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KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Fremdnützige Forschung?

  • Fragwürdige Studie im Netzwerk »Mentale Retardierung«

aus: BIOSKOP Nr. 50, Juni 2010, Seite 3

Im Nationalen Genomforschungsnetz werden auch Wissenschaftler gefördert, die nach genetischen Ursachen geistiger Behinderung suchen. Deren Netzwerk »Mentale Retardierung« (MRNET) wird nun hinterfragt: In einem Teilprojekt »stehen fremdnützige Aspekte der Forschung im Vordergrund«, meint die Bundesvereinigung Lebenshilfe. Der Verband, der die Interessen von Menschen mit geistiger Behinderung vertritt, fordert Politiker auf, sich aktiv einzuschalten.

Warum seine Forschung notwendig sein soll, erläutert das MRNET auf der netzeigenen Website: »Mentale Retardierung (MR) betrifft etwa 2% der Bevölkerung und ist der bedeutendste einzelne Kostenfaktor im Gesundheitswesen. In der Mehrzahl der Fälle liegt eine genetische Ursache vor, wobei bisher aber nur wenige Gendefekte bekannt sind.« Ziel des Netzwerkes sei die »systematische Identifizierung von Genen für MR sowie die Untersuchung der Funktion der dadurch kodierten Proteine”. Im MRNET, auf das BIOSKOP erstmals im Juni 2009 aufmerksam machte, sind Humangenetik-Institute von sieben deutschen Universitäten und weitere wissenschaftliche Partner verbandelt; seit April 2008 werden ihre Aktivitäten vom Bundesforschungsministerium (BMBF) gefördert – zunächst für drei Jahre, mit vier Millionen Euro.

Eines der elf Teilprojekte des MRNET soll »genetische Ursachen der psychomotorischen Entwicklungsstörung« aufklären. Die Studie läuft am Humangenetischen Institut des Uniklikums Erlangen und wird von Professor André Reis geleitet, der auch als MRNET-Koordinator fungiert und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik ist. Im Rahmen der Erlanger Studie werden Väter und Mütter von Kindern mit geistiger Behinderung gebeten, ihr Kind als Proband zur Verfügung zu stellen.

  • Kein gesundheitlicher Nutzen in Aussicht

Wer mitmacht, wird körperlich untersucht und fotografiert; zudem willigen die Eltern stellvertretend für ihre Kinder ein, dass ihnen zwecks genetischer Analyse eine Blut- oder Gewebeprobe entnommen wird, die das Institut zeitlich unbefristet aufbewahren darf. Unterschreiben sollen sie auch diese Vorformulierung: »Wir sind damit einverstanden, dass die entnommenen Blut-/Gewebeproben im Rahmen anderer wissenschaftlicher Kooperationsprojekte an andere Kliniken oder Institute im In- und Ausland versandt werden dürfen.« Zudem sollen die Mütter und Väter akzeptieren, dass sie »keinerlei Ansprüche« auf Vergütung, Tantiemen oder Gewinne haben, die »möglicherweise auf der Basis der Forschung mit unseren Blut- bzw. Gewebeproben erlangt werden«.

Weder Einwilligungserklärung noch schriftliche Probandeninformation stellen den Teilnehmern einen gesundheitlichen Nutzen in Aussicht. Dies ist auch der Bundesvereinigung Lebenshilfe aufgefallen. Nach Lektüre der Erlanger Unterlagen kam sie im Sommer 2009 zu dem Schluss, dass bei diesem wissenschaftlichen Projekt mit nichteinwilligungsfähigen Testpersonen »fremdnützige Aspekte der Forschung im Vordergrund« stehen. »Eine bloße Einordnung der Behinderung«, kritisiert Lebenshilfe-Vorstandsmitglied Prof. Jeanne Nicklas-Faust, »ist für den oder die Betroffene nicht gleichbedeutend mit einem tatsächlichen Nutzen, da aus der Zuordnung nicht zwangsläufig konkrete therapeutische Konsequenzen folgen.«

  • Politische Klärung?

Fremdnützige Forschungsprojekte mit nichteinwillungsfähigen Menschen gelten in Deutschland als unethisch und verboten. Die Lebenshilfe informierte den MRNET-Hauptfinanzier, also das BMBF. Ministerin Annette Schavan (CDU) antwortete Ende Oktober 2009 und erklärte, ein internationales Expertengremium habe das MRNET begutachtet und »zur Förderung empfohlen«. Schavan fügte hinzu, dass das Lebenshilfe-Schreiben ihr Haus veranlasst habe, den Projektleiter »nochmals auf seine ärztliche und juristische Verantwortung« aufmerksam zu machen – konkreter wurde die Ministerin nicht.

Zwei Monate später trafen sich Reis und Nicklas-Faust in Berlin, das Gespräch brachte keine Klärung. Anschließend formulierte sie ihre Fragen und Bedenken in einem ausführlichen Brief an den Projektleiter und bat um schriftliche Stellungnahme; Kopien gingen an die MRNET-Partner sowie an zuständige Ethikkommissionen. Reaktionen bisher? Konzertiertes Schweigen!

Nun hofft die Lebenshilfe auf Unterstützung durch Politiker. Ende April alarmierte sie den neuen Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Hubert Hüppe. Der Christdemokrat, bekannt für klare medizinethische Positionen, soll nun eine »politische Klärung der Zulässigkeit« dieses Forschungsprojektes in die Wege leiten. BIOSKOP wird berichten, was dabei herauskommt.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2010
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