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»Wichtiger Tag für den Gesundheitsstandort«

Medizin dient, zumal wenn teure High-Tech-Geräte eingesetzt werden, nicht nur dem Wohle der PatientInnen. Eine gewichtige Rolle spielt in der Regel die Ökonomie, mitunter geht es auch darum, sich im Konkurrenzkampf der Krankenhäuser zu profilieren. Pressemitteilungen sollen dabei helfen, zum Beispiel diese vom 13. September 2011: »Charité eröffnet CyberKnife Center«. Das Berliner Uniklinikum hielt u.a. für mitteilenswert:

»Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat heute in einem feierlichen Festakt das Charité CyberKnife Center am Campus Virchow-Klinikum der Charité – Universitätsmedizin Berlin eröffnet. Damit verfügt nun erstmals eine deutsche Universitätsklinik über diese nicht-invasive Behandlungsoption für Tumorpatienten, die dank intelligentem Bildführungssystem höchste Präzision bei der radiochirurgischen Bestrahlung gewährleistet. […]

‘Die Eröffnung des CyberKnife Centers ist ein wichtiger Tag für die Charité und für den Berliner Gesundheitsstandort. Für Patientinnen und Patienten aus der gesamten ostdeutschen Region wird die Charité zum Anlaufpunkt für eine weitere innovative Tumor-Therapie. Diese Stärkung der Charité ist eng verknüpft mit den Perspektiven Berlins als exzellenter Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort’, sagte Klaus Wowereit in seinen Grußworten.«




ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Krebs als Geschäftsfeld

  • Frankfurter Radiochirurgie-Zentrum sucht AnlegerInnen und stellt ihnen »eine interessante Rendite« in Aussicht

aus: BIOSKOP Nr. 57, März 2012, Seiten 14+15

Das Radiochirurgie-Zentrum in der Uniklinik Frankfurt am Main ist eine Firma – auf der Suche nach Kapital. Ihre Geschäftsidee heißt »innovative Krebsbehandlung«. GeldanlegerInnen wird einiges versprochen: interessante Renditen und, bei Bedarf, bevorzugte Behandlung auf neuestem Stand der Radiochirurgie.

»Beteiligen Sie sich mit Ihrem Geld am Kampf gegen den Krebs und erzielen Sie dabei eine interessante Rendite.« So umwerben das Radiochirurgie Zentrum GmbH & Co KG und die als Komplementärin beteiligte Mevcon GmbH potenzielle AnlegerInnen. An der Frankfurter Uniklinik entsteht gerade ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Unter diesem Dach werden seit Oktober 2011 (Hirn-)TumorpatientInnen bestrahlt, mit Hilfe eines computergesteuerten Gerätes namens »Gamma Knife«. Im Mai soll ein weiterer Großapparat, »CyberKnife« genannt, auch Kranke mit anderen Tumoren ambulant versorgen. Die Kosten für technische Ausstattung und Gebäude werden mit neun Millionen Euro veranschlagt. Fünf Millionen werden per Bankkredit finanziert, den Rest sollen Privatleute beisteuern, Mindestanlage: 5.000 Euro.

  • Ein besonderes Zertifikat

Die medizinischen und finanziellen Versprechen klingen beeindruckend. Mit Hilfe robotergestützter Linearbeschleuniger würden die Krebsgeschwüre schmerzfrei »hochpräzise bestrahlt« und zerstört – ohne Operationen, Schnitte und Schäden am gesunden Gewebe. AnlegerInnen könnten 15 Jahre lang mit 8-10-prozentigen Ausschüttungen für ihr eingebrachtes Kapital rechnen. Ein besonderes Bonbon ist das zusätzliche »Zertifikat«: Bei zutreffender medizinischer Indikation wird den GeldgeberInnen und ihren Familienangehörigen ersten Grades eine »bevorzugte Behandlung« im Frankfurter Zentrum in Aussicht gestellt. Wer in der Lage ist, 5.000 Euro und mehr zu investieren, kann sich diese Option quasi vorab erkaufen.

Was für Betroffene einer biographischen Katastrophe gleichkommt, ist für die Frankfurter Gesellschafter ein Marktpotential. Sie rechnen den umworbenen Finanziers vor, dass Krebs zur häufigsten Todesursache avancieren wird und allein im Rhein-Main-Gebiet jährlich rund 23.000 neue Erkrankungsfälle hinzukommen. Sie wissen, dass Krebskranke auch weite Wege auf sich nehmen und die Konkurrenz für eine Behandlung mit dem CyberKnife – es gibt Zentren in Berlin, Güstrow, Hamburg, Köln, München und Soest – noch überschaubar erscheint.

Hierzulande einmalig sei, dass Frankfurt unter einem Dach sowohl CyberKnife als auch Gamma Knife beherbergen werde, letzteres ist außerdem in Aachen, Hannover und Krefeld verfügbar. Die Kooperation mit der Frankfurter Universitätsklinik gilt als Standortvorteil, weil PatientInnen aus den Fachabteilungen in die ambulante Versorgung gelenkt und zusätzlich zahlungskräftige Kranke aus dem Ausland angeworben werden könnten. Der Geschäftsführer Werner Ullrich und der medizinische Leiter Robert Wolff haben von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen die Zulassung des MVZ erhalten und auch die notwendigen Facharztsitze für Neurochirurgie und Strahlentherapie eingerichtet.

  • Gezieltes Marketing

Nun fehlen noch ausreichend Rahmenverträge mit privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen, um die angestrebte Gewinnzone zu erreichen; 2026, prognostizieren die Macher, werde das Zentrum pro Jahr 600 Krebskranke mit den mehrere Millionen Euro teuren Knife-Geräten bestrahlen. Ein Marketing-Plan soll helfen, KundInnen zu gewinnen. Die PR-Aktivitäten reichen von Patienteninfos klinischer Fachabteilungen bis zu Vorträgen und direkter Ansprache von Selbsthilfegruppen, die vor allem Vorteile der hochtechnisierten Methode betonen.

Diese Botschaft möge auch in Presse, Radio, Fernsehen und Internetportalen verbreitet werden. Was JournalistInnen berichten sollen, wird potenziellen AnlegerInnen im Verkaufsprospekt wie folgt erläutert: »Das soziale Engagement der Betreibergesellschaft soll ständig in der Presse publiziert werden. So sollen – natürlich nur innerhalb des wirtschaftlich Möglichen – aus humanitären Gründen auch solche Patienten behandelt werden, die nicht über die notwendigen finanziellen Mittel für eine Behandlung verfügen und deren Behandlungskosten auch nicht übernommen werden.«

  • Politisch gewollte Konkurrenz

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung hat Ende 2011 eine Studie über die Krankenhauslandschaft veröffentlicht. Unter dem Titel »Die fetten Jahre sind vorbei« ist zu lesen, dass vor allem kleine und ländliche Kliniken »rote Zahlen« schreiben und »ohne Produktivitätsfortschritte« vom Markt gefegt werden. Diese – politisch gewollten – Wettkampfbedingungen führen dazu, dass Krankenhäuser stetig investieren müssen, in neue Gebäude, innovative Geräte und in MVZ mit verschiedenen Facharztsitzen.

Der Zugang zu Kapital im »65 Milliarden Euro schweren deutschen Klinikmarkt« wird immer wichtiger, vermeldete die Financial Times. Die Investitionszuschüsse der Länder sind knapp. In NRW beispielsweise werden sie nur noch in Form von »Baupauschalen« gezahlt – 460.000 Euro im Durchschnitt pro Klinik. Die Pauschale reicht meist gerade so für Kredit-Zinsdienste an die Banken.

In der Finanzkrise hat die Uniklinik Köln das Konjunkturpaket II des Bundes genutzt, um ihre Strahlenklinik mit dem CyberKnife aufzurüsten. In Frankfurt geht man andere Wege. Die Initiatoren Andreas Mack und Werner Ullrich, die schon in Zürich und Güstrow aktiv waren, gründeten und leiten das fachübergreifende Versorgungszentrum. Die Radiochirurgie Zentrum GmbH & Co KG und die Mevcon GmbH beteiligen sich finanziell und suchen nach InvestorInnen.

  • Nicht ohne Risiken

All das ist politisch gewollt und passt zu den Buchstaben des Gesetzes (§ 95 SGB V). Die vorgeschriebene ärztliche Leitung eines MVZ soll sicherstellen, dass nicht hohe Kapitalrenditen, sondern medizinische Überlegungen handlungsleitend sind. Das kann bezweifelt werden. Im Frankfurter Fall haben nicht allein Banken, Private-Equity-Firmen und Managementgesellschaften Renditeerwartungen, sondern auch KleinanlegerInnen, die womöglich ihren Lebensabend absichern wollen – über Geldausschüttungen und Vorzugsbehandlung auf höchstem Stand medizinischer Technik.

Ganz ohne Risiko ist das Projekt nicht – weder für AnlegerInnen noch für PatientInnen. So machen 80 Prozent der rund 1.500 MVZ hierzulande mindestens in den ersten zwei Jahren Verluste. Der Frankfurter Verkaufsprospekt erwähnt auch ein paar Unwägbarkeiten, etwa, dass sich der Markt als übersättigt oder die Technologie irgendwann als überholt oder »unzulänglich« erweisen könnte.

  • Dünne Studienlage

Das steht nicht in den Hochglanzbroschüren und Medienmitteilungen radiochirurgischer Zentren und des Weltmarktführers »accuray«. Und auch dies nicht: Der mit Bundesmitteln finanzierte, 2009 fertig gestellte HTA-Bericht 84 des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bemängelt die Studienlage zur »stereotaktischen Radiochirurgie« (in der auch Gamma Knife eingesetzt wird) bei Hirnmetastasen: »Qualität und Quantität der Studien sind stark reduziert […] Es zeigt sich jedoch, dass die Prognose von Patienten mit Hirnmetastasen auch unter modernsten therapeutischen Möglichkeiten schlecht ist. […] Zu neueren Gerätealternativen wie z.B. dem CyberKnife liegen bisher keine Untersuchungen vor«.

Noch wird die Technologie eher bei kleinen Tumoren in Hirn oder Wirbelsäule angewandt. Ausweitungen auf Nieren- und Prostatakarzinome sind indes zu beobachten. Der Hamburger Urologieprofessor Hans Heinzer ist eher skeptisch: »Wir (können) aufgrund der Studienlage im Moment noch nicht einmal sagen, ob das Cyberknife wirklich so effektiv ist wie die bisherigen Strahlentherapien.« Es fehlen »aussagekräftige Langzeitstudien« für den Prostatakrebs. Und bisher sei die Technologie im Frühstadium eingesetzt worden, also in einer Phase, wo laut Heinzer mit jeder adäquaten Therapie gute Resultate erzielt werden.

Es mag sein, dass bei enger Indikation solche Technologien helfen können. Das ist aber weder sicher, noch werden die Suche nach Auslastung der teuren Geräte, Kreditverpflichtungen, Renditeversprechen sowie Wettbewerb um PatientInnen und Innovationen den Technikeinsatz auf wenige Fälle beschränken können.

  • Wettbewerb, Privatisierung, Konsequenzen

Am Frankfurter Beispiel kann inspiziert werden, welche Wirkungen Wettbewerb und Privatisierung zeitigen. Mit privat Versicherten aus dem In- und Ausland beginnt das Projekt. Hier können, je nach Erkrankungsstadium, zwischen 7.500 und 17.400 Euro für die Behandlung in Rechnung gestellt werden. Bei ausländischen PatientInnen können es bis zu 25.000 Euro werden. Begleitet wird die Startphase von Marketing und Medienberichten, die Heilungserwartungen befördern.

Gelingt es, die begehrten Rahmenverträge mit den Krankenkassen abzuschließen, dürften Behandlungen mit CyberKnife erheblich zunehmen und auch für weitere Kliniken attraktiv werden. Kalkulierte 7.000 bis 9.500 Euro sollen die Krankenversicherer erstatten. Wird die Knife-Bestrahlung jedoch nicht zur Kassenleistung, werden sich gesetzlich Versicherte wohl um ihr Leben betrogen fühlen – falls sie nicht KleinanlegerInnen waren oder privat zahlen können. Unter Umständen werden sich aber auch die GeldgeberInnen getäuscht fühlen – falls die versprochenen Renditen ausbleiben oder das ganze MVZ gar in die Insolvenz schlittern sollten.

© Erika Feyerabend, 2012
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