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VOLKER LEHMANN, Journalist und Politikwissenschaftler

Platzende Biotechnologie-Blasen

  • In den USA stecken viele Biotechologiefirmen in der Krise, und das Vertrauen der KapitalgeberInnen schwindet

aus: BIOSKOP Nr. 20, Dezember 2002, Seiten 10+11

Firmenskandale und die noch immer nicht erfüllten Träume der »genetischen Revolution« bestimmen momentan das Bild der US-amerikanischen Biotechnologie- Branche. Ob sich das in Zukunft ändern wird, hängt von der pharmazeutischen Industrie und dem Vertrauen der KapitalgeberInnen ab.

Der Arzneimittelmarkt in den USA strotzt nur so vor Superlativen. Er ist der Grösste: Hier werden jährlich Umsätze von 150 Milliarden Dollar erzielt, die Hälfte des Weltmarktes. Gleichzeitig ist er der Teuerste: Medikamente kosten in den Vereinigten Staaten 25 Prozent mehr als in Europa. Und so ist der US-Markt auch der Profitabelste: Pharmahersteller konnten ihre AnteilseignerInnen über Jahre mit zweistelligen Zuwachsraten bei Profiten und Börsenkursnotierungen beglücken.

Um die GeldgeberInnen bei Laune zu halten, stehen die Firmen allerdings unter Erfolgsdruck; sie müssen ständig mit neuen, profitablen Präparaten auf den Markt kommen. Dies ist nicht einfach, denn Arzneimittelforschung ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Die Entwicklung eines neuen Medikamentes bis zur Marktzulassung kostet im Schnitt 250 Millionen Dollar und dauert oft 8 bis 12 Jahre. Die harte Konkurrenz zwingt die Pharmakonzerne zu verschiedenen Strategien, um den Nachschub an neuen Arzneien sicher zu stellen.

  • Konkurrieren, aufkaufen, fusionieren

Eine Möglichkeit ist es, Firmen aufzukaufen, die Vielversprechendes in der »Forschungs-Pipeline« (Branchenjargon) haben, also mutmaßlich gewinnträchtige Präparate entwickeln. Diesen Weg beschreitet zum Beispiel Pfizer, umsatzstärkster Pharmakonzern der Welt und Hersteller der Potenzpille Viagra. Als bisher letzte in der Reihe der Mega-Pharma-Fusionen kündigte Pfizer im Juli an, man werde die an Nr. 10 stehende Firma Pharmacia für 60 Milliarden Dollar erwerben.

Eine andere Strategie verfolgt die weltweite Nr. 2, der Konzern Glaxo-Smith-Kline. Seine Forschungsabteilung splittete er in »Centers of Excellence« auf, um sie firmenintern um Forschungsgelder konkurrieren zu lassen. So soll Bürokratismus klein und unternehmerischer Geist groß geschrieben werden. Zudem versuchen die Konzerne, ihre Medikamenten-Pipeline durch Lizenzabkommen mit Biotechfirmen zu füllen. Dabei entsteht eine typische Arbeitsteilung, von der beide Seiten zu profitieren hoffen. Die kleinen Biotechfirmen entwickeln ihre Erfindungen nicht selbst bis zur Marktreife, sie fungieren vielmehr als kreative Forschungszulieferer für die großen Pharmamultis. Nur die verfügen nämlich über genügend finanzielle Mittel, Vertriebswege und Marketingabteilungen, um ein Produkt tatsächlich auch erfolgreich zu vermarkten. Von der Biotechindustrie wird dabei in doppelter Hinsicht Erfindungsreichtum verlangt: Einerseits soll sie aussichtsreiche Kandidaten für Medikamenten-Entwicklung liefern, und andererseits muss sie ständig neue, kreative Finanzierungswege beschreiten.

  • Glücksspirale DNA

Der Werdegang einer typischen Biotechnologiefirma sieht etwa so aus: ForscherInnen einer Universität gründen mit ihren Erfindungen ein Unternehmen und versuchen, Startkapital anzuwerben. Dies kommt oft von so genannten »Venture-Capitalists«, Risiko-Kapitalgeber- Innen. Als Gegenleistung für ihr Geld verlangen sie keine Zinsen, sondern Firmenanteile. Denn die Starter-Unternehmen haben in den ersten Jahren weder Produkte noch Profite zu bieten. Im Gegenteil: Die durchschittliche Biotechfirma macht jährlich etwa 7 Millionen Dollar Verluste. Die für RisikokapitalistInnen lukrativste Art, Geld zurück zu holen, besteht darin, die Firma später an die Börse zu bringen und nach Kurssteigerungen ihre Anteile mit satten Gewinnen zu veräußern.

Als neue Akteure in der Wertschöpfungskette der Pharmaindustrie haben sich in den letzten Jahren Genomicsfirmen etabliert. Sie konnten den InvestorInnen glaubhaft machen, dass mit der Wissenschaft von der Struktur und Funktion der Gene viel Geld zu verdienen sei. Die Konzerne erhofften sich eine effektivere Suche nach neuen Medikamenten und schlossen spektakuläre, hunderte Millionen Dollar teure Kooperationsverträge mit innovativen Firmen wie Millennium Pharmaceuticals ab. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass die Aussagekraft genetischer Daten begrenzt ist und – wenn überhaupt – erst langfristig zu wirtschaftlichen Erfolgen führen kann. Selbst Celera, die private Konkurrenz zum öffentlich finanzierten Humagenomprojekt und Lieblingskind vieler BörsenspekulantInnen, blieb von der Krise nicht verschont. Im Sommer vollzog Celera einen tief greifenden Strukturwandel, dem nicht nur 150 SpezialistInnen für Gensequenzierung zum Opfer fielen, sondern auch Craig Venter, Gründer und Chef der Firma. Venter wurde kurzerhand zum wissenschaftlichen Berater degradiert, da sein Gen-Daten- Enthusiasmus der Entwicklung Celeras zu einer »richtigen« Arzneimittelfirma mittlerweile im Wege war.

  • Abwärtsspirale ImClone

Steht Celera symbolisch für die Schwierigkeiten der Genomicsbranche, virtuelle Gen- Daten in klingende Münze umzuwandeln, so verursachten konkrete klinische Daten der New Yorker Firma ImClone noch viel handfestere Probleme. Als im Herbst 2001 deutlich wurde, dass die Zulassung von ImClones neuem Anti- Darmkrebsmittel Erbitux an den Hürden der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA scheitern würde, behielt die Geschäftsführung die schlechte Nachricht erst einmal für sich. Der Pharmafirma Bristol Myers-Squibb, die gerade 1,2 Milliarden Dollar in ImClone investiert hatte, und anderen AnteilseignerInnen wurde weiterhin versichert, dass alles nach Plan laufe. Bevor jedoch die FDA mit dem vernichtenden Urteil an die Öffentlichkeit ging und die ImClone-Aktien in den Keller stürzten, veräußerten die Firmenleitung und einige eingeweihte FreundInnen ihre Anteile. Den betrügerischen Insiderhandel hat ImClone-Geschäftsführer Sam Waksal mittlerweile gestanden; er sieht nun einer Gefängnisstrafe von – theoretisch – bis zu 65 Jahren entgegen.

Solche Betrügereien haben bei den InvestorInnen einen Vertrauensverlust in die gesamte biomedizinische Branche ausgelöst. Dass in anderen Industriebereichen noch um ein Vielfaches grössere Bilanzfälschungen von Firmen wie Enron und WorldCom aufflogen, kann nur Zyniker trösten. Das Vertrauen in Technologiefirmen bleibt bis auf weiteres getrübt, und Biotechunternehmen bläst jetzt ein eiseskalter Wind ins Gesicht. Der Trubel um die »Entschlüsselung« des menschlichen Genoms im Jahr 2000 ermöglichte es der Branche, über 30 Milliarden Dollar – so viel Geld wie noch nie – anzulocken. Davon ist nicht mehr viel übrig. Biotechfirmen lassen sich immer schwieriger versilbern: Lediglich 850 Millionen Dollar wurden in diesem Jahr durch Börsengänge eingesammelt. Viele Unternehmen werden inzwischen unter ihrem Einführungskurs gehandelt, und der Biotechnologie- Index der US-Technologiebörse Nasdaq verlor in diesem Jahr fast die Hälfte an Wert.

Während sich viele Biotechfirmen vom kasinokapitalistischen Pleitegeier bedroht sehen, ergeben sich für andere neue staatliche Subventionsstrohhalme. So hat das US-Verteidigungsministerium nach den Anschlägen mit Milzbranderregern im Herbst 2001 neue Biowaffen- Forschungsprojekte ausgeschrieben. Seitdem wurden zusätzliche Mittel in Höhe von 3,6 Milliarden Dollar bewilligt, um die Bevölkerung mit Medikamenten gegen »Bioterrorismus« zu schützen. Außerdem hoffen viele Firmen, mehr vom sich ständig vergrößernden staatlichen Forschungsetat abzubekommen. Präsident George W. Bush hat das Budget für die Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) für 2003 auf 27 Milliarden Dollar erhöht. Damit machte Bush sein Versprechen wahr, die Mittel der NIH binnen fünf Jahren zu verdoppeln und die Position der USA als weltweite Nr. 1 an staatlicher Förderung der biomedizinischen Forschung auszubauen.

  • Keine rosigen Aussichten

Da die Arzneimittelentwicklung auch weiterhin Hauptanwendungsgebiet für Biotechnologie bleiben wird, hängt ihr Schicksal vom künftigen Wohlsein der Pharmaindustrie ab. Von deren massiven Gewinnen haben zwar die AnteilseignerInnen profitiert, gleichzeitig sind aber die Kosten im Gesundheitswesen explodiert. Mittlerweile haben viele US-Bundesstaaten Preisbeschränkungen durchgesetzt oder billigere Kopien von Markenpräparaten – so genannte Generika – verordnet. Bei den diesjährigen Kongress-Wahlen ist auch George W. Bush mit dem Versprechen auf Stimmenfang gezogen, Arzneimittel zu verbilligen. So stellt sich auch auf Bundesebene nicht mehr die Frage ob, sondern wie Medikamente in Zukunft verbilligt werden. Keine rosigen Aussichten für die Pharma- und Biotechnologiebranche.

© Volker Lehmann, 2002
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