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Männerfreundschaften

An der Universität Göttingen gibt es seit Mitte 2008 das »Courant Forschungszentrum für Sozialverhalten«. Hier kooperieren MitarbeiterInnen der biologischen Faktualität und des Deutschen Primatenzentrums. Am 18. November 2010 veröffentlichte die Uni neue Forschungsergebnisse – Auszüge aus der Pressemitteilung:

»Wissenschaftler aus Göttingen und Leipzig haben herausgefunden, dass bei Makaken ein direkter Zusammenhang zwischen Männerfreundschaften und sozialem Erfolg besteht. Dr. Oliver Schülke und Prof. Dr. Julia Ostner vom Courant Forschungszentrum ,Evolution des Sozialverhaltens‘ der Universität Göttingen konnten erstmals zeigen, dass die Stärke der sozialen Bindungen, die ein Männchen in seiner Gruppe mit meist nicht verwandten Geschlechtsgenossen eingeht, Einfluss auf seinen sozialen Aufstieg und letztlich die Anzahl seiner Nachkommen hat.[…] Im thailändischen Naturschutzgebiet Phu Khieo Wildlife Sanctuary beobachten die Wissenschaftler seit 2005 eine Gruppe von 50 bis 60 Assam-Makaken. […]

Von ihren Ergebnissen erhoffen sich die Forscher auch Erkenntnisse über das menschliche Sozialverhalten. ,Zusammen mit anderen neueren Studien lassen unsere Ergebnisse darauf schließen, dass die engen Sozialkontakte von Menschen ihre evolutionären Wurzeln außerhalb von verwandtschaftlichen Beziehungen haben. Dies könnte erklären, warum der Verlust von Freundschaften oder sozialer Integration beim Menschen ernsthafte gesundheitliche Probleme zur Folge haben kann‘, so Dr. Schülke und Prof. Ostner.«




CHRISTINE ZUNKE, Philosophin an der Universität Oldenburg

Scheinbar vernünftig

  • Warum und für wen Sozialbiologismus so attraktiv ist

aus: BIOSKOP Nr. 56, Dezember 2011, Seiten 14+15

Der Biologismus als Erklärung von durch ein gesellschaftliches Machtgefälle hergestellten Differenzen lastet der Natur an, was der Mensch dem Menschen gewaltsam antut. Warum und für wen ist der Sozialbiologismus so attraktiv? Eine Analyse.

Im Januar 2009 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel mit der Überschrift: »Anleger sind wie Affen. Verhaltenstest mit Primaten belegen: Beim Thema Finanzen hat sich der Mensch über Millionen Jahre hinweg nicht entwickelt.« Dieser Artikel bezog sich auf ein Experiment, das von einem Team um Vernon L. Smith entwickelt und durchgeführt wurde. Smith hatte bereits 2002 den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten, und zwar »für den Einsatz von Laborexperimenten als Werkzeug in der empirischen ökonomischen Analyse, insbesondere in Studien unterschiedlicher Marktmechanismen«.

Sein neues Experiment diente dazu, die Mechanismen zu erklären, welche zur Finanzkrise geführt haben. Hierfür wurde Kapuzineräffchen zunächst beigebracht, dass sie vom netten Wissenschaftler ein Apfelstückchen bekommen, wenn sie ihm eine Münze geben. Derart in die kapitalistischen Marktgesetze eingeführt, wurden die Handelsbedingungen verändert: Ein zweiter Kiosk wurde im Labor eröffnet, in dem ein anderer Forscher seine Apfelstückchen feilbot.

Die psychologisch ambitionierten Ökonomen schlussfolgerten, dass Affen sich in Bezug auf Finanzen nicht rational verhalten.

In dem einen Kiosk wurde den Äffchen ein Apfelstück gezeigt, und wenn sie dann ihre Münze hergaben, bekamen sie jedes zweite Mal noch ein Apfelstückchen extra. Im anderen Kiosk war es umgekehrt: Den Affen wurden immer zwei Apfelstückchen gezeigt, aber bei jedem zweiten Handel wurde ihnen nur eines ausgehändigt. Im Resultat gab es also an jeder Verkaufsstelle gleich viel Apfel fürs Geld, aber die Affen behandelten die Kioske nicht gleich, sondern bevorzugten den Bonus-Kiosk. Die psychologisch ambitionierten Ökonomen schlussfolgerten hieraus, dass Affen sich in Bezug auf Finanzen nicht rational verhalten – genauso wie die Anleger, die mit ihren Aktien in Finanzkrisen rasseln, weil sie zum falschen Zeitpunkt kaufen und nicht zum richtigen Zeitpunkt verkaufen.

Erschreckend ist die Selbstverständlichkeit, mit der jedwede gesellschaftlichen Phänomene biologisiert werden.

An der Durchführung und Interpretation dieses Experimentes ist Vieles erschreckend. Etwa die völlige Unkenntnis der ökonomischen Gesetze des Kapitalismus bei führenden Wirtschaftswissenschaftlern, oder dass man Forscher dafür bezahlt, dass sie Affen behumpsen. Doch noch erschreckender ist die Selbstverständlichkeit, mit der jedwede gesellschaftlichen Phänomene biologisiert werden. Menschliche Handlungsstrukturen auf eine evolutionäre Ursache zurückzuführen, erscheint heute fast banal. Ob es die sich mittlerweile in Bestsellern manifestierende Geschlechtsdifferenz im Zuhören und Einparken ist, oder die von Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin wieder populär gemachte, ethnisch vererbte Differenz im Intelligenzquotienten (IQ).

Seit Darwin hat sich das Menschenbild gewaltig verändert.

Wie kritisch auch immer mensch diesen Zuschreibungen im Einzelnen gegenübersteht – dass wir grundsätzlich Verhaltensweisen, Talente, Intelligenz etc. zumindest in Teilen ererbt haben, das bestreitet heute kaum jemand. Denn seit Darwin hat sich das Menschenbild gewaltig verändert. Der Mensch ist nicht mehr wesentlich als animal rationale qualitativ von der Tierwelt getrennt, sondern erhält als homo sapiens sapiens seinen Platz unter den Säugetieren. Durch die Entwicklung seiner Greifhand mit opponierbarem Daumen und seines stark strukturierten Großhirns entstand, so die evolutionstheoretisch inspirierte Spekulation, sukzessive die Besonderheit des menschlichen Denkens, das in schlichteren Ansätzen aber auch bei diversen Tieren zu finden sei. Und während die Forschung auf der einen Seite per Spiegeltest den Grad des Selbstbewusstseins von Schimpansen, Delfinen, neukaledonischen Krähen und Goldfischen misst und kapitalistische Marktgesetze im Verhalten der Affen erklärt findet, ist es nur konsequent, dass auf der anderen Seite der unterschiedliche Grad der Intelligenz biologisch zu differenzierender Menschengruppen erforscht wird.

Was ist es, das den Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn, Frau und Mann, Kriminellen und Verantwortungsbewussten, Weißen und Schwarzen ausmacht? Diese Fragen setzen voraus, was angeblich nicht weiter erklärt werden muss, weil es ein Allgemeinplatz ist: Es gibt Unterschiede im Verhalten und darum vermutlich auch in Art und Ausprägung des Denkvermögens, die diesen gesellschaftlich bereits als differierend vorgefundenen Gruppen im statistischen Durchschnitt zukommen und sie von vornherein als verschiedene Untersuchungsobjekte erscheinen lassen.

Der positive Rassismus spricht nicht mehr von Rassen, sondern lieber von Ethnien.

Für heutige Sozial- und NaturwissenschaftlerInnen ist es zwar selbstverständlich, ohne Wertung und Vorurteile arbeiten zu wollen – die emotionale Intelligenz der Frau sei ebenso wertvoll für den Arbeitsmarkt, wie die systematische Intelligenz des Mannes (auch wenn die Berufe, welche die weibliche Begabung erfordern, traditionell in den Niedriglohnsektor fallen), und der positive Rassismus spricht nicht mehr von Rassen, sondern lieber von Ethnien.

Doch da es gesellschaftliche Diskriminierung war und ist, durch welche die zu untersuchenden Gruppierungen von Menschen sich konstituieren, wird jede Untersuchungsmethode, die dies nicht reflektiert, die zugrundeliegende Diskriminierung weitertragen. Auch in der angeblich wertfreien Darstellung bloßer Unterschiede kann der mangelhaft pigmentierte Mensch (bzw. Mann) besser abstrakt denken als der gut pigmentierte, weshalb das Reden von Ethnien anstelle von Rassen oder Unterarten der Sache nach bloß eine Verschiebung ist, die im Kern ebenso rassistisch ist – wenn auch oft weniger tödlich, was praktisch eine große Differenz ausmacht – wie jene Theorien, die sich sprachlich auf Rassen bezogen haben oder noch beziehen. Da hier beispielhaft nur illustriert werden soll, was am Rassismus wesentlich biologistisch ist, ist im Folgenden ganz plakativ von ‘Schwarzen’ und ‘Weißen’ die Rede – nicht zuletzt deshalb, weil im Rassismus gerade die Nähe zum Tier und der Abfall des rationalen Denkens sich klassischerweise am Grad der Pigmentierung orientiert.

Wenn Sarrazin behauptet, die Intelligenz sei vermutlich zu 80 Prozent erblich und es gäbe hier Differenzen zwischen verschiedenen Ethnien, so befindet er sich in respektabler Gesellschaft.

Wenn Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin ohne weitere Argumente behauptet, die Intelligenz sei vermutlich zu 80 Prozent erblich und es gäbe hier Differenzen zwischen verschiedenen Ethnien, so befindet er sich in respektabler Gesellschaft. 2007 machte beispielsweise James Watson, einer der Entdecker der Doppelhelixstruktur der DNA, mit einer neu formulierten und durch empirische Daten gut gestützten Rassenintelligenztheorie von sich reden. Für Aufregung sorgte nicht seine Feststellung, dass Schwarze im Durchschnitt einen geringeren IQ haben als Weiße – denn das wird in vergleichenden Studien in den USA seit Beginn der Intelligenzforschung regelmäßig festgestellt, auch wenn die Schwarzen in den letzten Jahrzehnten stark aufholen konnten –, sondern seine daraus folgende Prognose, dass er »für die Zukunft Afrikas schwarz sehe«, da der Kontinent offenbar ohne »Denkhilfe« von Weißen seit dem Ende des Kolonialismus zunehmend in Krieg und Armut versinke, weil die Bevölkerung nicht über die intellektuellen Fähigkeiten verfüge, hieran selbstständig etwas zu ändern.

Die als biologische Größe deklarierte Eigenschaft ‘Intelligenz’ lässt sich zwar punktgenau messen, aber offenbar nur schwer definieren.

Wer solchen biologisch argumentierenden, statistisch abgesicherten und dabei sogar noch wohlmeinend daher kommenden Rassismus kritisieren will, muss bei den vorausgesetzten Bedingungen anfangen. Zum Beispiel bei der Frage, was Intelligenz eigentlich ist. Diese als biologische Größe deklarierte Eigenschaft lässt sich zwar punktgenau messen, aber offenbar nur schwer definieren – zumal sie historisch ihre Gestalt wechselt und sich zudem in den letzten Jahren zunehmend aufspaltet: In emotionale-, kognitive-, systematische-, kreative Intelligenz und viele ungenannte mehr.

Dass es zur Zeit der Industriellen Revolution in Europa in anderen Gegenden der Welt nicht einmal manufakturelle Arbeitsteilung in größerem Umfang gab, hatte auch Folgen für das Bewusstsein des typischen Europäers: der Inhalt der Bildung, die Eingrenzung auf Naturwissenschaft mit dem Fokus auf Naturbeherrschung etc. Entsprechend ist dasjenige geprägt, was ‘Intelligenz’ ausmacht. Gewaltsam durchgesetzte rassistische Arbeitsteilung und eine sich hieran bildende ethnische Identität führte dann dazu, dass die empirischen Untersuchungen zur Intelligenz die rassistische Realität spiegeln. Weil der Rassismus wirklich ist, darum ist die empirische Differenz in einer – unter bestimmten Bedingungen definierten – Intelligenz auch wirklich; denn in einer rassistischen Welt sind Schwarze wirklich ‘anders’ als Weiße (und nicht umgekehrt; dies schließt der Rassismus ein). Darum erscheint die Biologisierung rassistischer Differenzen so plausibel, weil sie auf ein tatsächlich empirisch differenziertes Material trifft und geeignet scheint, diese wirkliche Differenz ahistorisch (und darum ‘objektiv’) zu erklären. Einzelne Abweichungen gelten als Ausnahmen an den Rändern der statistischen Verteilung.

Die Natur ist jenseits jeder moralischen Beurteilung; darum spricht der Biologismus uns von einer gesellschaftlichen Verantwortung frei.

Der Biologismus als Erklärung von durch ein gesellschaftliches Machtgefälle hergestellten Differenzen ist so attraktiv, weil er der Natur das anlastet, was der Mensch dem Menschen gewaltsam antut. Die Natur ist jenseits jeder moralischen Beurteilung; darum spricht der Biologismus uns von einer gesellschaftlichen Verantwortung frei – für Rassismus, für Sexismus, für Jugendkriminalität oder für die Finanzkrise seien Mechanismen verantwortlich, die sich prinzipiell unserer Kontrolle entziehen. Denn für alle diese Phänomene lassen sich analoge Verhaltensweisen im Tierreich finden. Wenn aber die Natur den Grund der Differenz gesetzt hat, dann können wir niemals mehr tun, als politisch korrekt damit umgehen: Die ‘Schwarzen’ für ihre gute Musik bewundern, während die ‘Weißen’ in Führungspositionen wirtschaftliche und politische Probleme der Welt – natürlich auch in Afrika – lösen.

Es wird wohl Zeit, den Begriff der Gesellschaft wieder aus der Mottenkiste zu holen, damit wir in Zukunft noch Wissenschaflter und Kapuzineräffchen auseinander halten können.

© Christine Zunke, 2011
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