es durch die gesetzliche Freigabe, sei es, wie Hintze es will, als Laisser-faire ohne gesetzliche Abdichtungen – eintreten. Denn auch die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sind nicht mehr so deutlich wie noch vor acht Jahren. Mit jeder Legislaturperiode wird sich die bioethische »Normalisierung«, ein Denkhorizont also, in dem das „Recht auf Kind“ so selbstverständlich erscheint wie das »Recht auf ein gesundes Kind«, bei immer mehr Abgeordneten durchsetzen.

So könnte es in zwei Jahren, wenn ein Moratorium ausgelaufen wäre, möglicherweise gar keine parlamentarische Mehrheit mehr für ein PID-Verbot geben. Und vielleicht ist dies von den Moratoriumsstrategen ja sogar gewollt. Fraglich ist allerdings, ob das Selbstbestimmungsrecht gestärkt wird, wenn sich Paare immer stärker in die Abhängigkeit genetischer Expertise begeben.

© Ulrike Baureithel, 2010
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