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Eingebunden

»Alle 36 Universitätskliniken sind in mindestens einem Netz eingebunden, hinzu kommen zahlreiche versorgende Krankenhäuser und heute schon mehr als 3.000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte; ebenso eingebunden sind Patientenorganisationen. Sie alle beteiligen sich derzeit an mehr als 250 Forschungsprojekten und mehr als 300 klinischen Studien mit rund 50.000 Patienten.

In den Netzwerken sind Datenbanken entstanden, so dass die Forscher über umfangreiche Patientendaten verfügen. Wissenschaftliche Fragestellungen können so an großen Patientenkollektiven wesentlich effizienter bearbeitet werden als jemals zuvor. Prof. W.H. Oertel machte deutlich, dass Datenbanken (Biomaterialbanken und Patientenregister) die Entwicklung neuer, hoch spezifischer und selektiver Diagnostika und Frühererkennungsmethoden sowie die Identifizierung von Risikogenen ermöglichen, wodurch gezieltere Präventionsmaßnahmen und neue und präzisere Therapiekonzepte entwickelt werden können.«

aus einem Bericht über einen »Parlamentarischen Abend« in Berlin, veranstaltet von Professoren der medizinischen Kompetenznetzwerke. Beim Treffen am 2. Juni 2005 dabei waren VertreterInnen aus Politik, Ministerien, Verbänden und Industrie. Der Bericht erschien im September im Newsletter des Kompetenznetzes Parkinson.



UTA WAGENMANN, Soziologin, aktiv im Gen-ethischen Netzwerk

Im Fadenkreuz der Ökonomie

  • Mit Biobanken werden marktförmige Strukturen in der staatlich geförderten Forschung ausgebaut

aus: BIOSKOP Nr. 33, März 2006, Seiten 8+9

Umfangreiche Daten- und Probensammlungen gelten als unabdingbare Voraussetzung biomedizinischer Wissenschaft. Der Nutzen der mit ihnen betriebenen Forschung ist zwar umstritten. Dennoch errichten und betreiben viele Universitätskliniken und Forschungsverbünde hierzulande Biomaterialbanken. Damit verbunden sind Etablierung und Ausbau marktförmiger Strukturen in der staatlich geförderten Forschung.

Die Forschung nach genetischen Ursachen weit verbreiteter, kostenintensiver Erkrankungen ist seit Jahren ein wichtiger Schwerpunkt der Förderpolitik des Bundesforschungsministeriums (BMBF). Begründet wird diese Förderung vor allem mit wirtschaftlichen Zielen und Slogans. Die Rede ist vom Forschungsstandort Deutschland, von Effektivität und Konjunktur. Verstärkt gefördert wird seit einigen Jahren deshalb der Aufbau von Biobanken. Sie sollen Universitäten und Forschungsverbünden ermöglichen, als Dienstleister auf dem Forschungsmarkt ökonomisch selbstständig agieren zu können.

Wissenschaftliche Projekte sollen möglichst schnell zu praktischen, verwertbaren Ergebnissen führen; gemeint sind damit vor allem Zielmoleküle für neue Medikamente, die so genannten »Targets«. Ihre Entdeckung soll zu Kooperationen zwischen Uni-Instituten und der Pharmaindustrie führen und damit die angestrebte Unabhängigkeit universitärer Forschung von staatlicher Förderung voran treiben. Darüber hinaus erhofft man sich, mit Hilfe von Blutproben und Daten aus Biobanken Gentests entwickeln zu können. Auf der Basis dieser individuellen Risikovorhersagen, so die Idee, werden Menschen versuchen, mit ihrer Lebensweise dem Ausbrechen von teuren Erkrankungen vorzubeugen, was langfristig Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen bringe.

  • Material für Forschungsvorhaben

Die Förderpolitik des BMBF ist also vor allem ökonomisch ausgerichtet. Und diese Strategie funktioniert. Die BMBF-Programme haben die Vernetzung bestehender und den Aufbau neuer Sammlungen in den vergangenen Jahren verstärkt gefördert. Dabei ist es den Rahmenbedingungen der Förderung geschuldet, dass die Sammlungen zugleich dazu dienen, unternehmerische Strukturen in der Forschung zu etablieren. Immer mehr Forschungsprojekte sind auf verwertbare Ergebnisse ausgerichtet.

Ein eindringliches Beispiel für das Entstehen marktförmiger Strukturen in der Forschung sind die Kompetenznetze (KN). Sie sollen sich erklärtermaßen nach Ablauf der Förderperiode selbst tragen und dafür geeignete Finanzierungsmodelle entwickeln. 13 der derzeit 17 geförderten KN verfügen über unterschiedlich große Proben- und Datensammlungen. In mindestens fünf dieser KN ist geplant, das in den jeweiligen Biobanken gesammelte Material für Forschungsvorhaben zur Verfügung zu stellen – und zwar gegen Gebühr. Die Zahlungen der wissenschaftlichen Kundschaft sollen den Fortbestand des Netzes finanziell absichern, wenn die staatliche Förderung abgelaufen ist.

  • Märkte und Dienstleistungen

Dabei betonen die Betreiber, ihnen gehe es darum, durch ein solches Dienstleistungsmodell kommerziellen Tendenzen bei der Nutzung der Biobanken entgegenzuwirken. Auch im KN Rheuma hat man sich ausdrücklich gegen eine kommerzielle Nutzung der bestehenden DNA- und Serumbanken entschieden; statt dessen soll eine Kooperation mit der Industrie den Fortbestand des Forschungsverbundes sichern: Schon jetzt erhält ein Konsortium aus etwa 20 Pharmaunternehmen vom KN Rheuma jährlich eine Auswertung der Daten aus dem PatientInnenregister, in dem derzeit etwa 30.000 Individuen erfasst sind. Die Auswertung enthält unter anderem Angaben über Nebenwirkungen von Medikamenten. Als Gegenleistung spendet das Pharma-Konsortium jährlich einen Betrag an das Kompetenznetz.

Ein anderes Dienstleistungsmodell verfolgt man in München. Dort werden Datensammlungen verwaltet, die in den 1980er und frühen 1990er Jahren in der Region Augsburg entstanden sind. Ausgangspunkt waren damals epidemiologische Studien, betrieben unter dem Namen KORA. Neben einer Vielzahl klinischer Daten spendeten TeilnehmerInnen im Rahmen von KORA auch Blutproben, die allerdings größtenteils noch nicht genotypisiert sind. Gefördert aus Mitteln des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) läuft hier seit Anfang 2005 das Projekt KORA-gen: der Aufbau einer Serviceeinrichtung, bei dem zugleich schrittweise die DNA-Daten aus den gesammelten Proben erhoben werden. Gegen Gebühr stehen Proben und Daten aus KORA der Forschung zur Verfügung. Hat eine Forschungsgruppe einen Vertrag über die Nutzung einer bestimmten Kohorte mit KORA-gen abgeschlossen, wird das biologische Material zunächst in zentralen Laboren des NGFN genotypisiert. Der Vertragspartner erhält dann die Ergebnisse der Genotypisierung und – wenn vereinbart – weitere klinische Daten. Die auf diese Weise gewonnenen DNA- und Labordaten werden zugleich in die Datenbank von KORA-gen eingegeben.

  • Netze, Netze, Netze

Die Umwandlung und Vernetzung von Sammlungen, die eigentlich für epidemiologische Studien angelegt wurden, in Biobanken, die den Erfordernissen genetischer Studien gerecht werden, läuft an vielen Universitäten und Kliniken auf Hochtouren – gefördert mit Steuergeldern. Dabei entstehen DNA-Datenbanken, deren Umfang die neu angelegten Sammlungen wie das bevölkerungsbezogene Projekt PopGen in Kiel _(Siehe BIOSKOP Nr. 26 bei weitem übersteigt.

Ein imposantes Beispiel ist das Genomnetz Herz-Kreislauf im NGFN: Allein in München werden zurzeit Daten und Proben von knapp 15.000 PatientInnen bearbeitet, um sie für genetisch-epidemiologische Studien verfügbar zu machen. Daneben arbeitet man am Koordinierungsstandort des Herz-Netzes in Heidelberg an einem zentralen Datenbanksystem. Es soll ForscherInnen ermöglichen, schnell und unkompliziert herauszufinden, an welche der elf im Herznetz zusammengeschlossenen Unikliniken sie sich wenden können, wenn sie für ein bestimmtes Vorhaben Material benötigen. Dafür werden in Heidelberg standardisierte Datensätze (Diagnose, Erkrankungszeitpunkt, Geschlecht) aller PatientInnen zentral erfasst, die in verschiedensten Studien diverser Unikliniken einbezogen waren. Wie viele Datensätze das insgesamt sein werden, ist noch nicht klar, da einige der angeschlossenen Kliniken keine Angaben über die Anzahl der vorhandenen Datensätze und Proben machen können. Es sollen aber mehrere zehntausend sein.

  • Nicht abzuschätzen

Welchen Sinn die Sammlungen und Vernetzungen für das Erforschen von Krankheitsursachen tatsächlich haben, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Der genetisch-epidemiologische Ansatz in der medizinischen Forschung, also das Herstellen statistischer Zusammenhänge zwischen genetischen Merkmalen und Krankheiten, ist umstritten: Gerade die weit verbreiteten Erkrankungen, das betonen auch GenetikerInnen, entstehen durch ein äußerst dynamisches Wechselspiel unterschiedlicher Einflüsse. Dass sich nichtsdestotrotz die Suche nach genetischen Eigenheiten, die statistisch das Risiko solcher Erkrankungen erhöhen, als wichtigster Forschungsansatz durchgesetzt hat, liegt auch an der staatlichen Förderpolitik: Forschungsprojekte haben vor allem dann eine Chance in den Genuss staatlicher Gelder zu kommen, wenn sie diesen Ansatz verfolgen.

  • Patente und Kooperationen

Für die ökonomisch orientierte Forschungspolitik ist der genetisch-orientierte Ansatz nicht nur aus gesundheits- und strukturpolitischen Gründen reizvoll, sondern auch, weil er eine schnelle Verwertung von Ergebnissen ermöglicht. Krankheitsrelevante Gene oder Zielmoleküle für Medikamente sind patentierbar; sie bilden den Anfang einer Verwertungskette, an deren Ende, so das erklärte Ziel, Unternehmensgründungen und Kooperationen mit der Industrie stehen. Bereits in der ersten Phase des NGFN, von 2001 bis Ende 2004, wurden aus geförderten Projekten mehr als 80 Patente auf DNA-Abschnitte, Moleküle und Proteine angemeldet.

  • Zwang zur Verwertung

Um die Verwertungsspirale weiter anzukurbeln, wird nun in der zweiten Phase des Förderprogramms, die noch bis 2007 andauert, richtig Dampf gemacht. EmpfängerInnen von Zuwendungen sind jetzt dazu verpflichtet, geplante Publikationen bei der »Koordinierungsstelle Technologie-Transfer« (KTT) im NGFN vorzulegen. Sie sieht den Text durch und informiert die Forschungsgruppe über mögliche Patente oder andere Verwertungsmöglichkeiten. Um Patentanmeldungen anzureizen, verwaltet die KTT zudem einen Fonds mit einem Gesamtvolumen von 350.000 Euro. Rechnungen über Kosten, angefallen bei der Patentanmeldung, werden übernommen, solange das Geld reicht. Die Zuschüsse müssen auch im Falle einer erfolgreichen wirtschaftlichen Verwertung nicht zurückgezahlt werden. Wer wird da noch nein sagen?

© Uta Wagenmann, 2006
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