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Bilanz aus Berlin

In Fachkreisen hat die Ethik-Kommission des Landes Berlin einen guten Ruf. Ihre Tätigkeitsberichte veröffentlicht sie auch im Internet. Das aktuelle Exemplar bilanziert auf neun Seiten die ehrenamtliche Beratungsarbeit der 53 Mitglieder in 2011. Im Berichtsjahr wurden 613 Anträge neu eingereicht, davon 574 zu klinischen Arzneimitteltests, die übrigen betrafen Prüfungen von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika.

Anträge werden in Berlin ziemlich zügig beschieden, laut Tätigkeitsbericht beträgt der durchschnittliche Zeitraum vom Eingang eines ordnungsgemäßen Antrags bis zur ersten Beratung bei multizentrischen Arzneimittelprüfungen ca. 22 Tage, wenn die Hauptstädter die Federführung haben; hinzu kommt rund eine Woche bis zur Erteilung des abschließenden Votums. In den allermeisten Fällen bescheinigt die Kommission die begehrte »zustimmende Bewertung«, die Quote missbilligter Studienanträge liegt bei unter 1,5 Prozent.

Die Antragsteller, vorzugsweise aus oder im Auftrag der pharmazeutischen Industrie, scheinen die Arbeit des Gremiums, das sich 2011 exakt 51-mal getroffen hat, in Ordnung zu finden: »Im Berichtsjahr«, vermerkt der Tätigkeitsbericht, »wurde keine Klage gegen Entscheidungen der Ethik-Kommission des Landes Berlin erhoben.«




Im BIOSKOP-Interview: HELGA EBEL, Mitarbeiterin der Krebsberatungsstelle und Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen Aachen e.V.

Erfahrungen einer Patientenvertreterin

  • Helga Ebel schildert, was sie in einer Ethikkommission zur Begutachtung klinischer Studien erlebt hat

aus: BIOSKOP Nr. 60, Dezember 2012, Seite 9

Über 50 Ethikkommissionen im Medizinbereich gibt es hierzulande, angesiedelt sind sie bei Ärztekammern und Bundesländern. Ihre Aufgabe ist es, für die Sicherheit von TeilnehmerInnen an klinischen Studien zu sorgen. Kommissionsmitglieder sind vorwiegend Mediziner und Juristen, auch einige Ethiker und Patientenvertreter reden dort mit. Da alle zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, dürfen sie die Öffentlichkeit nicht über Begutachtungen einzelner Forschungsvorhaben informieren. Möglich ist ihnen aber, allgemeine Rahmenbedingungen zu schildern und öffentlich darüber nachzudenken, was ihr Engagement bewirken kann. Helga Ebel wirkte von 2005 bis 2009 als ehrenamtliche Patientenvertreterin in der Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein mit. Erika Feyerabend hat sie nach ihren Eindrücken und Einschätzungen gefragt.

BIOSKOP: Wie arbeitet die Ethikkommission?

HELGA EBEL: Zwei Wochen vor der Sitzung bekommen die Kommissionsmitglieder per Boten einen Koffer mit den Antragsunterlagen zu den jeweiligen Studien zugestellt. In diesem Zeitraum werden die Stellungnahmen vorbereitet. Die Sitzung selbst dauert maximal zwei Stunden, in der Regel geht es um zehn bis zwölf Forschungsvorhaben zwecks Erprobung neuer Wirkstoffe und Medizinprodukte. Für jede Studie wird ein kurzer Kommentar vorgetragen, meist macht das ein Mediziner. Anschließend wird abgestimmt.

BIOSKOP: Das klingt nach Papierbergen und viel Lesearbeit im Vorfeld. Ist das ehrenamtlich überhaupt zu schaffen?

EBEL: Ich denke schon. Die Sitzungen der Kommission finden zwar wöchentlich statt. Aber es gibt ja mehrere Patientenvertreter, die sich abwechseln. So war ich höchstens einmal im Monat dran und persönlich bei den Beratungen dabei.

Bedenklich finde ich auch, dass wir beim Erörtern bestimmter, potenzieller Risiken immer mal wieder die Aussage zu hören bekamen: »Wenn unsere Ethikkommission die Studie nicht genehmigt, dann macht das halt eine andere in einem anderen Bundesland.«

BIOSKOP: Wie sehen die Experten in der Kommission, also die Mediziner und Juristen, die Rolle der Patientenvertreter?

EBEL: Nach meiner Erfahrung würde ich sagen: wohl eher als Alibi, sie werden nicht immer ernst genommen. Ein Beispiel: Auf meine Frage, wie gefährlich ein bestimmter Versuch mit Dialysekranken sei, bekam ich von meinem Nachbarn zur Antwort: »Dialysepatienten sterben sowieso.« Auf die Frage, warum so viele Studien zu Diabetes beantragt würden: »Im Jahr x ist über die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig, dann haben wir den Diabetesmarkt.«

BIOSKOP: Das hört sich nicht an wie eine angemessene Auseinandersetzung. Gibt es noch mehr Kritikwürdiges?

EBEL: In der Kommission geht es vorwiegend darum, eingereichte Unterlagen formal zu überprüfen. Welchen Nutzen die beabsichtigte Forschung überhaupt hat, wurde praktisch nicht hinterfragt. Zwar sollen die Mitglieder auch Berichte über unerwünschte Nebenwirkungen getesteter Präparate erhalten. Aber die waren in den Sitzungen, an denen ich teilnahm, kein Thema. Bedenklich finde ich auch, dass wir beim Erörtern bestimmter, potenzieller Risiken immer mal wieder die Aussage zu hören bekamen: »Wenn unsere Ethikkommission die Studie nicht genehmigt, dann macht das halt eine andere in einem anderen Bundesland.«

»Ethikkommissionen sind Teil einer Prozedur, um Firmenprodukte marktreif zu machen. Weil alles unter Geheimhaltung steht und Patente im Spiel sind, werden viele gesunde und kranke Menschen unnötig den Risiken ausgesetzt, die klinische Studien mit sich bringen.«

BIOSKOP: Da scheint dann ja weniger der Schutz von Probanden im Vordergrund zu stehen als ökonomische Standortinteressen…

BIOSKOP: Natürlich geht es ums Geld – nicht nur für die so genannten Sponsoren, also die Pharmaunternehmen, die neue Wirkstoffe erproben und Gebühren für die Bewertungen der Kommission bezahlen. Profitieren wollen auch die beteiligten Studienärzte und Kliniken.

BIOSKOP: Nach fünf Jahren Mitarbeit in der Ethikkommission: Wie fällt Ihr Fazit aus?

EBEL: Der professionelle Ethikbetrieb muss meiner Meinung nach im Zusammenhang der Ökonomisierung des Gesundheitswesens begriffen werden. Es gibt viel zu viele Medikamente, in Deutschland fast 60.000, in den europäischen Nachbarländern etwa 2.000. Und es gibt viel zu viele klinische Studien, veranlasst durch Geldgeber, die an der Vermarktung der Ergebnisse interessiert sind. Ethikkommissionen sind Teil einer Prozedur, um Firmenprodukte marktreif zu machen. Weil alles unter Geheimhaltung steht und Patente im Spiel sind, werden viele gesunde und kranke Menschen unnötig den Risiken ausgesetzt, die klinische Studien mit sich bringen. Oft werden doch parallel Medikamente mit ähnlicher Wirkung und für gleiche Krankengruppen getestet. Mit Ethik oder Patientenschutz hat all das wenig zu tun.

© Erika Feyerabend / Helga Ebel, 2012
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