Forschungsallianzen: Ungleiche Partner
Forschungsallianzen: Ungleiche Partner
ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin
Ungleiche Partner
- Geld, Wissen, Marketing – Wie Pharmaunternehmen und Selbsthilfegruppen zunehmend zusammenarbeiten
aus: BIOSKOP Nr. 13, März 2001, Seiten 8+10
In medizinischen Einrichtungen wird nicht nur geheilt, gelindert oder gepflegt. Besonders das Krankenhaus ist Ort der Forschung und des Marktes für neue Medikamente und Verfahren. Hier, wo es auch um viel Geld und Karrieren geht, reicht die Liaison zwischen Pharmamanagern und Kliniken mitunter bis zur Korruption – entsprechende Skandale werden gelegentlich öffentlich. Vergleichsweise neu und unbemerkt ist dagegen die Kooperation zwischen Selbsthilfeorganisationen und Gesundheitsindustrie. Auch hier fließen Gelder, zirkuliert Wissen und blüht das Marketing – allerdings zwischen ungleichen Partnern.
Jedes zehnte Pharmaunternehmen kooperiert hierzulande mit Selbsthilfeorganisationen. Dass solches Engagement nicht selbstlos ist, erfährt man, wenn man im Internet die Homepage des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) besucht. Dort träumt der BPI von »direktem Patientenmarketing mit geringsten Streuverlusten«. Im Klartext heißt das: Für verschreibungspflichtige Medikamente werben die Firmen direkt im Selbsthilfeverband. Damit nicht genug: Der BPI will auch Bedarf an neuen Medikamenten schaffen, bevor diese überhaupt auf dem Markt sind. »Überzeugendes Prämarketing« heißt das im Jargon der WerbestrategInnen. Obendrein wünscht sich der Dachverband der Pharmaindustrie »Risikominimierung bei eventuell auftretenden Nebenwirkungen« – dafür sorgen soll die beruhigende »Stellungnahme der Selbsthilfegruppe«.
Ihre Lobbyarbeit zwecks Vermarktung eigener Produkte lassen sich die Pharmamultis gern was kosten: Sie spenden, finanzieren Selbsthilfe-Kongresse und bieten sogar Grundkurse zum Sponsoring an. Aus den Marketingkassen der Konzerne fließt weltweit immer mehr Geld in so genannte non-profit-Organisationen, was mittlerweile den Löwenanteil der PR-Budgets ausmacht.
- Chronischer Geldmangel
Meist leiden Selbsthilfeorganisationen an chronischem Geldmangel. Wo das Geld knapp und die Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung groß ist, können Zonen entstehen, die mit dem Gedanken der Selbstvertretung und Stärkung von PatientInnen nicht mehr viel gemein haben. Einige Beispiele haben wir aufgespürt.
Die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. ist nach eigener Darstellung eine »reine Selbsthilfevereinigung«; sie vertritt 20.000 Mitglieder. 250.000 PatientInnen leben hierzulande mit dieser Erkrankung. Alle Zeichen stehen hier auf Wachstum, vor allem der Mitgliederzahlen und der Forschung, wobei letztere gern mit breiter und effektiver Behandlung gleich gesetzt wird. In »enger Zusammenarbeit mit der Pharmazeutischen Industrie aber auch mit der Öffentlichkeit und der Politik« will die Parkinson Vereinigung ihre Ziele erreichen.
- Professionelles Problemmarketing
Wachstumsperspektiven sind auch für jene 15 Pharmafirmen interessant, die sich zu einem »Sponsor-Zirkel« zusammengefunden haben, um die PR-Firma Edelman mit der »Aufklärung der Öffentlichkeit über die häufigste neurodegenerative Erkrankung« zu beauftragen. Alles was Rang, Namen und Marktinteressen hat, ist vertreten: von Hoffmann-La Roche über Lilly Deutschland bis Schering und SmithKline Beecham. Edelman managt das »Problem« Parkinson ebenso professionell wie andernorts Regierungskrisen, Imageverluste von Firmen und PolitikerInnen oder Umweltkatastrophen. Seit 1997 realisiert das Unternehmen öffentliche Kampagnen in Sachen Parkinson. Da wird ein Parkinson-Tag ins Leben gerufen, Radio- und Fernseh-Beiträge werden provoziert, prominente Fürsprecher wie ARD-Moderator Ulrich Wickert gewonnen, forschende MedizinerInnen in Telefonaktionen für Produktwerbung eingebunden.
1999 war für Edelman ein erfreuliches Jahr, man kann Erfolge auf ganzer Linie verkünden. Denn die Integration der Firmenlogos im Kampagnen-Feldzug ist gelungen: »Hinsehen – Handeln – Helfen«, eine Partneraktion der Deutschen Parkinson Vereinigung (und des Sponsor-Zirkels). 4.000 neue Mitglieder hat der Selbsthilfeverband gewonnen. Auch die PR-Firma profitiert. Neben Geld für den lukrativen Auftrag heimst sie auch einen Preis für ihre exzellente Public Relations ein, die anvisierte Kommunikationsziele und Geschäftsabsichten der Auftraggeber harmonisch miteinander verbunden hat. Solche Ehren sind bares Geld wert, sie befördern neue Aufträge im hart umkämpften Marketinggeschäft.
- Fortschrittsallianzen
Wer die Zeitschrift der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. (DMSG) aufschlägt, der blickt auf ein Liebespaar: »Multiple Sklerose? Wir lassen Sie nicht allein! Aufklären, beraten, helfen«, heißt die Botschaft unter dem Bild. Das »Industrieforum Multiple Sklerose«, bestehend aus den Unternehmen Aventis, Biogen, Schering, Serono und Teca, macht mit bei der bundesweiten PR-Kampagne der DMSG. Die Zahl der MS-PatientInnen in Deutschland wird auf mindestens 120.000 geschätzt, aus Unternehmersicht eine potenzielle KonsumentInnenschaft für neue Pharmaka.
Pionier auf diesem Markt ist die Schering AG mit dem Gentech-Medikament Interferon Beta lb-Betaferon. Seit 1997 konkurriert Biogen mit AVONEX, 1998 stieg Serono mit REBIF in das Geschäft ein. Alle drei Hersteller werben in der Verbandszeitschrift für ihr Unternehmen und können auch direkt über Links von der Internetseite der DMSG angesteuert werden – ein Selbsthilfeverband als Werbefläche. Für solchen Service zahlt Serono auch außer der Reihe. Der nordrhein-westfälische Landesverband der DMSG nahm auf der Mitgliederversammlung einen Serono-Scheck über 10.000 DM entgegen, berichtete das MS-Magazin NRW in seiner Ausgabe 4/00.
- Fragwürdige Leitlinien
In den jüngsten Leitlinien der DMSG wird die »partnerschaftliche Kooperation mit pharmazeutischen Firmen« ausdrücklich begrüßt. Offiziell abgelehnt werden einseitige Darstellungen zugunsten eines Produktes. Informationen über klinische Studien dürfen nur »unabhängige Personen« geben, als solche sollen beispielsweise Mitglieder des Ärztlichen Beirates der DMSG gelten. Hier dominiert die »Klinische Forschungsgruppe für multiple Sklerose und Neuroimmunologie« der Würzburger Universitätsklinik. Klaus V. Toyka, Peter Rieckmann und Ralf Gold, dort allesamt Spezialisten für MS-Forschung, publizieren im Verbandsorgan Aktiv positive Berichte über klinische Studien mit AVONEX und raten zu einem möglichst frühen Einsatz des Präparates. (nachzulesen in Aktiv 4/2000) Solche wissenschaftlichen Empfehlungen fördern die Glaubwürdigkeit des Herstelles, denn der Ärztliche Beirat gilt ja als unabhängig. In den Therapieempfehlungen zur Behandlung von MS, die maßgeblich von den Würzburger Forschern verfasst wurden, finden Betaferon und REBIF positive Erwähnung. Die Nebenwirkungen, so die Botschaft, seien kontrollierbar. Für ihre unentgeltliche Arbeit in der Selbsthilfegruppe werden die Würzburger Wissenschaftler denn doch belohnt: Die DMSG finanziert einen Teil ihrer Forschungsprojekte.
Aus dem Raum des Ärztlichen Beirates, der das Monopol auf Krankheitsbeschreibung und angesagte Therapien inne hält, wird heute schon Bedarf für Zukünftiges geschaffen: »Prä-Marketing« für den therapeutischen Einsatz embryonaler Stammzellen. »Für die Behandlung der Multiplen Sklerose” hätten sie »große Bedeutung«, orakelt in Aktiv 03/2000 Professor Reinhard Hohlfelder vom Institut für Klinische Neuroimmunologie in München/Großhadern und Mitglied im Ärztlichen Beirat der DMSG.
- Offensive Parteinahme
Im Frühjahr 1994 wurde ein erster Entwurf der Bioethik-Konvention des Europarates öffentlich. Die darin enthaltene Erlaubnis, altersdemente, komatöse oder geistig behinderte Menschen zum reinen Erkenntnisgewinn beforschen zu dürfen, stieß auf heftige Kritik. 1995 gaben die Professoren Hanfried Helmchen und Hans Lauter ein Buch heraus: »Dürfen Ärzte mit Demenzkranken forschen?« Vor allem Mitglieder der Hirnliga e.V., einer Vereinigung forschender Psychiater, sowie die damalige Vorsitzenden der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. demonstrierten Geschlossenheit: Die »kommende Demenzepidemie«, die »zu Belastungen unseres Gesundheits- und Sozialsystems« führe, erfordere höchsten Forschungseinsatz. Eine »soziale Verpflichtung« und »die Solidarität mit den Erkrankten zukünftiger Generationen« könne auch dem nicht einwilligungsfähigen Kranken unterstellt werden, meinten die Experten.
Das politische Vorhaben sollte durch eine gemeinsame Anhörung der Hirnliga und der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (DALZ) offensichtlich gestärkt werden. Noch stärker war jedoch die öffentliche Kritik, und nach internen Machtkämpfen lehnt auch die DALZ die Konvention weiterhin ab. Gleichwohl haben das ehemalige Vorstandsmitglied Jens Bruder und forschende Mediziner noch längst nicht aufgegeben. Sie arbeiten in Verband und Vorstand weiter fleißig am Dissens. Selbst wenn sie kein klares »Ja« zur Konvention erreichen sollten, so wird doch das Engagement derjenigen Verbandsmitglieder, die am juristischen Verbot der fremdnützigen Forschung mit Alzheimer-PatientInnen ohne Wenn und Aber fest halten wollen, immer schwieriger.
- Weit verzweigte Interessen
Auch in der DALZ sind ökonomische Interessen weit verzweigt. Die Firma Eisai und Pfizer vertreibt unter dem Namen »Aricept« ein Mittel, das einer Produktlinie angehört, die seit Jahren umstritten ist: Es zählt zu den so genannten Acetyl-Cholinesterase-Hemmern. Der wissenschaftliche Mainstream verspricht zwar keine Heilung, behauptet aber, das Medikament bewirke im Alzheimer-Frühstadium Positives über einen erhöhten Hirnstoffwechsel – eine wissenschaftliche Theorie, die allerdings auch angezweifelt wird.
Zudem gibt es Erfahrungen, die Effizienz und Nebenwirkungen dieser Pharmaka vereinzelt in Frage stellen. So wird das Mittel in Kanada wegen mangelnder Wirksamkeit nicht öffentlich finanziert. Derartige Zweifel sind in den zahllosen Aufklärungsbroschüren und Internetseiten zur Alzheimer-Erkrankung allerdings nicht zu finden. Vielmehr wirbt die DALZ gemeinsam mit Nervenärzten für diese Medikamentengeneration. In Bild_-Zeitung und _Ärztezeitung wird das Produkt von Eisai und Pfizer direkt promotet und außerdem beklagt, die Budgetierung im Gesundheitswesen verhindere, dass KassenpatientInnen das wirksame Aricept in ausreichendem Maße verschrieben werde. Als besorgter Experte im Dienste solcher Firmenbotschaften stellt sich DALZ-Vorstandsmitglied Alexander Kurz zur Verfügung.
Zu einem der größten PatientInnenverbände hierzulande hat sich die Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) entwickelt. »Selbsthilfe und Ehrenamt« stehen im Leitbild der DCCV ganz oben – für 12.000 Mitglieder mit entzündlichen Darmerkrankungen. Parallel steht die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Pharmaunternehmen auf dem Programm. Im Beirat sind 130 Wissenschaftler, Ärzte und andere Experten vertreten. Mit eigener Forschungsförderung, Forschungspreisen und Ausbildungsstipendien wird die Agenda der Biowissenschaft aktiv mitgestaltet. Für die genetische Forschung bat die Vereinigung ihre Mitglieder schon mal zur Blutprobe, um eine Arbeitsgruppe des Berliner Universitätsklinikums Charité zu unterstützen. »Was von Ihnen und jedem weiteren CED-Erkrankten in der Familie benötigt wird, ist eine Blutprobe, und zwar von Ihnen und wenn möglich von Ihren Eltern … eine Blutprobe Ihrer Geschwister (kann) ebenso hilfreich« sein. Blutentnahmeröhrchen und Freiumschläge für die Rücksendung an die Mitarbeiter der Charité sind selbstverständlich. Fortschritt in der Genomforschung und »in Zukunft eine frühere und bessere Behandlung«, das sind Zauberformeln im DCCV, der von Experten dominiert wird.
- Der Preis ist hoch
Wie weit die Gestaltungskapazitäten von PatientInnenorganisationen reichen können, zeigt das Beispiel der AFM, einer französischen Betroffenengruppe für Muskeldystrophie. Ihr Vorsitzender machte schon früh, in den 80er Jahren, die genetische Forschung zur Priorität. Nach einer Ausgabe der Fernsehsendung »Téléthon« zum Thema Muskeldystrophie flossen 300 Millionen Francs an Privatspenden in die Kassen des Verbandes. Die 30(!)-stündige Mammut-Talkshow kombinierte Berichte über Einzelschicksale mit Neuigkeiten aus der Wissenschaft. Ein Teil der Einnahmen diente dem Aufbau des französischen Genomforschungszentrums Généthon.
Der Preis, um auf die Belange von Kranken aufmerksam zu machen und die Wissensfestungen akademischer und industrieller Produzenten aufzubrechen, ist hoch. Die Beispiele zeigen, dass Selbsthilfe- und PatientInnengruppen Gefahr laufen, zu einer getarnten Zone zu werden, in der unmerklich Marktinteressen und biomedizinische Forschungsambitionen dominieren. Um nicht im Namen der Betroffenheit jede Form sozialer und medizinischer Fantasie aus dem Auge zu verlieren, ist mehr Transparenz in der ungleichen Partnerschaft dringend geboten.
© Erika Feyerabend, 2001
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Autorin