Rot-Grüne Hilfen
Biotechnologie hat Zukunft – meint jedenfalls die Bundesregierung. Wie SPD und Grüne den »Biotechnologie- Standort Deutschland« gemeinsam fördern wollen, steht auf Seite 16 der Koalitionsvereinbarung, die sie am 16.10.2002 feierlich besiegelt haben. Die Passage im Wortlaut:
»Dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten erfordert eine Spitzenposition bei Zukunftstechnologien. Ein dynamischer, zukunftsgerichteter Unternehmenssektor ist nicht nur Garant für neue Arbeitsplätze und wirtschaftliches Wachstum, sondern trägt auch mit immer neuen Produkten zur besseren Befriedigung der Verbraucherwünsche bei. Wir werden deshalb eine umfassende und konsistente, ethisch verantwortbare Biotechnologie-Strategie entwickeln, um das Potenzial der Biotechnologie zu nutzen und die Wettbewerbsfähigkeit des Biotechnologiestandortes Deutschland zu sichern und auszubauen. Wichtige Elemente sind dabei Maßnahmen auf den Feldern Forschungsförderung, Technologietransfer und Ausbildung, Eigenkapitalförderung einschließlich der Schaffung eines neuen Fonds für Anschlussfinanzierungen, rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen, internationale Zusammenarbeit, gesellschaftlicher Dialog.«
KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP
Staatliche Unterstützung erwünscht
- Deutschlands Biotechnologieunternehmen rufen mal wieder nach besseren politischen Rahmenbedingungen
aus: BIOSKOP Nr. 20, Dezember 2002, Seiten 8+9
Wirtschaft, Politik und Medien stilisieren Bio- und Gentechnik gern zu »Schlüssel- und Zukunftstechnologien«, die Garanten für kräftiges Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze sein sollen. Bisher ist die Ertragslage der Biotechbranche allerdings bescheiden bis hoch defizitär, weshalb sie einmal mehr nach besseren politischen Rahmenbedingungen ruft. Die rot-grüne Bundesregierung hört gern drauf und will ihren Förderbeitrag leisten – für eine Zukunft, die viele Firmen nicht mehr erleben werden.
Anfang Mai, kurz vor der heißen Phase des Wahlkampfes, verbreitete Edelgard Bulmahn Erfolgsmeldungen: »Deutschland«, jubelte die Forschungsministerin, »hat seinen Spitzenplatz in der Biotechnologie in Europa weiter ausbauen können.” Die SPD-Ministerin freute sich demonstrativ über den druckfrischen Biotechnologie- Report namens »Neue Chancen«, erstellt von der Unternehmensberatung Ernst & Young. Der Bericht zeichnet ein schönes Bild von der noch jungen Branche, die sich seit Mitte der 90er Jahre bemüht, Arzneimittel, Gentests und Gewebeersatzstoffe mit bio- und gentechnischen Methoden zu entwickeln, außerdem auch genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel.
Beeindrucken sollen schon die Statistiken: Laut Ernst & Young ist die Zahl der mittelständischen Biotechfirmen im Jahr 2001 auf 365 gestiegen, binnen drei Jahren habe es 86 Neugründungen gegeben. Die kleinen und mittleren Unternehmen beschäftigten 2001 insgesamt 14.408 Menschen und damit 35 Prozent mehr als 2000; der Umsatz (nicht der Gewinn!) sei um ein Drittel gewachsen, auf rund eine Milliarde Euro. Für Forschung und Entwicklung hätten die Unternehmen 2001 dreimal so viel ausgegeben wie 1999, nämlich 1,23 Milliarden Euro. »Die Innovationspolitik der rot-grünen Bundesregierung«, bilanzierte Bulmahn stolz, »hat eine ungeheure Dynamik für zukunftsfähige Arbeitsplätze im Bereich der Bio- und Gentechnologie in Gang gebracht«; zwischen 2001 und 2004 werde das staatliche »Rahmenprogramm Biotechnologie« insgesamt 860 Millionen Euro an Fördermitteln vergeben haben
Inzwischen lesen sich die Berichte über die Biotechbranche ganz anders, seit Monaten jagt hierzulande eine unangenehme Nachricht die nächste (übrigens auch in den USA). Viele Firmen mussten öffentlich ihre Umsatzerwartungen nach unten und ihre Verlustschätzungen nach oben korrigieren, darunter bekanntere Namen wie die Aktiengesellschaften MediGene, Morphosys und MWG Biotech. Auch Insolvenzen und Entlassungen gehören längst zur Realität der visionären Branche. Kurzum: Biotech schreibt fast durchgängig rote Zahlen. Und vielen der kleineren Unternehmen – vier von fünf beschäftigen weniger als 80 MitarbeiterInnen – fehlt auch die Perspektive, am Kapitalmarkt überhaupt Geld locker machen zu können.
- »Konsolidierung« der Branche
An der Börse sind ohnehin nur wenige deutsche Biotechfirmen notiert, und diejenigen, die ihre Aktien dort feil bieten, mussten seit Jahresbeginn fast einhellig deutliche Kursverluste hinnehmen, teilweise um mehr als fünfzig Prozent. Weil ihnen das Kapital fehlt, haben viele Hoffnungsträger inzwischen ihre Aussichten begraben müssen, mit einem eigenen Knüller- Medikament doch noch irgendwann das ganz große Geld machen zu können: Sie sind schlicht gezwungen, auf die teure Entwicklung eigener Produkte zu verzichten und können statt dessen froh sein, wenn sie finanzstarke Pharmaunternehmen finden, an die sie vermeintlich innovative Forschungsprojekte frühzeitig auslizensieren dürfen. Diese aus der Not geborene Strategie ist für KapitalgeberInnen aber wenig attraktiv. »Viele Investoren erwarten gerade eine eigene Forschung, weil damit Geld verdient werden kann«, erläuterte Analyst Alexander Burger von der Landesbank Baden-Württemberg im November der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Angesichts solcher Stimmungsdämpfer kann man über Bulmahns zur Schau gestellten Optimismus nur staunen: »Schätzungen hätten ergeben«, verlautbarte eine Pressemitteilung aus dem Bundesforschungsministerium noch im Mai, »dass sich die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der Biotechnologie innerhalb von sieben bis zehn Jahren verfünffachen wird.” Die jungen Biotechnologie-Unternehmen seien dabei, »sich fest am Markt zu etablieren«.
Von »Konsolidierung« der Branche spricht auch Professor Peter Stadler, Vorsitzender der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) und Geschäftsführer der Artemis Pharmaceuticals GmbH. Die beschäftigungspolitischen Effekte dürften allerdings weder im Sinne der rot-grünen Bundesregierung noch der Biotech-Belegschaften sein, sollte Stadler mit seiner Prognose tatsächlich Recht behalten: »Wir werden im kommenden Jahr die ersten spektakulären Zusammenschlüsse in Deutschland sehen«, orakelte er im November in der FAZ.
- »Handlungsnotwendigkeiten«
Dessen ungeachtet hat die DIB, die als Interessenvertretung von über 200 Mitgliedsfirmen agiert, kurz vor der Bundestagswahl ihren Wunschkatalog vorgelegt. Das Papier mahnt eine konsistente »Biotechnologie-Strategie« an, streicht das Potenzial der Gentechnik heraus und benennt politische »Handlungsnotwendigkeiten« im Sinne der Branche. Lang ist die Wunschliste, hier nur einige wenige Auszüge: Die Politik wird aufgefordert, endlich die europäische Biopatentrichtlinie umzusetzen, für eine »Beschleunigung und Straffung« der Arzneimittel- Zulassungsverfahren zu sorgen und die rechtlichen Rahmenbedingungen für den »Anbau gentechnisch verbesserter Pflanzen« weiter zu optimieren. Zudem erhofft sich die Industrievereinigung die »Stärkung der Spitzenforschung im weltweiten Wettbewerb« auch an staatlichen Universitäten, denn ein gut ausgebildeter wissenschaftlicher Nachwuchs kann auch privaten Unternehmen nützen. Und natürlich fehlen auch die üblichen Forderungen nach Steuervergünstigungen und verbesserter Eigenkapitalförderung nicht. Außerdem ist dem DIB der »öffentliche Diskurs« wichtig. »Ein Rückhalt in der Öffentlichkeit ist entscheidend für die Nutzung der Potenziale der Bio- und Gentechnik.« Zu diesem Zweck sei es notwendig, »die Ergebnisse der Sicherheitsforschung auf nationaler und internationaler Ebene stärker der breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen«. Und intensiviert werden müsse auch der Kontakt zwischen Forschung, Industrie und Öffentlichkeit, »gute Beispiele« seien Kampagnen wie das 2001 vom Bundesforschungsministerium ausgerufene »Jahr der Lebenswissenschaften«.
Nicht nur die Erfahrungen der vergangenen Legislaturperiode sprechen dafür, dass die Biotechbranche weiterhin reichlich Gehör bei SPD und Grünen finden wird. Mut machen wird ihr auch die Koalitionsvereinbarung; sie liest sich, was Förderung von »Biotechnologie« betrifft, weitgehend wie das Strategiepapier der Industrievereinigung. Welche Pleiten damit programmiert werden, ist eine latent spannende Frage. Antworten wird es in naher Zukunft reichlich geben.
© Klaus-Peter Görlitzer, 2002
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