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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist, redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Zum Wohle von PatientInnen?

  • Ethikkommissionen arbeiten höchst fragwürdig, doch ihre Gutachten sollen bald rechtsverbindlich sein

aus: BIOSKOP Nr. 25, März 2004, Seiten 8+9

Rot-Grün will klinische Prüfungen von Arzneimitteln erleichtern – vor allem, um die »Konkurrenzfähigkeit des Pharmastandorts Deutschland zu verbessern«. Dass der Schutz von ProbandInnen dabei nicht auf der Strecke bleibt, sollen so genannte »Ethikkommissionen« gewährleisten. Können sie das überhaupt?

Medizinische Versuche gehören hierzulande zum alltäglichen Forschungsgeschäft. Je nach Studienphase wirken zwischen zehn bis zu mehreren tausend Menschen mit. Am häufigsten getestet werden Arzneimittel, also Medikamente, Diagnostika, Impfstoffe, Sera. Klinisch geprüft werden auch Medizinprodukte wie Herzschrittmacher oder künstliche Gelenke; experimentiert wird mit neuen Operationsmethoden und Strahlenbehandlungen. Auf ProbandInnen hoffen auch Transplanteure und Reproduktionsmediziner, die bemüht sind, ihre Methoden zu optimieren. Und wissenschaftliches Neuland wird bei gentherapeutischen Versuchen betreten.

Testperson darf nur werden, wer zuvor »informiert eingewilligt« hat. MedizinerInnen, die klinische Versuche vornehmen oder mit persönlichen Daten von PatientInnen forschen wollen, müssen sich zuvor von einer Ethikkommission beraten lassen. Diese Gremien, eingerichtet bei Universitätskliniken und Landesärztekammern, sollen Nutzen und Risiken eines Forschungsvorhabens sorgfältig abwägen. »Klinische Prüfungen«, wollen PolitikerInnen wie der SPD-Gesundheitsexperte Horst Schmidbauer Glauben machen, »werden streng überwacht.« Dafür sorgen würden »Ethikkommissionen gemeinsam mit staatlichen Stellen«.

Fachleute sehen das differenzierter. Zum Beispiel Christian von Dewitz, Geschäftsführer der Ethikkommission des Berliner Universitätsklinikums Charité. Dem Gesundheitsausschuss des Bundestages schilderte der Jurist Ende Januar in einer Anhörung, was er im Alltag hinter verschlossenen Türen so alles erlebt. Rund 240 Forschungsvorhaben seien im Jahr zu begutachten. Pro beantragter Studie könnte sich die Kommission durchschnittlich gerade mal zwanzig Minuten Zeit nehmen. Dabei seien die ehrenamtlich tätigen Mitglieder – es handelt sich überwiegend um ÄrztInnen, PharmakologInnen und JuristInnen – längst nicht auf allen Gebieten der Medizin kompetent. Trotzdem verzichteten sie meist darauf, unabhängige ExpertInnen zu Rate zu ziehen. Von einer sachgerechten Entscheidung könne dann »aufrichtigerweise wohl kaum gesprochen werden«, meint von Dewitz. Obendrein seien viele Kommissionsmitglieder aus Universitäten einem erheblichen »Loyalitätsdruck« und »Interessenskonflikt» ausgesetzt: “Die meisten«, weiß von Dewitz, »sind selbst Forscher und direkte Kollegen der Antragsteller.«

Von alledem erfährt die Öffentlichkeit nichts: Strikte Geheimhaltung der Kommissionsarbeit, die von PolitikerInnen stillschweigend geduldet wird, schließt gesellschaftliche Einflussnahme und Kontrolle praktisch aus. Welche Versuche gebilligt und welche warum abgelehnt werden, wer Forschungsanträge gestellt hat und welche Pharmafirmen den WissenschaftlerInnen (neben den SteuerzahlerInnen!) finanziell unter die Arme greifen – darüber kann die Öffentlichkeit mangels Aufklärung allenfalls spekulieren.

  • Gemengelage mit ernsten Folgen

Dabei kann die Gemengelage aus Rücksichtnahmen und Überforderung ernste Folgen zeitigen: »Immer wieder«, schreibt von Dewitz, »kommt es zur Missachtung der Grund- und Schutzrechte von Prüfungsteilnehmern und in der Folge auch von Prüfärzten, Pharmafirmen und sonstigen Behörden.«

Angesichts solcher Zustände erscheint es schlüssig, dass die Kommissionsvoten bisher nicht mehr sind als Empfehlungen, denen die StudienleiterInnen zwar folgen sollten, aber keineswegs müssen. Mit solcher Unverbindlichkeit wird es allerdings vorbei sein, wenn der Bundestag tatsächlich beschließen sollte, was das Bundesgesundheitsministerium im Entwurf vorgelegt hat: das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (BT-Drucksache 15/2109). Mit der geplanten Reform, die auch fremdnützige Medikamententests mit kranken Menschen erstmals erlauben würde und voraussichtlich Ende März im Parlament zur Abstimmung steht, will Rot-Grün die Ärzteberatergremien nämlich mächtig aufwerten: zu einer »Patientenschutzinstitution mit Behördencharakter«.

Die Bewertungen zu beantragten Arzneiversuchen werden künftig rechtsverbindlich sein – und auch mit juristischen Mitteln anfechtbar. Sollten Testpersonen oder Pharmafirmen nachweisen können, dass ihnen in Folge eines mangelhaften Votums gesundheitliche oder finanzielle Schäden entstanden sind, drohen den Kommissionen und ihren Trägern Regressansprüche in mehrstelliger Millionenhöhe. Dabei stehen die GutachterInnen unter enormem Zeitdruck: Binnen maximal 60 Tagen müssen sie eine beantragte Studie verbindlich bewertet haben.

Bei solchen Perspektiven wird manchen ExpertInnen und Ärztekammern schon jetzt ein wenig mulmig. Vorauseilender Gehorsam gegenüber Arzneiherstellern, mit deren Rechtsabteilungen man sich lieber nicht anlegen möchte, dürfte wohl noch häufiger werden als bisher schon.

  • Strukturelle Defizite offen legen, Alternativen sorgfältig prüfen

Verantwortungsbewusst wäre es, endlich inne zu halten, strukturelle Defizite schonungslos offen zu legen und eine breite gesellschaftliche Diskussion über Sinn und Unsinn klinischer Versuche zu befördern. Wobei auch Interessen transparent gemacht werden müssten: ökonomische, forschungspolitische, karrierierebedingte. Außerdem wären Alternativen zu prüfen. Von Dewitz schlägt vor, die Kommissionsarbeit, die bisher eine reine »Feierabendveranstaltung« sei, zu professionalisieren. Den ehrenamtlichen Mitgliedern solle künftig ein ständiger und »kompetenter Mitarbeiterstab« aus JuristInnen und MedizinerInnen zur Seite gestellt werden. Um mehr Ausgewogenheit zu ermöglichen, müssten außeruniversitäre und pharmaunabhängige ExpertInnen in die Gutachtergremien berufen werden. Ihre Voten sollten veröffentlicht und externen Qualitätskontrollen unterzogen werden.

Dagegen plädierte der Berliner Arzt Johannes Spatz bereits vor Jahren dafür, Ethikkommissionen abzuschaffen. Statt dessen schwebt ihm vor, »Patientenschutzkommissionen« zu etablieren, in denen ausschließlich medizinische Laien sitzen, entsandt von Initiativen und Wohlfahrtsverbänden. ÄrztInnen und JuristInnen könnten ihren Sachverstand weiterhin beratend einbringen. Die Entscheidung aber, ob ein Versuch vertretbar sein soll oder nicht, würde laut Spatz-Modell allein das neue Laiengremium treffen – in öffentlichen Sitzungen.

Beide Ansätze sind nicht ohne Probleme und werfen reichlich Fragen auf. Sicher ist aber: Ethikkommissionen können nicht einfach weiter wursteln wie bisher, wenn sie ernsthaft dem Anspruch gerecht werden wollen, ProbandInnen vor gesundheitlichen Risiken zu bewahren.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2004
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