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STEFANIE GRAEFE, Soziologin an der Universität Jena

Subjekt Embryo?

aus: BIOSKOP Nr. 24, Dezember 2003, Seiten 4+5

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat mit einer Rede für Aufregung gesorgt. Stein des Anstoßes ist vor allem ihre Position, dass der künstlich hergestellte Embryo keine Menschenwürde besitze. Politische Hintergedanken, gesetzliche Regelungen zu liberalisieren, mögen die Rede der Ministerin motiviert haben. Doch die von vielen kritisierte »biopolitische Wende«, demonstriert am »Embryo«, liegt längst hinter uns.

Die Begehrlichkeiten der High-Tech-Reproduktionsmedizin konzentrieren sich auf den »Embryo« in der Petrischale, dessen Stammzellen oder Gen-Repertoire. Viele der KritikerInnen beschwören die »Würde des Embryos« und rufen zu seinem Schutz auf. Doch womöglich trägt diese Argumentation – ungewollt – gerade dazu bei, jenes Subjektverständnis zu stabilisieren, das den technologischen Verbrauch von Embryonen legitimiert.

Gemeinsamer Bezugspunkt der gegensätzlich erscheinenden Forderungen nach »Verbrauch« bzw. »Schutz« ist die Fokussierung auf »den« Embryo. Bioethiker, die seit Jahren die Debatten dominieren, kategorisieren »menschliches Leben« in unterschiedliche Grade von »Subjekthaftigkeit«. Diese Sicht – besonders markant vertreten vom Australier Peter Singer – läuft letztlich darauf hinaus, dass es menschliche Individuen mit »mehr« oder »weniger« Lebensrecht gebe. Kriterien sind dann – je nach Geschmack – behauptete Schmerz- und Empfindungsfähigkeit; ein Bewusstsein über die eigene Lage; die Fähigkeit, Wünsche für die Zukunft zu haben; Beziehungsfähigkeit etc.

Nach dieser Denkweise können Embryonen als weitgehend »wertlos« definiert werden. Sie fallen gewissermaßen durch jene Prüfung, die feststellt, ob ihnen der Status als (Rechts-)Subjekt zukommen darf oder nicht. Doch das bedeutet auch: Als potenzielle Träger von Rechten, als potenzielle »Subjekte« sind Embryonen in dieser Logik immer schon vorausgesetzt.

Wer auf die »Würde des Embryos« pocht, akzeptiert bioethische Argumentationsmuster.

Diese bioethischen Argumentationsmuster akzeptiert auch, wer auf die »Würde des Embryos« pocht. Im Grunde führen auch viele VerwertungskritikerInnen ein Prüfverfahren durch – allerdings mit anderem Ausgang: Ja, Embryonen sind »wertiges« menschliches Leben, sind jetzt oder spätestens doch bald schutzwürdige Grundrechtsträger.

Ist es tatsächlich unvermeidlich, den Objektschutz in der Petrischale zu fordern, um biomedizinischen Verwertungslogiken und -praktiken Einhalt zu gebieten? Einen Subjektstatus ohne Subjektkriterium gibt es nicht. Hat man sich erst einmal auf die Debatte eingelassen, ob nun Schmerzfähigkeit oder die »Potenzialität« der Achtzeller im Labor wichtigstes Kriterium zur Bestimmung menschlicher Subjekthaftigkeit ist, dann ist man auch der bioethischen Grundannahme aufgesessen: dass menschliches Leben (nicht nur das ungeborene, sondern auch das geborene) nach »Wertigkeiten« kategorisierbar sei.

Feministinnen haben wiederholt nachgewiesen, dass restriktive Abtreibungsregeln gekoppelt sind an die Konstruktion des Embryos bzw. Fötus als »Subjekt«, dessen Rechte gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu schützen seien. Dieses Denken ist historisch einigermaßen jung; noch zu Zeiten der Aufklärung war es eher unüblich, sich einen Fötus als quasi autonome Persönlichkeit, unabhängig von der schwangeren Frau, vorzustellen. Das Verständnis von »Leben« und »Tod« ist in höchstem Maße sozial und kulturell bedingt und in keinster Weise in Form absoluter Wahrheiten »gegeben«. Das gilt auch für die moderne Existenz von Achtzellern in Petrischalen.

Kritische Perspektiven auf biomedizinische Verwertungslogiken sollten sich deshalb von jeglicher »substanzialistischer« Begründungsmoral verabschieden. Es kann nicht darum gehen, einem »falschen« Subjektbegriff den »richtigen« gegenüber zu stellen. Es geht darum zu skandalisieren, dass bestimmte Personen, Gruppen oder Institutionen die Macht haben, »Lebenswert« zu definieren.

Wer profitiert von welcher Technologie?

Viel entscheidender als die Frage, was »der Embryo« nun »wirklich« ist, scheint mir zu sein: Wer profitiert von welcher Technologie? Wer soll unter welchen Bedingungen das begehrte »Material« für die Forschung liefern? Welche Vorstellungen »werten Lebens« werden wie gesellschaftsfähig? Welche Krankheiten werden als forschungs- und therapierelevant definiert – und welche vernachlässigt? Wie fügt sich die Hochleistungs-Reproduktionsmedizin in den neoliberalen Umbau des Sozial- und Gesundheitssystems ein?

Diesen Fragen kann man sich nur bedingt stellen, wenn man den Fokus auf schützenswerte Substanzen richtet – seien diese nun »der Embryo« oder »der Frauenkörper«.

© Stefanie Graefe, 2003
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