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ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Krankenhäuser – ganz privat?

  • Private Unternehmensgruppen kaufen zunehmend öffentliche Kliniken auf und hoffen auf große Gewinne

aus: BIOSKOP Nr. 18, Juni 2002, Seiten 12+13

Gesundheitspolitische Debatten konzentrieren sich seit Jahren auf »die Kosten«. Ob Qualität des medizinischen Angebotes unter dem Plastikwort »Effizienz« zum Thema wird, die Ausgaben der Krankenversicherer beklagt oder die Altersentwicklung moderner Gesellschaften bis 2020 kalkuliert wird: PatientInnen gelten als Kostenfaktoren, die staatliche Versorgungsleistungen überstrapazieren. Dabei lassen sich bei der Krankenbehandlung auch enorme Gewinne erwirtschaften.

Medizinische Versorgung ist eine öffentliche Aufgabe, so wie Schulbildung auch. Gleichwohl werden Arztpraxen und Kliniken wie Unternehmen geführt – unter dem Dach der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Besonders im Krankenhaussektor dominierten bis vor einigen Jahren die staatlich geführten Kliniken, neben den kirchlichen und privaten Häusern.

Die Klagen über »Kostenexplosion”« und »Haushaltsdefizite« der zuständigen Behörden und Kommunen zeitigen inzwischen Wirkung, die Krankenhauslandschaft ist in Bewegung geraten. Kliniken werden zunehmend in öffentlich getragene Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs) verwandelt. Ihr Anteil ist in den vergangenen zehn Jahren auf 20 Prozent gestiegen. Noch mehr GmbHs befinden sich unter den Vorsorgekliniken und Rehabilitationszentren. Wirtschaftlich gesehen, hat dies vor allem zwei Konsequenzen: Die Häuser können in Insolvenz gehen, und sie müssen sich ihre Kredite unter den normalen Konditionen des Marktes bei den Banken beschaffen. Die Investitionen, einschließlich der Kredit-Zinsen, müssen dann wieder über die Versorgungsleistungen refinanziert werden, das Geld muss also über die Behandlung der Versicherten erwirtschaftet werden. Für die kommunalen Kliniken gibt es günstigere Kreditkonditionen, anfallende Schulden müssen von der Kommune übernommen werden. Die GmbH gilt als goldener Weg, um die öffentlichen Haushalte zu entlasten und Bettenkapazitäten über den Marktmechanismus der konkursbedingten Schließung zu verringern. Und oft ist die GmbH gar die Vorstufe auf dem Weg zur Börse.

  • Konkurrenzen

Drei Typen von Konzerngruppen konkurrieren um den Aufkauf öffentlicher Krankenhausgesellschaften wie auch kommunaler Hospitäler. Zum einen die Privatversicherungen: 33 von ihnen haben sich unter dem Firmennamen »Sana mbH« zusammengefunden, um Kliniken zu erwerben und ihre Leistungen direkt den Privatversicherten anzubieten. Sie unterhalten 58 Betriebe mit ca. 20.000 Beschäftigten und erzielen einen Umsatz von über 1,4 Millarden Euro. Der Asklepios Kliniken GmbH gehören 74 Betriebe mit einem Umsatz von einer Milliarde Euro. Ihr Kapital erwirtschaftete die GmbH unter anderem in den USA, im Rahmen der »Versorgung« von RentnerInnen und SozialhilfeempfängerInnen in den Managed-Care-Programmen, vor allem also durch die staatlichen Zuschüsse und Versichertenbeiträge.

Eine zweite Gruppe sind die Lieferanten der Krankenhäuser. Sie wollen ihre Produkte möglichst konkurrenzlos und nach eigenen Preisvorstellungen verkaufen. Aktiv sind hier die Dialysekonzerne und die Pharmaindustrie, zum Beispiel das Dialyse-Unternehmen Fresenius, das im Ausland längst eigene Kliniken unterhält und auch hierzulande aufkaufen will.

  • Visionen der Gesundheitsindustrie

Als besonders lukrativ haben sich jene Klinikketten erwiesen, die sich in den neuen Bundesländern engagieren. Denn unter staatlicher Obhut gedeiht die Gesundheitsindustrie besonders gut. Die Helios Kliniken GmbH betreibt 21 Krankenhäuser mit rund 11.000 MitarbeiterInnen und ist vor allem in der ehemaligen DDR aktiv. Dort hat der Konzern mehr als 370 Millionen Euro investiert. 2014 werden über 480 Millionen Euro in die Helios-Kassen zurück geflossen sein. Das sind ausschließlich staatliche Fördergelder für den »Aufbau Ost«. Ein sicheres Geschäft – das motiviert, auch in den alten Bundesländern aktiv zu werden. Häuser in Thüringen unterhält auch die Rhön-Klinikum AG, die 1989 als erster deutscher Krankenhausbetreiber an die Börse gegangen ist. Nun führt die Aktiengesellschaft Übernahmeverhandlungen in Berlin, Bremen, Frankfurt a. M. und andernorts.

Etwa jedes 14. Krankenhaus wird inzwischen in privater Regie geführt, Tendenz: steigend. Im Modellspiel »Krankenhaus 2015« der Consulting- Firma Arthur Anderson sieht die Zukunft der Investoren rosig aus – vorausgesetzt, die staatlich mitgestalteten Rahmenbedingungen stimmen. Zum Vorteil der »Versorgungs-Aktiengesellschaften« soll nur noch eine staatlich garantierte, steuerfinanzierte Grundversorgung gewährleistet und der Leistungskatalog der Krankenversicherer nicht mehr gesetzlich festgelegt werden. Favorisiert wird eine Art Vollkasko- und Teilkasko-Versicherung. So könnte die Zahl der Krankenhäuser von gegenwärtig 2.200 auf 1.800 schrumpfen, die Bettenzahl um 40 % sinken und die Verweildauer im Krankenhaus auf drei bis fünf Tage. Dann, so die Prognose der Unternehmensberater, werden im Jahr 2015 rund 600 stationäre Privatfirmen, 700 freigemeinnützige und 400 öffentliche Häuser die Krankenbehandlung organisieren – effizient und gewinnorientiert.

  • Kerngeschäfte und Tochterunternehmen

Solche Zukunftsgemälde stimulieren Börse, Unternehmen und Politik. Der neue Typus des Krankenhausmanagers ist schon heute gefragt. Entscheidende Qualifikationen sind hier nicht Erfahrungen im Gesundheitswesen, sondern in Industrie, Marketing und Trendentwicklung im Gesundheitsmarkt, es winken Spitzengehälter von 400.000 Euro im Jahr. An erster Stelle steht Profitabilität. Die Chirurgie muss mittels ihrer Operationen selbst mehr erwirtschaften, als sie kostet. Bündnisse mit Nachbarhäusern werden geschlossen, um die Konkurrenz mit anderen Kliniken für sich zu entscheiden. Krankenhäuser werden mit Tochterunternehmen verschachtelt, und nur lukrative Kerngeschäfte verbleiben im Klinikbetrieb. Reduzierte Liegezeiten und Beschäftigtenzahlen intensivieren und standardisieren die Dienstleistung am Kranken. So beginnen auch Personal und PatientInnen mehr und mehr, allein in Geldwerten zu denken.

Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, visioniert den Gesundheitsmarkt als Wachstumslokomotive. Sofort seien alle Kostenbudgetierungen einzustellen, damit der Markt aufquellen könne. Tatsächlich kann es hier viele Gewinner geben, an der Börse, unter den Managern, bei den Privatversicherungen und Krankenhauskonzernen. Aber nicht allen wird die Fahrt in diesem Zug gut bekommen, am wenigstens den PatientInnen und Beschäftigten.

© Erika Feyerabend, 2002
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