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»Digitale Herrschaft«

heißt das neue Buch von Markus Jansen, das Mitte 2015 im Stuttgarter Schmetterling-Verlag erschienen ist. Der Autor beschreibt auf über 300 Seiten die gesellschaftliche Bedrohung durch umfassende Digitalisierung und analysiert anschaulich, wie Transhumanismus und synthetische Biologie »das Leben neu definieren«. Jansen problematisiert die Macht von Suchmaschinen und Datenbanken, beleuchtet die Funktion sozialer Netzwerke sowie neuartige Formen der Kontrolle und Überwachung im vernetzten Alltag. Und er gibt aufschlussreiche Einblicke in die tiefenwirksame Digitalisierung des Lebens in Biologie und Medizin.
Pioniere der Synthetischen Biologie, die anstrebt, eine der führenden Wissenschaften des 21. Jahrhunderts zu werden, definieren »Leben« im digitalen Code von Eins und Null – Organismen sollen nichts anderes sein als »Informations-maschinen«. Langfristig drohe, so die These des Berliner Philosophen, »eine grundlegende Manipulation der Natur im Rahmen technologischer und computergestützter Eingriffe in die Evolution«. Dagegen plädiert Markus Jansen für eine grundlegende Korrektur des Verhältnisses zur Technik und zur Natur, die in neuen Gemeinschaften, autarken Inseln der Vielfalt und Freiheit einen Ausdruck finden könnte.
BioSkop meint:

Absolut lesenswert!


Nachholbedarf?

»In der Sicherheits-forschung werden im Bereich der Synthetischen Biologie von der Bundesregierung keine Projekte gefördert.«

Auskunft des Bundesministeriums für Forschung vom 22. März 2011 (Drucksache 17/5165) auf eine Anfrage von SPD-Abgeordneten. Eine Parlamentariergruppe um René Röspel wollte unter anderem erfahren, wie viel Geld die Bundesregierung in den Jahren 2005 bis 2011 für Sicherheitsforschung im Bereich der Synthetischen Biologie ausgegeben hatte.

Regulieren und kontrollieren

Der Ausschuss für Forschung und Technikfolgen-abschätzung im Bundestag veranstaltete im November 2012 ein Fachgespräch »zum Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungs-ergebnissen«. In einer schriftlichen Stellungnahme erinnerte das Gen-ethische Netzwerk (GeN) an seinen mahnenden »Offenen Brief«, den es gemeinsam mit dem Verein Testbiotech an Bundeskanzlerin Angela Merkel geschickt hatte:
»Wir sind sehr besorgt über die ungenügende Regulierung der Synthetischen Biologie sowohl in Deutschland als auch im internationalen Kontext. Die Möglichkeiten zur künstlichen Synthetisierung von Erbsubstanz (DNA) haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Inzwischen lassen sich auch gefährliche Krankheitserreger synthetisch herstellen.

Gemeinsamer Aufruf

Bislang gibt es keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen zur Überwachung der Labore, die über entsprechende Technologien verfügen. In einem gemeinsamen Aufruf mit anderen Verbänden und Initiativen haben wir uns deswegen für entsprechende Richtlinien eingesetzt. Im September 2011 wurden dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dazu knapp 10.000 Unterschriften übergeben”:http://www.testbiotech.de/node/538.
In dem Aufruf heißt es: »Die Unterzeichner fordern (…) die Erfassung und laufende Kontrolle der Firmen und Forschungs-einrichtungen, die Gene oder Organismen synthetisieren oder diese verwenden, um beispielsweise der Produktion gefährlicher Krankheitserreger und Biowaffen vorzubeugen.«



MARKUS JANSEN, Kulturwissenschaftler

Digitales Leben

  • Über Ansprüche und Risiken der »Synthetischen Biologie«

aus: BIOSKOP Nr. 62, Juni 2013, Seiten 14+15

Schon immer träumen Menschen von der Erzeugung »neuen Lebens«, um damit den Tod respektive die Angst vor diesem zu überwinden. Im 21. Jahrhundert nun sind die technologischen Möglichkeiten und die Ansprüche der Biologie so weit gerüstet, dass dieser Traum verwirklicht werden könnte. Die »Synthetische Biologie« schickt sich an, künstliche Organismen herzustellen.

»Das spezifische Merkmal der Synthetischen Biologie ist, dass sie biologische Systeme wesentlich verändert und gegebenenfalls mit chemisch synthetisierten Komponenten zu neuen Einheiten kombiniert. Dabei können Eigenschaften entstehen, wie sie in natürlich vorkommenden Organismen bisher nicht bekannt sind.« Die prägnante Definition steht in einem Positionspapier vom Juli 2009, verfasst von drei einflussreichen Wissenschaftsorganisationen: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Akademie der Technikwissenschaften acatec.

Die Ziele der Forscher gehen über die »klassische« Gentechnik entscheidend hinaus: Während diese »nur« einzelne DNA-Sequenzen manipuliert, um zum Beispiel Nutzpflanzen resistent gegen bestimmte »Schädlinge« zu machen, liegt der Ansatz der Synthetischen Biologie in der gezielten Herstellung vollkommen neuer Organismen. Dazu wird das gesamte Genom eines Organismus verändert bzw. ein komplett neues Genom im Labor »designt«.

Der Erste, der behauptete, »neues Leben« geschaffen zu haben, war der amerikanische Biochemiker Craig Venter.

Die Synthetische Biologie bedient sich dabei Verfahren aus der Informationstechnologie und Prinzipien der Ingenieurswissenschaften. Sie greift zur Herstellung neuer Organismen auf standardisierte »Grundbausteine des Lebens« zurück, sogenannte »Biobricks«, die mehr oder weniger frei kombiniert werden können bzw. sollen und so einen neuen Organismus ergeben. Biobricks können natürlichen Ursprungs sein, wie etwa Aminosäuren, oder synthetisch erzeugt werden.

Der Erste, der behauptete, »neues Leben« geschaffen zu haben, war der amerikanische Biochemiker Craig Venter. Dessen privates Biotech-Unternehmen Celera hatte bereits um die Jahrtausendwende staatlich finanzierten Wissenschaftlern einen harten Wettkampf um die »Entschlüsselung« des humanen Genoms geliefert. 2010 nun verkündete Venter in einer US-Wissenschaftszeitschrift, dass es ihm und seinen Mitarbeitern gelungen sei, ein 1,08 Millionen Basenpaar großes Bakterien-Genom »designt, synthetisiert und zusammengeführt« zu haben – und zwar in das von ihm so genannte Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0-Genom, das anschließend in eine Rezipientenzelle transplantiert wurde, um neue M.mycoides-Zellen zu erzeugen. »JCVI« steht für J. Craig Venter Institute, das seinen Anspruch auf die ökonomische Verwertung dieses Genoms diesem bereits in seinen Namen, als »genetisches Wasserzeichen«, einschrieb.

Von einem vollkommen neuen Organismus kann noch nicht die Rede sein.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass Venter noch kein »neues Leben« erzeugt hat. Tatsächlich hat sein Team ein längst existierendes, »natürliches« Genom – das des Bakteriums Mycoplasma mycoides, der Erreger einer Lungenkrankheit bei Rindern – synthetisch im Labor nachgebaut, mit dem JCVI-Wasserzeichen versehen und einer von der eigenen DNA befreiten Zelle eines anderen Bakteriums, Mycoplasma capricolum, eingesetzt. Von einem vollkommen neuen Organismus kann also noch nicht die Rede sein.

Mit »subgenomischen Elementen« beliefert wurde das J. Craig Venter Institute für diese Arbeit auch von der Regensburger Biotech-Firma GeneArt, die als Weltmarktführer in der Herstellung von Schlüsseltechnologien für die Synthetische Biologie gilt. GeneArt bietet »maßgeschneiderte Gensynthese & Dienstleistungen« an, etwa das »zielgerichtete Design von Genvarianten und Genbibliotheken basierend auf einem optimierten Mastergen«. 2010 wurde die deutsche Firma vom US-Biotech-Riesen Life Technologies (Umsatz 2012: 3,8 Milliarden US-Dollar) aufgekauft.

In Europa gibt es Gemeinden von Do-it-yourself-Biologen unter anderem in London, Paris und Prag.

Die Synthetische Biologie wird allerdings nicht nur von profitorientierten Unternehmen betrieben, sondern auch von einer neuen Subkultur, den sogenannten »Biohackern«, die auf eigene Faust und mit geringem finanziellen Budget agieren. Ein zentraler Anlaufpunkt im Internet für diese Do-it-yourself-Biologen ist die Adresse www.diybio.org, die seit 2008 eine Informations- und Vernetzungs-Plattform anbietet. _DIYbio.org: verlinkt zu lokalen Gruppen weltweit, in Europa gibt es Gemeinden von Do-it-yourself-Biologen unter anderem in London, Paris und Prag – in Deutschland existiert bislang noch keine solche Gruppe. Die Biohacker von BioCurious.org aus dem kalifornischen Sunnyvale wollen jüngst aus einem handelsüblichen Drucker der Firma Hewlett-Packard einen »Bio-Drucker« gemacht haben, der fluoreszierende Bakterien herstellen kann.

Nachwuchs erhält die akademische Szene der Synthetischen Biologen vor allem aus dem jährlich stattfindenden iGEM-Wettbewerb (International Genetically Engineered Machine Competition). Ursprünglich 2003 am MIT (Massachusetts Institute of Technology) entstanden, ist der internationale Wettbewerb mittlerweile in eine unabhängige »Non-Profit-Organisation« überführt worden. Studentischen Teams wird eine bestimmte Anzahl von Biobricks aus dem »Registry of Standard Biological Parts«, eine zentrale Biobrick-Datenbank, überlassen, die mit von den Teams selbst hergestellten Biobricks zu einem neuen »biologischen System« zusammengesetzt und in eine lebende Zelle eingebaut werden müssen. 2012 waren Studierende aus Bielefeld, Bonn, Darmstadt, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Potsdam und Tübingen mit am Start. Platz vier belegte eine Gruppe der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität mit einer biologischen Manipulation des Bacillus subtilis.

»Leben« wird in der Ideologie der Synthetischen Biologie auf digitale Information reduziert.

Die globalen, kulturübergreifenden Paradigmen der Informationsgesellschaften des 21. Jahrhunderts sind »Programm«, »Software« und »Code«, also digitale Welterzeugungs- und beschreibungsmodelle, die auf Veränderbarkeit, Optimierung und Zugriffsmöglichkeit abstellen. Der »biologische Code« der vier Basen aus dem die DNA besteht, Adenin (A), Cytosin ©, Guanin (G) und Thymin (T), wird von den Synthetischen Biologen mit der Programmierbarkeit des digitalen Codes gleichgesetzt. So ist es auch gemeint, wenn Craig Venter in seiner Autobiografie Entschlüsselt. Mein Genom, mein Leben in Bezug auf seine Versuche, künstliches Leben herzustellen, von einem »Minimalbetriebssystem für das Leben« spricht – die minimal verfügbare Anzahl von Genen, damit ein Organismus »funktionieren«, also leben kann. Venter möchte »in eine neue Phase der Evolution [vordringen] bis hin zu dem Tag, an dem eine auf DNA basierende Spezies sich an einen Computer setzen und eine andere entwerfen kann. Das möchte ich zeigen: Die Software des Lebens verstehen wir erst dann völlig, wenn wir echtes künstliches Leben erzeugen.«

»Leben« wird in der Ideologie der Synthetischen Biologie auf digitale Information reduziert, die »Natur« auf den Status eines Systems bzw. einer Maschine, die ein beliebig eingelegtes Programm abspult. Die biologischen Grundbausteine des Lebens, die vier Basen, und die Grundbausteine der (digitalen) Welt, Einsen und Nullen, sind die in einander konvertierbaren Verrechnungseinheiten der Synthetischen Biologie. Dabei wird das Genom als Software, als Programm handhabbar gemacht, das in eine beliebig von eigener DNA entkernte Zelle, also die Hardware, eingesetzt werden kann.

Was wird passieren, wenn künstlich hergestellte Organismen in die Umwelt entlassen werden?

Bei dem Begriff »Digitales Leben« handelt es sich bezeichnenderweise um eine Metapher. Ein zentrales Element aus dem Bereich des Biologischen (DNA) wird sprachlich in einen anderen Bereich (digitale Information) übertragen. Beide Bereiche haben aber – unabhängig von der sprachlichen Übertragung bzw. Gleichsetzung – nichts miteinander gemein: Biologie ist die Wissenschaft vom Leben, und Information ist das Tote schlechthin. Die Metaphorisierung von DNA als Information ist eine wichtige Strategie, um die Natur bzw. das »Leben« instrumentalisierbar, operationalisierbar, ausbeutbar zu machen. Von dieser Schlüsselmetapher des »Digitalen Lebens« her bezieht die Synthetische Biologie ihre Dynamik und ihre Anschlussfähigkeit an die große Erzählung unserer Zeit: die Steuer- und Optimierbarkeit von Informationssystemen jeglicher Art.

Die Synthetischen Biologen scheinen in ihrem Technik- und Fortschrittsoptimismus über die engeren und weiteren Dimensionen ihrer Utopie in keiner Weise reflektiert zu haben. Nicht zuletzt ist sie, ungeachtet der Kluft zwischen narzisstischer Selbstinszenierung und tatsächlicher Forschungspraxis, eine gefährliche Risikotechnologie, von der niemand auch nur annähernd sagen kann, welche Langzeitfolgen sich daraus ergeben können und werden: Was wird passieren, wenn künstlich hergestellte Organismen in die Umwelt entlassen werden, zum Beispiel speziell zur »Schädlingsvernichtung« erzeugte Insekten, die dann in die Nahrungskette von anderen Tieren und dann auch des Menschen gelangen können? Welche Auswirkungen hat die Synthetische Biologie auf die ökologischen Systeme der Erde? Wird es so etwas wie eine biologische Verschmutzung durch synthetische Organismen geben? Wie ist die Gefahr von neuartigen Bio-Waffen einzuschätzen, die sich mit geringem intellektuellen und finanziellen Aufwand herstellen ließen?

Wer den Tod vernichten will, und sei es auch nur symbolisch, vernichtet auch das Leben selbst, da Leben und Tod absolut eins sind.

Eingebettet ist die kommerzielle Verwertungsabsicht in Form der Patentierung und Vermarktung »designter« Genome und Organismen in ein zerstörerisches und verantwortungsloses Wachstumsdenken, das keine Grenzen – seien sie ethische, biologische oder ökonomische – anerkennt. Noch hinter der ökonomischen Verwertung allerdings steckt als Antrieb der Synthetischen Biologie die menschliche Urangst schlechthin: Die quälende Angst vor dem Tod und der Traum, sie mittels Technik überwinden und die Unsterblichkeit erlangen zu können.

So ist es kein Zufall, dass die dänische Wissenschaftsjournalistin Lone Frank, die freiwillig ihr Genom sequenzieren ließ, in ihrem Buch Mein wundervolles Genom über die Genomanalyse schreibt: »In gewisser Weise spenden wir damit unsere Körper der Wissenschaft. Nur passiert es in diesem Fall vor dem Tod, und wir haben die Möglichkeit, den Forschern dabei zuzusehen, wie sie uns im höheren Interesse auseinandernehmen. Es ist eine kleine Dosis Unsterblichkeit.«

Was den Synthetischen Biologen, neben den Kurzzeit- und Langzeitrisiken, ebenfalls entgangen zu sein scheint, ist nun aber dieses: Wer den Tod vernichten will, und sei es auch nur symbolisch, vernichtet auch das Leben selbst, da Leben und Tod absolut eins sind.

© Markus Jansen, 2013
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