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Gefragter Berater

Der Tübinger Ethikprofessor Georg Marckmann ist ein viel beschäftigter Berater. Er sitzt zum Beispiel im Wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Dessen Methodik zur Kosten-Nutzen-Bewertung sieht Marckmann allerdings kritisch. Auf einer Veranstaltung des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller habe Marckmann das IQWiG aufgefordert, sein Konzept indikationsspezifischer Effizienzgrenzen zu ergänzen – und zwar um das vom IQWiG abgelehnte Modell »qualitätsadjustierter Lebensjahre« (QALYs), berichtete die Ärztezeitung am 23. April 2009. Das QALY-Konzept, erläuterte das Blatt, »setzt den finanziellen Aufwand einer Therapie mit den durch sie gewonnenen Lebensjahren in ein Verhältnis.«

»Ein weitgehend ungenutztes Potenzial, das dringend mobilisiert werden sollte.«

Marckmann ist auch Kooperationspartner des vom Bundesforschungsministerium finanzierten Modellprojekts »beizeiten begleiten«. Es erprobt, wie man AltenheimbewohnerInnen bewegen kann, eine Patientenverfügung zu verfassen. Auf diesem Gebiet profiliert sich der Tübinger Ethiker seit Jahren. 2004 veröffentlichte das Ärzteblatt Baden-Württemberg (Heft 9/2004) einen Aufsatz Marckmanns unter der Überschrift »Lebensverlängerung um jeden Preis?«. In seinem Fazit stellte Marckmann fest: »Empirischen Studien zufolge besitzen nur etwa 10 % der Patienten eine Vorausverfügung, obwohl das Interesse an den Möglichkeiten grundsätzlich groß ist. Offenbar existiert hier noch ein weitgehend ungenutztes Potenzial, das dringend mobilisiert werden sollte: Nicht nur um der Autonomie der Patienten willen, sondern auch, um die ärztlichen Entscheidungen über Abbruch oder Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen zu erleichtern.«




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

»Kostensensible Leitlinien«

  • ForscherInnen wollen plausible Kriterien und Instrumente zur Priorisierung von Gesundheitsleistungen entwickeln

aus: BIOSKOP Nr. 50, Juni 2010, Seiten 14+15

Die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversicherung ist angespannt – darüber sind sich viele Fachleute seit Jahren einig. Anhaltenden Streit gibt es allerdings darüber, mit welchen Methoden die Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen sind. Eine Strategie, die LobbyistInnen und auch PolitikerInnen zunehmend favorisieren, ist die Einschränkung von Leistungen – zu Lasten der Kranken. ForscherInnen, bezahlt aus Steuergeldern, sollen Begründungsmodelle liefern, die ethisch und rechtlich plausibel klingen.

Die Mitteilung, die Deutschlands Redaktionen am 12. Juni 2009 erreichte, klang beunruhigend: »Tübinger Studie bestätigt Rationierung im Gesundheitswesen«. Mit dieser Schlagzeile machte die Pressestelle der Universität Tübingen auf eine bundesweite »Umfragestudie« aufmerksam, die ein Team um den Medizinethikprofessor Georg Marckmann initiiert und ausgewertet hatte.

Die ForscherInnen hatten 1.137 KlinikärztInnen aus der Intensivmedizin und Kardiologie einen Fragebogen geschickt – das Kernergebnis fassten sie so zusammen: »Über drei Viertel der antwortenden Ärzte (77 %) bestätigten, mindestens einmal aus Kostengründen eine für den Patienten nützliche Maßnahme nicht durchgeführt bzw. durch eine preiswertere und zugleich weniger effektive Leistung ersetzt zu haben.« Zudem belege die Auswertung, dass ÄrztInnen es »nicht grundsätzlich ablehnen, Verantwortung für Rationierungsentscheidungen zu übernehmen«. Und auch diese Botschaft war der Tübinger Pressestelle wichtig: Knapp drei Viertel der ÄrztInnen »äußerten klar das Bedürfnis nach einer Regelung ‘oberhalb’ der individuellen Arzt-Patient-Beziehung«.

»Diese Leitlinien geben dem behandelnden Arzt vor, welche Patienten eine teure Maßnahme erhalten sollen und welche Patienten auf eine günstigere ausweichen müssen.«

Um die Entwicklung von Instrumenten, die geeignet sein sollen, Leistungsbegrenzungen im Gesundheitswesen ethisch, rational und tarnsparent zu rechtfertigen, ging es im 2006 gestarteten Forschungsverbund »Allokation«, den Marckmann bis Ende 2009 geleitet hat. Das Modell, das er auf Kosten des Bundesforschungsministeriums entworfen hat, heißt »Kostensensible Leitlinien« (KSLL). »Diese Leitlinien«, erläutern die Allokationsexperten, »geben dem behandelnden Arzt vor, welche Patienten eine teure Maßnahme erhalten sollen und welche Patienten auf eine günstigere ausweichen müssen.«

Wie eine KSLL konkret aussehen könnte, beschreibt Marckmanns Team am Beispiel der koronaren Herzkrankheit (KHK), die weltweit an der Spitze der Todesursachen stehe und einen wesentlichen Kostenfaktor für das Gesundheitswesen darstelle – »nicht zuletzt aufgrund der massiven Leistungsausweitung invasiver Diagnose- und Therapiemaßnahmen«.

Wolle man in diesem Bereich »gezielt sparen«, könne man mit Hilfe der KSLL festlegen, die Anwendung teurer, Medikamente freisetzender Stents (DES) auf solche PatientInnen zu beschränken, die einen »größeren Vorteil« als andere von ihnen erwarten können. Dies seien nach dem Stand der Wissenschaft diejenigen Kranken, die kleine Gefäße und eine lange Engstelle haben. PatientInnen mit größeren Gefäßen und kürzeren Engstellen, bei denen ein erneuter, lebensbedrohlicher Gefäßverschluss weniger wahrscheinlich sei, »würden von ihrer Krankenkasse nur den reinen Metall-Stent bezahlt bekommen«, heißt es in den Erläuterungen für medizinische Laien.

Wesentlich breiter angelegt als die KSLL-Studie ist das interdisziplinäre Projekt »Priorisierung in der Medizin«.

Die gesundheitsökonomischen Gedanken, die hinter den KSLL stehen, bringen die ForscherInnen so auf den Punkt: »Es soll also bei denjenigen Patienten gespart werden, die ein ‘kleineres Opfer’ erbringen müssen, wenn sie auf die günstigere und etwas weniger wirksame Behandlungsmöglichkeit ausweichen müssen.« Dieses Vorgehen habe für ÄrztInnen zudem den Vorteil, dass sie »im Einzelfall nicht jedes Mal neu entscheiden« müssten, welcher Patient welche Behandlung erhält – sie bräuchten sich ja nur nach den KSLL zu richten, die alle gesetzlich Versicherten, entsprechend der Vorgaben, gleich behandele.

Die KSLL sollen nun in der Fachöffentlichkeit diskutiert werden und eine weitere Befragung die Akzeptanz in der ÄrztInnenschaft ausloten. Gut möglch, dass Marckmanns Ideen zumindest bei den FunktionärInnen gut ankommen, die angesichts verschärfter ökonomischer Verteilungskämpfe wiederholt Priorisierungskonzepte eingefordert hatten.

Wesentlich breiter angelegt als die KSLL-Studie ist das interdisziplinäre Projekt »Priorisierung in der Medizin«. Es wird seit 2007 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bezahlt und soll möglichst bis 2013 laufen. Hier kooperieren Fachleute aus 13 Universitäten, nicht nur Gesundheitsökonomen, Juristen und Mediziner, sondern auch bekannte Bioethiker wie Hartmut Kliemt und Bettina Schöne-Seifert sowie der Transplanteur Eckhard Nagel.

Man könnte auch nach anderen Kriterien priorisieren, etwa »nach Lebensalter, Dringlichkeit oder Selbstverantwortung«.

Die Leitung des Teilprojekts »Rechtliche Vorgaben und Grenzen für eine Priorisierung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung« liegt beim Bochumer Sozialrechtsprofessor Stefan Huster. Hier gehe es um eine »umfassendere Betrachtung von Priorisierung«, betont die von der Ruhr-Universität herausgegebene Zeitschrift Rubin; Leitlinien, die auf einer Kosten-Nutzen-Bewertung basieren, seien dabei »nur ein Mittel«. Man könnte auch nach anderen Kriterien priorisieren, etwa »nach Lebensalter, Dringlichkeit oder Selbstverantwortung«.

Zur Veranschaulichung wird die Transplantationsmedizin angeführt – mit einer merkwürdig konstruierten Frage: »Wenn nur ein Organ zur Verfügung steht – bekommt es derjenige, der es am dringendsten braucht, um vielleicht damit noch ein Jahr zu leben, oder derjenige, der aufgrund seines besseren Gesundheitszustandes noch dreißig Jahre etwas davon hat?« Weiter schreibt Rubin: »Nach der Gerechtigkeit bekäme es der dringlichste Fall. Was aber sagt die Bevölkerung, was hier gerecht ist?«

Professor Huster will das jetzt empirisch ermitteln; er vermutet, dass sich die BürgerInnen den Fragen nach Leistungsbeschränkungen früher stellen würden als die Politik: »Unsere große repräsentative Umfrage breiter Bevölkerungsgruppen«, weiß Huster schon im Vorhinein, »wird dies zeigen, aber auch, wo die Bürger ihre Versorgungsprioritäten setzen.« Und diese Methode soll noch mehr soll mehr bewirken: »Die Umfrage«, so Huster, »könnte Anstoß sein für die politische Debatte.«

© Klaus-Peter Görlitzer, 2010
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